Süddeutsche Zeitung

Vulkanausbrüche:Ameisen als Alarmsystem

Können Insekten vor Vulkanausbrüchen warnen? Ein Geologe der Uni Duisburg-Essen präsentiert Belege für seine umstrittene Theorie.

Axel Bojanowski

Die Vulkane in der Eifel schlafen zwar seit 11.000 Jahren. Noch gibt es keine Hinweise auf eine neue Eruption. Das könnte sich aber innerhalb von Monaten ändern. Wie sich das Desaster ankündigen würde, ist unklar; die Vulkane in der Eifel werden nicht systematisch überwacht.

Vor zwei Jahren erregte der Geologe Ulrich Schreiber von der Uni Duisburg-Essen mit der These Aufsehen, Ameisenwanderungen könnten Ausbrüche ankündigen. Der Geologe hat sogar einen Roman darüber geschrieben ("Die Flucht der Ameisen"). Die Tiere reagierten besonders sensibel auf Veränderungen des Gasstroms aus dem Erdinneren, so Schreiber. Sein Vorstoß sorgte für Protest unter Ameisenforschern. Nun präsentiert Schreiber Belege für seine Theorie.

Durch Wärme angelockt

Im Erdboden der Eifel klaffen Tausende Risse. Vulkanausbrüche der vergangenen 500.000 Jahre haben den Boden gespalten. Ameisen bauen ihre Nester bevorzugt an solchen Brüchen, aus denen Gase strömten, berichtet Schreiber demnächst im Fachblatt Ecological Indicators.

Bisher nahmen Experten nicht an, dass Ameisen tektonische Brüche für ihre Nester favorisieren. Doch Schreibers Kartierungen Hunderter Nester in der Eifel, im Schwarzwald und im Bayerischen Wald haben gezeigt, dass sie den Verlauf von Erdspalten nachzeichnen. Manche Brüche sind zwar mit bloßem Auge nicht erkennbar. Doch Helium, das im Erdinneren entsteht, verrät die Nahtzonen: Das Gas perlt aus kleinsten Poren hervor.

Warum zieht es Ameisen an Erdspalten? Ameisenforscher machen zwei Ursachen geltend: Die Tiere suchten Schutz, und dort fänden sie ganzjährig die feuchte Umgebung, die sie bräuchten. Schreiber behauptet dagegen: Wärme aus dem Untergrund locke die Tiere an die Spalten.

Mit dem Biologen Stefan Hetz von der Humboldt Universität Berlin hat Schreiber Hunderte Ameisen in eine Plexiglas-Kammer verfrachtet. Eine Platte am Boden des Kastens wurde an vier Stellen regelmäßig erwärmt. Die Tiere reagierten präzise auf die Veränderung: Ameisen, die über jene Stellen liefen, die sich erwärmten, blieben stehen.

Eine Temperaturerhöhung von 0,1 Grad genügte, um die Tiere zum Halten zu bringen. Bei konstant hohen Temperaturen liefen sie weiter. "Einzig die Erhöhung der Temperatur veranlasste die Tiere, stehen zu bleiben", so Schreiber. "Nach kurzer Zeit sammelten sich alle Ameisen auf den wärmer werdenden Flecken."

Der Wärme-Effekt wirke sich in Vulkangebieten aus, folgert Schreiber. Tektonische Brüche in der Erde würden erwärmt, sie zögen mithin Ameisen an. Die Annahme sei plausibel, sagt Ameisenforscher René Schulze von der TU Dresden. Damit die Tiere als Warnsystem für Vulkanausbrüche dienen könnten, müssten sie aber auch auf Gas reagieren. Schreiber und Hetz leiteten durch einen Schlauch Gas in die Ameisen-Kammer. Die Aktivität der Tiere änderte sich daraufhin, so Schreiber.

Forscher bleiben skeptisch

Ameisenforscher bleiben skeptisch: Zwar könnten giftige Gase Ameisen wohl in die Flucht treiben, räumt Schulze ein, doch das wäre "nichts Besonderes". Der Vorteil gegenüber anderen Tieren sei Schreiber zufolge jedoch, dass sich Ameisennester gut überwachen ließen. Die Krabbeltiere eigneten sich nicht als Warnsystem, widerspricht Schulze. Viele Ameisenkolonien zögen mehrmals im Jahr um.

Schreiber hat seine Theorie inzwischen erweitert. Nicht nur flüchtende Ameisen sollten beobachtet werden - sondern auch sterbende. Wenn in der Eifel "großflächig Ameisennester absterben", sei das ein Alarmsignal. Vor einem Vulkanausbruch treten Gase aus dem Boden; an welchen Stellen ist jedoch unklar. "Unmöglich können alle Klüfte mit Messgeräten gespickt werden", sagt Schreiber. Es könne sich lohnen, auf Ameisenhaufen zu achten. "Die Eifel-Vulkane", sagt Schreiber, "werden nicht ewig schlafen".

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SZ vom 07.01.2009/mcs
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