Süddeutsche Zeitung

Klimakolumne:Geht Wachstum auch klimafreundlich?

Der Einwand der Wachstumskritiker klingt zunächst logisch: immer mehr und noch mehr, wie soll das gehen, ohne den Planeten auszubeuten. Aber was ist die Alternative?

Von Marlene Weiß

Ich kenne wenige Themen, bei denen die Meinungen auch unter vernünftigen Leuten so auseinandergehen wie bei der Frage nach Wirtschaftswachstum und Klimaschutz. Für die einen ist es vollkommen selbstverständlich, dass Wachstum der Quell allen Übels ist. Natürlich müsse die Wirtschaft schrumpfen, der Überfluss habe uns die ganze Misere doch erst eingebrockt. Für die anderen ist das Gegenteil ebenso klar: Natürlich muss das Wirtschaftswachstum weitergehen, wie soll man denn sonst den Klimaschutz bezahlen?

Kurz bevor die Pandemie im vergangenen Jahr alles auf den Kopf stellte, habe ich mal mit einem Wirtschaftsjournalisten, den ich sehr schätze, über Wachstumskritik und Schrumpfungsideen gesprochen. Was für ein Quatsch, war - sinngemäß - seine Antwort. (Allerdings habe ich bei der gleichen Gelegenheit behauptet, dieses neue Coronavirus sei noch kein Grund zur Panik. So kann man sich also irren.)

Aber während ich beim Coronavirus längst weiß, dass etwas Panik damals durchaus angebracht gewesen wäre, war ich beim Wachstum lange unschlüssig, ob mein Kollege recht hatte oder nicht. Der gesunde Menschenverstand scheint einem doch klar zu sagen, dass immer mehr und noch mehr, schneller höher weiter, auf Dauer nicht gut gehen kann. Aber was ist die Alternative? Geordnete Rezession? Wie soll das gehen, und kann man so das Klima retten?

"Wir werden ja sehen, ob dann noch Wachstum gelingt."

Um ein paar Antworten auf solche Fragen zu bekommen, haben Michael Bauchmüller und ich zwei prominente Ökonomen zum Streitgespräch über Klimaschutz und Wachstum (SZplus) gebeten, Ottmar Edenhofer und Niko Paech. Edenhofer ist unter anderem Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, wirbt seit vielen Jahren für CO₂-Bepreisung und hält es für völlig falsch, das Bruttoinlandsprodukt gezielt abzusenken. Paech dagegen, der an der Universität Siegen lehrt und forscht, ist bekannt für sein Modell einer Postwachstumsökonomie, das auf sehr genügsamen Lebensstilen beruht. Ich kann Ihnen an dieser Stelle leider nicht sagen, wer der beiden mich mehr überzeugt hat, weil ich finde, Sie sollten unvoreingenommen in die Lektüre starten. Das Gespräch erscheint an diesem Samstag in der Süddeutschen Zeitung, wenn Sie ein Abo haben, können Sie es aber auch gleich hier lesen.

Aber falls Sie das Interview nicht lesen wollen oder hinterher immer noch keine klare Meinung haben, möchte ich Ihnen einen Satz von Ottmar Edenhofer empfehlen: Der sagt von sich, er sei weder Wachstumsgegner noch Wachstumsfetischist, sondern Agnostiker. Entscheidend sei es, die CO₂-Emissionen - mittels Preisen - herunterzufahren, "wir werden ja sehen, ob dann noch Wachstum gelingt."

Ich finde, das ist unabhängig davon, was man von Wachstum hält, eine ganz hilfreiche Einstellung zu den vielen Unsicherheiten im Klimaschutz. Können wir weiter Auto fahren? Mal eine weite Reise machen? Plastikverpackungen nutzen? Tja - erstmal müssen wir den Laden in Ordnung und die Emissionen Richtung Null bringen. Wir werden ja sehen, was dann noch gelingt.

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Irren Sie sich ruhig mal, das hält den Geist beweglich.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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