Wachsender Gletscher:Ein Rebell aus Eis

Überall schmelzen die Gletscher. Überall? Nein. Trotz des Klimawandels wächst der Perito Moreno in Argentinien sogar.

Peter Burghardt

Ein Besuch am berühmtesten Gletscher Südamerikas ist ein Fest für die Sinne. Der Rausch widerspricht sogar den Gesetzen des Klimawandels.

Wachsender Gletscher: Der berühmteste Gletscher Südamerikas: Perito Moreno.

Der berühmteste Gletscher Südamerikas: Perito Moreno.

(Foto: Foto: AFP)

Bläulich leuchtet der Perito Moreno zwischen der verschneiten Andenkette bei El Calafate im Süden Argentiniens - 60 Kilometer lang, fünf Kilometer breit, 60 Meter hoch.

Die zerklüfteten Eismassen, benannt nach einem Erforscher Patagoniens, machen die kuriosesten Geräusche.

Sie knarren und quietschen und krachen. Tonnenschwere Eisbrocken brechen ab und fallen in den grünblauen Lago Argentino, in den die Eiszunge taucht. Sie schwimmen dann als kleine Schollen oder Eisberge im See.

Das zeigt den Charakter dieses Ungetüms, das nach seiner Entdeckung durch den deutschen Geologen Rudolph Hathal einst den Namen Bismarck trug. Das wirklich ungewöhnlich aber ist, dass sich der Perito Moreno als einer der wenigen Gletscher dieser Welt nicht zurückzieht. Er breitet sich statt dessen weiter aus, er wächst.

Viele Meter ist das Monstrum in den vergangenen sechs Monaten gewachsen. Ungefähr alle vier Jahre behindert den Bewegungsdrang ein gegenüber liegender Hang, und die aufstauenden Eismassen blockieren so lange den Seitenarm Brazo Rico des Lago Argentino, bis der Druck das Eis an diesem Ausleger bersten lässt.

"Diese Eisfabrik funktioniert noch"

Die Eis-Explosion produziert meterhohe Flutwellen und gehört zu den spektakulärsten Naturschauspielen des Kontinents - zuletzt war es 2006 so weit, Eindrücke sind auf dem Videoportal Youtube zu finden. Im März steht der nächste Zusammenbruch an.

"Diese Eisfabrik funktioniert noch", sagt Roberto Cerda, oberster Wächter im Nationalpark und Unesco-Weltkulturerbe Los Glaciares, zu dem noch 46 weitere Gletscher gehören. Sie alle werden gespeist vom Campo de Hielo Patagónico, dem größten Eisfeld jenseits der Polregionen, es überzieht im Grenzgebiet auf Chile 350 mal 80 Kilometer.

Der Star Perito Moreno wird dabei fleißig genährt, doch er ist keineswegs die Regel. "Wir sprechen hier von einer Ausnahme", sagt Cerda. Seit 1982 ist Cerda bei diesem Sonderfall im Einsatz. Zwischendurch war er ein paar Jahre im argentinischen Sektor der Antarktis tätig. Der Aufpasser spürt, wie die Natur sich verändert.

Insgesamt wird in Patagonien von vier wachsenden Relikten aus der Eiszeit berichtet. Darunter ist auch der phantastische Glaciar Pía am spektakulären Beagle-Kanal in Feuerland, aber es sind Einzelgänger. Auch in Los Glaciares werden andere Gletscher immer flacher und kürzer, wenngleich nicht so extrem wie zum Beispiel in den Schweizer Alpen.

Der Uppsala, der ebenfalls in den Lago Argentino mündet, und der Viedma, der im Lago Viedma endet, schmelzen dahin, sind allerdings immer noch größer als der Perito Moreno, nur weniger zugänglich und bekannt.

Sie alle versorgen weite Teile der riesigen Provinz Santa Cruz und anderer Gegenden Patagoniens mit Trinkwasser, der Rückgang wird irgendwann zum Problem. Ohnehin fällt in der meist steppenartigen Landschaft weniger Regen und weniger Schnee als früher, und Cerda merkt, wie die Bäume früher ihre Blätter verlieren. Gleichzeitig fürchtet sich die Hauptstadt Buenos Aires 2750 Kilometer nordöstlich vor einem steigenden Meeresspiegel.

Ein Rebell aus Eis

Peru und Ecuador haben ähnlich Sorgen. In der peruanischen Cordillera Blanca mit Bergen wie dem Huascarán verloren die Gletscher seit 1970 fast ein Viertel ihrer Größe. In den ecuadorianischen Anden mit Vulkanen wie dem Cotopaxi und Chimbarazo teilweise noch mehr. Die Geologin Ana Luz Borrera musste bei ihrem Besuch am Kegel des Cotopaxi im Oktober 2006 auf 5000 Meter steigen, um Eis zu finden - zehn Jahre zuvor genügten noch 4800 Höhenmeter.

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(Foto: SZ-Grafik)

Die Deutschen Ekkehard Jordan und Stefan Hastenrath maßen, dass Ecuadors Gletscher im selben Zeitraum 17 Quadratkilometer kleiner geworden sind. Beim Lateinamerikanischen Kongress der Nationalparks und Naturschutzgebiete schlugen die Experten der Region Alarm. Die Erderwärmung bedroht den Wasserhaushalt und außerdem einen florierenden Zweig der Tourismusindustrie, denn der Abenteuerurlaub ist bei Europäern und Nordamerikanern beliebter denn je.

Suche nach einer fast magischen Lösung

An den Wasserfällen von Iguazu im Dreiländereck Argentinien-Brasilien-Paraguay zum Beispiel gingen vor zwei Jahren die Besucherzahlen zurück, weil wegen der Trockenheit vergleichsweise nur noch Rinnsale hinabflossen. Inzwischen hat sich das wieder gebessert. Am Perito Moreno stehen die Interessenten Schlange wie nie. 350.000 waren es 2006, annähernd eine halbe Million 2007, dieses Jahr könnten es noch mehr werden.

Das ist einerseits schön für die Verwalter des Nationalparks, weil viel Geld in die Kasse kommt. Und andererseits ein Problem, weil der zögerliche Schutz dieses Biotops durch den Ansturm immer schwieriger wird. "Wir suchen nach einer fast magischen Lösung", klagt Roberto Cerda.

Der nahegelegene Ferienort El Calafate, wo auch Argentiniens Präsidentenpaar Kirchner sein Haus besitzt, hatte bei Cerdas Ankunft 1982 kaum 1000 Einwohner. Jetzt sind es an die 25.000, dazu kommen Tausende Urlauber, eingeflogen mit Linienflügen und Chartermaschinen. Die Gäste sind begeistert von der majestätischen Umgebung, vor allem dem renitenten Perito Moreno. Den neuen Aussichtssteg aus Aluminium suchte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner persönlich aus, sie wird dort den einen oder anderen Staatsgast hinführen.

Cerda glaubt, dass der Andrang auch mit einer Furcht zu tun hat: "Es gibt eine Art Angst, dass man das Eis irgendwann nicht mehr sehen kann." Eines Tages wird wohl auch der Perito Moreno verschwunden sein. Doch in seinem Fall wird es länger dauern als bei den meisten anderen.

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