La Palma:Der Vulkan spuckt einfach weiter

La Palma: "Es war ziemlich hart": die Taskforce des Potsdamer Geoforschungszentrums beim Einsatz in der Vulkankette Cumbre Vieja auf La Palma.

"Es war ziemlich hart": die Taskforce des Potsdamer Geoforschungszentrums beim Einsatz in der Vulkankette Cumbre Vieja auf La Palma.

(Foto: Deutsches Geofoschungszentrum)

Noch versteht man nicht, warum der neue Vulkanausbruch alle bekannten Eruptionen auf La Palma übertrifft. Das könnte sich aber bald ändern - auch dank dreier Frauen aus Potsdam.

Von Benjamin von Brackel

Knapp eine Woche nach dem Vulkanausbruch in der Cumbre Vieja auf La Palma stehen Nicole Richter, Alina Shevchenko und Carla Valenzuela Malebrán im Flughafen Berlin-Brandenburg. Ihr Gepäck: Seismometer, Neigungsmesser, Drohnen, Thermalkameras, zusammen fast eine halbe Tonne schwer. Alles ist bereits abgefertigt, als sie noch einmal auf die Anzeigetafel schauen: Ihr Flug nach La Palma fällt aus - der Katastrophe geschuldet. Genau ihretwegen wollen die Forscherinnen der Sektion Erdbeben und Vulkanphysik des Geoforschungszentrums (GFZ) in Potsdam ja dorthin. Zwei Tage später nehmen sie dann einen Flug nach Teneriffa und setzen von dort per Fähre nach La Palma über.

Was die GFZ-Taskforce zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: Die Daten, die sie sammeln werden, könnten dazu beitragen, ein Rätsel zu lösen. Denn auch nach mehr als fünf Wochen spuckt der Vulkan weiter Lava, Rauch und Asche aus, noch immer zieht sich ein Lavafluss die mittlere Westflanke des vulkanischen Rückens hinunter bis zum Meer. Das ist ungewöhnlich. "Vulkanologen waren davon ausgegangen, dass der Ausbruch nach wenigen Wochen wieder vorbei sein würde", sagt der Leiter der GFZ-Taskforce, Thomas Walter.

Sechs Vulkanausbrüche waren auf La Palma seit der Besiedlung der Spanier Ende des 15. Jahrhunderts dokumentiert. Zuletzt 1971, davor im Jahr 1949 - nach 237 Jahren Ruhepause. Meist war nach vier bis sechs Wochen der Spuk wieder vorbei. "Damit liegen wir bereits am oberen Ende des Spektrums", sagt Walter.

Auf La Palma machten sich die drei Wissenschaftlerinnen per Mietauto, per Mitfahrt in Feuerwehrautos oder zu Fuß in die Vulkanlandschaft auf, begleitet von ständigem Grollen. Helm, Gas- und Staubschutzmaske sowie eine Art Skibrille schützten sie unter anderem vor Glaspartikeln in der Luft, die sich beim Eintritt der Lava in den Ozean bilden. "Es war ziemlich hart", berichtet Shevchenko.

Zehn Tage lang bauten die drei Seismometer auf, um das bestehende Netz zu verdichten. Sie vergruben zudem sogenannte Tiltmeter - eine Art elektronische Wasserwaage, die kleinste Bewegungen der Gebirgsflanke registriert. Damit lassen sich Erdbeben genauer lokalisieren, was wiederum bessere Voraussagen über den weiteren Fortgang des Ausbruchs ermöglicht. "Die vielen Erdbeben bedeuten, dass Gestein unter Spannung steht und zerbricht", erklärt Walter. "Das kann beispielsweise passieren, wenn der Druck in einer Magmakammer zu- oder abnimmt - erste Indizien deuten auf Letzteres hin."

Die GFZ-Taskforce sammelte Asche- und Lava-Proben, sie filmte die Eruption und nahm den Lavastrom mithilfe einer Thermalkamera aus der Luft auf, um Lavaflussmodelle zu kreieren. Das könnte von besonderem Wert sein, denn die Menge an Lava ist schon jetzt größer als bei allen zuvor dokumentierten Ausbrüchen auf der Insel: 120 Millionen Kubikmeter statt bislang maximal 80 Millionen Kubikmeter. "Geologen schauen in die Vergangenheit, um Aussagen über die Zukunft zu treffen - in diesem Fall ist das nur bedingt möglich", sagt Walter. "Die Bandbreite dessen, was gegenwärtig auf La Palma möglich ist, scheint größer, als wir geahnt hatten."

Das betrifft auch einen weiteren Punkt: Statt wie gewöhnlich mehrere oft weit voneinander entfernte Eruptionszentren gibt es bislang nur ein größeres auf La Palma. Und das wächst immer weiter an. Zwar wanderte Magma unterirdisch in wenigen Kilometern Tiefe von Süd nach Nord - allerdings ohne die Oberfläche zu durchbrechen. "Wir gingen davon aus, dass wir das System relativ gut verstanden haben", sagt Walter. "Und dann zeigt uns die Natur, dass es doch anders sein kann."

Ziel ist, die Prozesse in der Tiefe zu rekonstruieren

Dutzende Forscher aus aller Welt vermessen den Ausbruch - darunter den Schall, die Zähflüssigkeit der Lava und die Gesteine. Bislang standen ihnen nur Gesteinsproben früherer Ausbrüche sowie Zeitzeugenberichte zur Verfügung. "Jetzt haben wir eine Zeitreihe von Gesteinsproben, mit der wir die Prozesse in der Tiefe rekonstruieren können - das gab es für La Palma noch nie", schwärmt der Geowissenschaftler Andreas Klügel von der Universität Bremen, der sich selbst an Ort und Stelle ein Bild gemacht hat. "Das gibt uns die einmalige Chance, das alles zusammenzuführen und damit das Innere des Vulkans besser zu verstehen." So könnte man künftig Eruptionen auf den Kanarischen Inseln "besser bewerten" - also im besten Fall genauere Vorhersagen über Ausmaß und Dauer von Ausbrüchen machen.

Wann dieser Vulkanausbruch zu Ende gehen wird, können die Wissenschaftler noch nicht sagen. "Wenn der seismische Tremor länger als einen Tag aussetzt, dann deutet das darauf hin, dass die Magmaströmung in der Tiefe nachgelassen hat", erklärt Klügel. Dann dürfte auch die Eruption nachlassen. "Wir versuchen zu verstehen, warum der Ausbruch so ungewöhnlich war und ob wir auch auf anderen kanarischen Inseln mit ähnlichen Ausbrüchen rechnen müssen", ergänzt Thomas Walter vom GFZ. "Die dortigen Vulkane werden wir jetzt mit anderen Augen betrachten."

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