Vorwürfe gegen Stammzellforscher:"Ein Minenfeld von Widersprüchen"

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Er galt als Pionier der Stammzelltherapie, spritzte einem Infarkt-Patienten kühn Stammzellen ins Herz: der deutsche Kardiologe Bodo-Eckehard Strauer. Von britischen Forschern kommt nun scharfe Kritik, sie haben in seinen Studien zahlreiche Fehler entdeckt.

Von Christina Berndt

Einst galt der deutsche Kardiologe Bodo-Eckehard Strauer als Pionier der Stammzelltherapie am Herzen. Doch nun muss er sich erneut mit schweren Vorwürfen auseinandersetzen. Es ist nicht mehr nur das Universitätsklinikum Düsseldorf, das ein Verfahren wegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegen den ehemaligen Direktor der kardiologischen Abteilung eingeleitet hat. Nun üben auch Wissenschaftler des Imperial College in London öffentlich Kritik an Strauers Publikationen. Die Kardiologen Darrel Francis und Graham Cole sowie der Biologe Michael Mielewczik schreiben im International Journal of Cardiology, sie hätten mehr als 200 Widersprüche in Strauers Publikationen gefunden.

Die Resultate aus dem Strauer-Labor seien "wegen eines Minenfelds unüberbrückbarer Widersprüche zwischen den Arbeiten und sogar innerhalb der Arbeiten nahezu uninterpretierbar", lautet das Fazit der Londoner. Die Diskrepanzen seien so schwerwiegend, dass sie die Schlussfolgerungen, die Strauer und andere Wissenschaftler aus diesen Arbeiten zogen, zweifelhaft machten.

Der Kardiologe Peter Wilmshurst vom University Hospital of North Staffordshire wird noch deutlicher. Es gebe nur eine logische Möglichkeit: "Den Glauben an alle Daten in diesen Arbeiten aufzugeben, bis eine angemessene Untersuchung durchgeführt worden ist", schreibt er in einem Kommentar im International Journal of Cardiology. "Die Arbeiten werden so auseinandergenommen, dass nichts von ihnen übrig bleibt", meint der deutsche Stammzellforscher Hans Schöler, Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster.

Kühne Experimente mit Stammzellen

Die Kritik trifft einen prominenten Vertreter der Stammzellforschung. Bodo-Eckehard Strauer hatte im Jahr 2001 in einem kühnen Experiment weltweit als Erster einem Patienten Stammzellen aus dessen eigenem Knochenmark ins Herz gespritzt, um einen Infarkt zu heilen. Danach unternahm Strauer zahlreiche weitere Heilversuche und Studien an Patienten. Gegner der embryonalen Stammzellforschung feierten den Kardiologen, der ethisch unumstrittene Stammzellen von Erwachsenen benutzte. Es kam aber auch schon früh Kritik an der Seriosität des Professors auf, weil dieser schon mal einen Erfolg nach der Behandlung eines einzelnen Patienten proklamierte.

Ende 2012 wurden dann schwere Vorwürfe laut, wonach es in Strauers Veröffentlichungen zahlreiche Ungereimtheiten gebe. Das Klinikum leitete ein Untersuchungsverfahren ein. Strauer wies die Vorwürfe von sich. "Das ist alles absurd", teilte er über seinen Anwalt mit. Er vermutete eine Kampagne von Befürwortern der Forschung mit embryonalen Stammzellen.

Ob und wie sehr nicht nur die Wissenschaft, sondern auch Patienten Schaden genommen haben, kann das Universitätsklinikum Düsseldorf bis heute nicht sagen. Die Prüfungen seien noch nicht abgeschlossen, teilte eine Sprecherin mit. Tatsächlich dürften die Kommissionen eine Menge zu prüfen haben, wie das Papier aus London erahnen lässt.

Die Auffälligkeiten, die die Londoner Ärzte gefunden haben wollen, sind mannigfaltig: Einige von Strauers Ergebnissen seien mehrmals in unterschiedlichen Zusammenhängen publiziert worden. Es sei nicht immer sicher zu sagen, ob eine Studie randomisiert oder Placebo-kontrolliert war oder nicht, beklagen Francis, Cole und Mielewczik. Dabei sind das besonders wichtige Qualitätskriterien für klinische Studien.

Strauer ist sich keiner Schuld bewusst

Mitunter hat sich nach Angaben der Londoner Kardiologen die Zahl der angeblich behandelten Patienten auf nicht nachvollziehbare Weise verändert. In manchen Studien sei die Zahl der teilnehmenden Testpersonen als Prozentzahl angegeben worden, was einer fraktionierten Zahl an Menschen entspräche - zum Beispiel 122,3. An einer weiteren Studie sollen zwölf Personen teilgenommen haben, von denen Strauers Arbeitsgruppe zufolge neun männlich und eine weiblich waren. Die zwei übrigen seien "vermutlich Neutren", fügen Francis, Mielewczik und Cole mit britischem Humor hinzu.

Strauer ist sich seinem Anwalt zufolge keiner Schuld bewusst. Wenn es sich überhaupt um Fehler handle, dann seien diese versehentlich geschehen. So sei die Dezimalzahl an Patienten dadurch entstanden, dass Mittelwerte gebildet wurden. Das Geschlecht sei nicht immer dokumentiert worden. Und bei der Deklaration einer Placebo-Studie sei ebenso wie bei der doppelten Verwendung einer Abbildung ein Irrtum geschehen. Dadurch seien die wesentlichen Aussagen der Studien aber nicht verändert worden.

Der Frankfurter Professor Andreas Zeiher, der ebenfalls adulte Stammzellen in der Herzinfarkttherapie erforscht, nennt das "Ausmaß an Unvollkommenheit" in den Arbeiten Strauers "erschreckend und enttäuschend". Die britische Analyse sei "ein weiterer herber Schlag gegen das Feld der Stammzellmedizin, das große Erwartungen geweckt hat, aber durch unverantwortliche Wissenschaftler kaputt gemacht wird, die allein auf ihre eigene Agenda fokussiert sind".

Die Selbstheilungskräfte der Wissenschaft funktionierten keineswegs gut

Es gebe insgesamt ein erhebliches Problem mit unrichtigen Daten in der Wissenschaft, sagt der Kardiologe Georg Schmidt, Vorsitzender der Ethikkommission der TU München: Es sei "ausgesprochen positiv" zu werten, dass sich die britischen Kollegen nun so kampfbereit dieses Problems annähmen. Die Selbstheilungskräfte der Wissenschaft, wonach unkorrekte Arbeiten mit der Zeit auffielen, funktionierten nämlich keineswegs gut.

"Die wissenschaftliche Literatur absorbiert solche Arbeiten weithin unkritisch", warnen auch die Londoner. International seien die Veröffentlichungen Strauers mehrere tausendmal zitiert worden, ohne dass Ungereimtheiten entdeckt worden seien. Francis, Cole und Mielewczik haben zahlreiche Versuche unternommen, die Fachzeitschriften, in denen Strauer seine Ergebnisse publiziert hat, auf Widersprüche aufmerksam zu machen. In fast allen Fällen wurden sie abgewimmelt. Die Fehler seien nicht schwerwiegend genug für ein Erratum, lautete eine der Begründungen.

"Elendig unzureichend", seien diese Antworten der Journale, beklagt der Kardiologe Wilmshurst in seinem Kommentar. "Redakteure haben eine moralische Pflicht den Patienten gegenüber." Schließlich könnten medizinische Arbeiten, die unredlich oder nicht akkurat sind, nicht nur andere Wissenschaftler in die Sackgasse führen. Durch Behandlungen, die auf der Grundlage dieser Arbeiten vorgenommen werden, könnten auch Patienten leiden.

© SZ vom 05.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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