Vulkan bei Neapel wird angebohrt:Die in der Hölle stochern

Phlegräische Felder

Ein Blick auf die Phlegräischen Felder bei Neapel. Nahe der italienischen Millionenstadt liegt ein Supervulkan.

(Foto: dpa)

In Süditalien schlummert ein Supervulkan, dessen Ausbruch eine globale Katastrophe auslösen könnte. Noch können Geologen den Zeitpunkt nicht einschätzen - und bohren deshalb ein Loch in die Tiefen des Monstrums.

Von Martin Kunz

Francesco Bruno hat eine charmante Art, die Teilnehmer zu einer Tour durch den süditalienischen Solfatara-Vulkan zu begrüßen. "Herzlich willkommen im Vorhof der Hölle. Da vorne ist das Fegefeuer", sagt der sonnengegerbte, hochbetagte Mann und deutet auf die Rauchschwaden, die an manchen Stellen hochsteigen. Der Vulkan galt bei den alten Römern als mystischer Eingang zur Unterwelt, erzählt Bruno, der seit Jahrzehnten Interessierte fachkundig durch die Solfatara führt.

Er drückt einen dicken Nagel in den mürben Boden und fordert die Gäste auf, den Zeigefinger ins Erdloch zu stecken. Die erste Testperson, ein Teenager aus München, verbrennt sich die Finger, was die Gluthitze in nur drei Zentimetern Tiefe eindrucksvoll demonstriert. "Brandblasen sind hier das typische Souvenir", scherzt Bruno.

In der Mitte des Kraters blubbert und zischt eine graubraune Flüssigkeit, die kochendem Pudding ähnelt. "Das ist Schlamm mit einer Temperatur von 120 bis 140 Grad", erklärt Bruno, "prima für Fango-Packung." Gespeist wird die Quelle von der enormen vulkanischen Hitze, die Grundwasser und Regenwasser mit den Sedimenten aufkocht. Das Fango-Loch wächst jedes Jahr, hat Bruno beobachtet. Zwar sind an vielen Stellen Schilder angebracht, die vor dem Betreten der abgesperrten Bezirke des Vulkans warnen. Das Risiko eines Ausbruchs nimmt aber kaum jemand ernst. Vielmehr steigt die Bebauung in Neapel und der Nachbarstadt Pozzuoli, selbst auf dem Kraterrand sind Mehrfamilienhäuser sowie ein Hotel entstanden und auf dem Grund des Solfatara-Vulkans lädt der Vulcano-Campingplatz zum besonders prickelnden Übernachtungsvergnügen ein.

Campi Flegrei heißt die Gegend westlich von Neapel, zu Deutsch "feurige Felder". Diese werden ihrem Namen auf fatale Weise immer wieder gerecht. Schon vor 2000 Jahren nutzten frühe Hedonisten die zahlreichen Heißwasser- und Schwefelquellen für die antike Wellness. Heute staunen Touristen im Krater des Solfatara-Vulkans über natürliche Saunen und Schwitzkammern im Felsen sowie Schwefeldämpfe, die aus dem Boden entweichen. Ob der Faule-Eier-Gestank noch therapeutisch wirkt - gegen Akne und Rheuma - oder bereits zu einer Schwefelvergiftung führt?

"Die Phlegräischen Felder sind ein Gebiet von mehreren Hundert Quadratkilometern, wo es brodelt und zischt", erklärt Thomas Wiersberg vom Geoforschungszentrum Potsdam. "Es gibt Fumarolen mit Wasserdampf, Mofetten mit Kohlendioxid und Schwefelgasaustritte sowie Thermalquellen." Wer mit Google-Earth oder aus dem Flugzeug die Phlegräischen Felder betrachtet, erkennt eine erstaunliche Kraterlandschaft, die von einem fruchtbaren grünen Teppich überzogen ist. Die sichtbaren Krater wie der Solfatara sind aber nur Überbleibsel kleinerer Eruptionen, der Supervulkan ist an sich mehr als 150 Quadratkilometer groß und liegt größtenteils unter Wasser.

Die Asche flog bis in die Russische Tiefebene

Vor 39.000 Jahren erschütterte eine der stärksten Eruptionen der jüngeren Erdgeschichte die Gegend. Der Vulkan schleuderte mehr als 250 Kubikkilometer Magma in die Luft - mehr als das Fünffache der Wassermenge des Bodensees. Nachdem sich die Magmakammern entleert hatten, sank die ganze Gegend um mehr als 100 Meter ab, Feuerstürme und Giftgas löschten jegliches Leben im Umkreis von mindestens 100 Kilometern aus.

Wissenschaftler vermuten, dieser Vulkanausbruch habe das Aussterben der Neandertaler eingeläutet. Die gewaltige Menge von Aschepartikeln in der Atmosphäre minderte die Sonneneinstrahlung, sie führte zu einem jahrelangen vulkanischen Winter sowie erheblichen Veränderungen in Flora und Fauna. Eine neue Computermodellierung der Universität Bayreuth macht die katastrophalen ökologischen Folgen des Ausbruchs vor 39.000 Jahren deutlich. "Wie noch heute auffindbare Reste der Vulkanasche zeigen, reichten die Auswirkungen dieser gewaltigen Eruption bis weit in die Russische Tiefebene, in den östlichen Mittelmeerraum und bis nach Nordafrika", erklärt Ulrich Hambach von der Universität Bayreuth.

Bislang vermuteten Forscher, dass auf dem Balkan maximal einige Zentimeter Vulkanasche niedergingen. Doch bei Untersuchungen in der rumänischen Steppenlandschaft an der unteren Donau stieß der Geomorphologe Hambach auf bis zu einen Meter dicke Schichten von Asche aus Süditalien. Womöglich müssen deshalb die Stärke und Auswurfmenge der Eruption vor 39.000 Jahren nach oben korrigiert werden, vermutet Hambach. Wiersberg bestätigt die Dramatik dieser Naturkatastrophe für die Welt der Steinzeit: "Es ist durchaus wahrscheinlich, dass dieser Ausbruch zum Aussterben der Neandertaler beitrug. Denn es gab damals nach dieser gewaltigen Eruption global eine deutliche Klimaveränderung."

Vor 12.000 Jahren fand erneut eine Großeruption statt, bei der etwa 40 Kubikkilometer Material ausgeworfen wurden. Der jüngste Ausbruch im Jahre 1538 ließ den Monte Nuevo und den Lago d'Averno entstehen, heute ein beliebter Kraterbadesee. Den Wissenschaftlern ist klar: Schon ein viel kleinerer Ausbruch als jene vor 39.000 oder vor 12.000 Jahren würde nicht nur Neapel und Süditalien gefährden, sondern die gesamte menschliche Zivilisation auf eine harte Probe stellen.

Ein verblüffendes Zeugnis der geologischen Urgewalt tragen die Säulen des Serapis-Tempels in der Stadt Pozzuoli im Westen Neapels. Die Tempelsäulen sind mit Löchern übersät, die von Muscheln stammen. Dieser Teil der Altstadt von Pozzuoli lag zeitweise unter dem Meeresspiegel.

Es gehört zur geologischen Geschichte der Phlegräischen Felder, dass sie durch die Kräfte aus dem Untergrund enormen Hebeprozessen oder Absenkungen ausgesetzt sind. Eine Art geologischer Fahrstuhl hebt Pozzuoli an und lässt das Gebiet wieder absinken - mitunter so stark, dass Stadtteile vom Meerwasser überspült werden und Jahre später wieder auftauchen. "Das können wenige Zentimeter pro Jahr sein oder mehr als ein Meter", beschreibt Wiersberg das relativ seltene Phänomen, das Experten Bradyseismus nennen. Zwischen 1969 und 1972 sowie zwischen 1982 und 1984 hob sich der Erdboden jährlich sogar um fast zwei Meter. Forscher hatten damals Alarm geschlagen, mehrere Gebiete evakuiert und viel Geld in Schutzmaßnahmen gesteckt. Doch es blieb ruhig.

Bis zu welcher Tiefe darf man den Vulkan anbohren?

Ob die Gegend aktuell von einem Ausbruch bedroht ist? "Das lässt sich leider nicht genau vorhersagen", bekennt der Potsdamer Forscher Wiersberg. Um die aktuelle vulkanische Aktivität bei Neapel zu erkunden und das Risiko eines Ausbruchs abschätzen zu können, wird die Region seit Jahrzehnten mit den modernsten Messmethoden überwacht. Das Satellitenradar ermöglicht es, Verformungen des Bodens im Millimeterbereich zu erfassen. Seismische Messungen, Magnetfeld- und Gasanalysen ergänzen das Arsenal der Vulkanologen. Mittlerweile gilt die Gegend von Neapel als die am besten überwachte Vulkanregion weltweit.

Im vergangenen Jahr haben Forscher ein spektakuläres Projekt gestartet: Sie bohrten den potenziellen Supervulkan unter den Phlegräischen Feldern an, um die rätselhaften Vorgänge im Boden zu entschlüsseln. Bei der ersten Probebohrung sind die Forscher bis in eine Tiefe von 500 Metern vorgedrungen. Die Bewohner Pozzuolis protestierten gegen das Bohrprogramm, weil sie befürchteten, die Bohrungen mit einem Durchmesser von bis zu 40 Zentimetern könnten womöglich den Austritt giftiger Gase, Explosionen oder gar einen Vulkanausbruch provozieren.

Forscher Wiersberg hält das für "unrealistisch und vollkommen ausgeschlossen". Die Magmakammer liege tiefer als 5000 Meter, und es sei nicht das Ziel, diese anzubohren. Vielmehr planen die Forscher, im Rahmen des internationalen Campi-Flegrei-Deep-Drilling-Programms (CFDDP) in möglichst großer Tiefe Messgeräte anzubringen, um Temperaturschwankungen, Druck, die Zusammensetzung der Gase und seismische Aktivität zu messen. Mit den Daten aus der Tiefe hoffen die Forscher, die Vorhersage möglicher Eruptionen und deren Stärke deutlich zu verbessern. "Dazu müssten wir bei den Phlegräischen Feldern in 1,5 bis 2 Kilometer Tiefe vordringen", erklärt Wiersberg. In den ursprünglichen Plänen waren sogar 3,8 Kilometer Tiefe vorgesehen.

Dort treiben jene Urgewalten ihr Unwesen, welche das Heben und Senken des Bodens, die Temperaturerhöhungen, die Gasaustritte sowie die seismische Aktivität antreiben. Vermutlich sind es besonders heiße Magmaströme, welche die Kruste darüber erhitzen. Das flüssige Magma dehnt sich aus und wölbt die Kruste auf - so die Theorie. Ein solches Szenario könnte auch erklären, warum gleichzeitig mit den Hebungen auch höhere Temperaturen und eine veränderte Gaszusammensetzung an den Fumarolen beobachtet werden. "Mit den bisherigen Messdaten von der Oberfläche gelingt eine Vorsage für die Phlegräischen Felder auf jeden Fall nicht - das wissen wir", sagt Wiersberg.

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