Süddeutsche Zeitung

Vulkan in Aktion:"Der Ätna macht nur seine Arbeit"

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Seinen letzten gefährlichen Ausbruch hatte der Vulkan auf Sizilien vor sieben Jahren. Nun brodelt der Ätna wieder bedrohlich.

Henning Klüver

Catania - Beim Anflug am Abend über die Meerenge von Messina herrscht bereits Nacht und tausend Lichter glitzern am Boden diesseits und jenseits der Wasserstraße. Dann zeichnet sich der Ätna gegen einen in der Flughöhe noch dämmrigen Abendhimmel ab.

Ein majestätischer Berg, der aber verwundet zu sein scheint. Blutrot zieht sich wie ein Schnitt südöstlich unterhalb des Gipfels eine leuchtende Linie talwärts: kochende Lava.

Mitte Mai hat der mit etwa 3300 Metern höchste Vulkan Europas nach monatelangem Stillstand wieder angefangen, Gase und flüssiges Gestein auszuwerfen.

"Der Ätna ist ein lebendiger Vulkan, er macht nur seine Arbeit", sagt am Morgen nach der Ankunft in Catania Commissario Luca Ferlito vom Corpo Forestale Regionale, der Polizeibehörde für Landschaftsschutz und Katastropheneinsatz. Commissario Ferlito, Doktor in Agronomie wie in Forstwissenschaft, leitet die Station von Nicolisi, der letzten Siedlung an der Grenze zum Ätna-Naturschutzgebiet.

Als sich vor sieben Jahren im Juli am Fuß des Südost-Kraters eine Eruptionsspalte öffnete und mehre hundert Meter hohe Lavafontänen aufstiegen, begann der bislang letzte bedrohliche Ausbruch des Vulkans, bei dem mehrere Bergrestaurants sowie die Talstation der Seilbahn zerstört wurden und Orte wie das 700 Meter hoch gelegenen Nicolisi in Gefahr gerieten. Dann, Anfang August, kurz bevor die Lava den Ort erreichte, endete damals der Ausbruch so abrupt, wie er begonnen hatte.

Das letzte Mal, dass Catania selbst in Mitleidenschaft gezogen wurde, war 1669, als die Lava sogar den Küstenverlauf veränderte. Ein Erdbeben gab kurz darauf Catania den Rest, die Stadt musste wieder aufgebaut werden.

Der Ätna sei unbeständig wie eine Frau, sagt der französische Mineraloge Robert Clocchiatti von der Pariser Energie- und Atombehörde CEA, der sich der kleinen Gruppe angeschlossen hat, die Commissario Ferlito an diesem Vormittag auf den Vulkan führt.

Und so könne man auch nicht sagen, ob der gegenwärtige Ausbruch unterhalb des Südost-Kraters in den kommenden Tagen zunehmen oder abebben würde. In der Lokalpresse werden derweil Touristen und Neugierige bereits aufgefordert, nicht weiter als bis zur obersten Berghütte zu wandern - oder sich erfahrenen Führern anzuvertrauen.

Vom Geländefahrzeug, das die Gruppe in vielen Serpentinen in die Höhe bringt, sieht man, wie sich die Landschaft verändert. Zunächst gibt es noch Weingärten und Obstplantagen, dann folgt ein schmaler Baumbestand aus Steineichen und Buchen, der bereits von schwarzer Lava früherer Ausbrüche durchschnitten wird.

Picknick mit Rauchwolken

Zuletzt wachsen nur noch der typisch gelbe Ätnaginster und ein paar trotzige Margeriten, die irgendwie zwischen dem Geröll Wurzeln geschlagen haben. Obwohl der Gipfel aus vier großen Katern besteht, sind die meisten Ausbrüche an seinen Hängen erfolgt. So haben sich im Laufe der Jahrtausende weit mehr als dreihundert Nebenkrater gebildet, die wie Narben das Gipfelmassiv bedecken.

Auf etwa 2800 Meter Höhe, als jede Vegetation verschwunden ist, geht es zu Fuß weiter Richtung Eruptionsspalte. Und man hört bereits dieses typische an- und abschwellende Brausen, etwa wie bei einer starken Meeresbrandung, das durch Gasexplosionen oder chemische Reaktionen hervorgerufen wird. Dann sieht man Rauchwolken stoßweise aufsteigen, als würde in einer Erdspalte eine gigantische Dampflokomotive angeheizt werden.

Professor Clocchiatti, der seit fast dreißig Jahren jeden Ätna-Ausbruch untersucht, hat die Zusammensetzung der Lava von den ersten Ausbrüchen im Mai an analysiert. Der bis heute kontinuierlich angewachsene Magnesiumanteil beweise, so sagt der Wissenschaftler, dass das Gestein aus großer Tiefe komme. Und noch etwas zeigt Clocchiatti, indem er erkaltetes Geröll in der Hand zerreibt und dabei heller Sand zum Vorschein kommt. Beim Aufstieg nehme die Lava auch Teile des Sandbodens am Fuß des Berges mit auf und spucke gleichsam den Strand von Catania 3000 Meter höher wieder aus.

Dann greift Commissario Ferlito zum Funkgerät. Der Mittvierziger mit leuchtender Glatze, Sonnenbrille und kräftigen Oberarmmuskeln wirkt im militärischen Outfit und mit seiner Dienstwaffe am Gürtel wie einem New-York-Thriller entsprungen. Aber was macht er?

Er schickt per Funk einen seiner Agenten von der Station Nicolisi aus los, um frisches Brot zu kaufen. Und Wasser für die Pasta solle man auch schon mal aufsetzen. Er habe gerade einen guten Wein aus seinem Heimatdorf bekommen, erklärt Ferlito und lädt die Gruppe zum Essen in die kleine Kaserne der Station von Nicolisi ein. Dort bereitet der Commissario dann selbst den Sugo vor, holt Schafskäse aus dem Schrank und entkorkt den Wein.

Vom Fenster der Kaserne kann man den Ätna liegen sehen. Mit bloßem Auge sind die Rauchwölkchen über dem Strom des heißen Gesteins aber nur zu erahnen, der nachts so eindrucksvoll und ein bisschen beängstigend leuchtet.

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SZ vom 22.07.2008/mcs
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