Vorurteilsforschung:Klickt da ein Rassist?

Frauen mit Kopftüchern

Ärztinnen? Anwältinnen? Was waren Ihre impliziten Assoziationen beim Betrachten dieses Fotos?

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Versteckte Vorurteile aufzudecken ist schwierig. Ein weitverbreiteter Test soll unbewusste Stereotype aufdecken, liefert aber oft falsche Ergebnisse. Womöglich konzentrieren sich die Forscher auf die falsche Frage.

Von Christoph Behrens

"Du verpflichtest dich beim Bund und wirst zu einem Soldaten - ich halte dich für einen Spaten. Du hast volle Mitgliedschaft bei den Freien Demokraten - für was ich dich halt, kannst du mal raten." Was, das sind alles nur Vorurteile? Aber nicht doch: "Ich habe keine Vorurteile, nur Araber haben Vorurteile." So offen und ironisch wie der Münchner Rapper Fatoni gehen die wenigsten mit ihren eigenen Ressentiments um. Im Gegenteil: Fragen Forscher Menschen offensiv, ob sie etwas gegen Einwanderer, Homosexuelle oder andere soziale Gruppen haben, antworten viele einfach das sozial Erwünschte.

Und zwar nicht unbedingt, weil die Befragten absichtlich lügen, sondern weil sie ihre innersten Vorurteile selbst gar nicht gut genug kennen, vermutete der amerikanische Psychologe Anthony Greenwald - und entwickelte ein Testverfahren, um diese geheimen Vorbehalte sichtbar zu machen. Dieser "Implizite Assoziationstest" (IAT) soll wie ein Trojanisches Pferd unerkannt in die Gedankenwelt vorstoßen und enthüllen, was Menschen "wirklich" denken. Probanden sehen am Computer eine schnelle Abfolge positiver und negativer Begriffe wie "prachtvoll", "Vergnügen" oder "abscheulich", diese müssen sie dann mit einem Tastendruck möglichst rasch Kategorien wie "Weiße oder Schwarze", "dicke oder dünne Menschen" zuordnen.

Beim Test auf Rassen-Vorurteile etwa sollen zuerst positive Begriffe mit weißen Gesichtern verbunden werden und negative mit schwarzen. In der zweiten Stufe wird das Ganze umgedreht: Jetzt assoziiert man negative Begriffe mit weißen Gesichtern und positive mit schwarzen, sodass jede mögliche Kombination erfasst wird. Millisekundengenau wird dabei die Reaktionszeit gemessen. Die Idee dahinter: Braucht jemand länger, um positive Worte für eine bestimmte soziale Gruppe zu finden als negative, so hat er wohl auch versteckte Vorurteile gegen sie.

Im Internet bietet die Harvard University einige der Tests für jeden zugänglich an. Millionen Menschen haben das Reaktionsspiel schon gemacht, der Gesellschaft stellen die Forscher damit kein gutes Zeugnis aus: Bei den weißen Amerikanern sollen drei von vier heimliche Ressentiments gegen Schwarze hegen. Selbst unter der schwarzen Minderheit hat noch die Hälfte Aversionen gegen die eigene Gruppe. Auch Schwulenfeindlichkeit und die Bevorzugung von Jüngeren gegenüber Älteren ist demnach weit verbreitet. (Unter diesem Link finden Sie die frei zugänglichen IATs auf Deutsch: "Project Implicit".)

"Vielfalt und Vorurteile: Wie tolerant ist Deutschland?" Diese Frage hat unsere Leser in der siebten Abstimmungsrunde des Projekts Die Recherche am meisten interessiert. Dieser Beitrag ist Teil eines Dossiers, das sie beantworten soll. Alles zur Toleranz-Recherche finden Sie hier, alles zum Projekt hier.

Als Greenwald den IAT 1998 vorstellte, löste das an den sozialwissenschaftlichen Instituten eine Art Lawine aus - endlich schien es möglich, das Unbewusste herauszukitzeln, versteckte Motive und Stereotype sichtbar zu machen.

Viele können den Vorurteils-TÜV täuschen

Mittlerweile sind viele Forscher ernüchtert. "Die Idee, dass man damit etwas völlig Unbewusstes messen kann, ist heute infrage gestellt", erläutert Malte Friese vom Lehrstuhl für Sozialpsychologie der Universität des Saarlandes. Tatsächlich könnten viele Menschen, klärt man sie im Vorfeld über den Sinn des Tests auf, bereits ganz gut voraussagen, welches Ergebnis herauskommt, sagt Friese. Auch die Idee, der IAT messe die "wahre" Einstellung einer Person, ist dem Psychologen suspekt. "Eine Assoziation zu haben, bedeutet noch nicht, dass man sie selber gut findet", sagt Friese. Ein Beispiel: Wer in einer glücklichen Beziehung ist, kann sich dennoch zu einer anderen Frau hingezogen fühlen. Beide Gefühle sind zwar da, doch der Verstand verhindert, dass man das als unrichtig Empfundene auch auslebt. Ähnlich sei es beim Messen von Vorurteilen, argumentiert Friese. "Das Ergebnis des IAT zeigt weder, ob man einem Vorurteil bei einer direkten Frage zustimmt, noch ob man eigene Vorurteile auch auslebt." Wer also Schwarze häufiger mit negativen Begriffen assoziiert, wird sie nicht zwangsläufig auch im Alltag benachteiligen oder auf der Straße verprügeln.

Zudem lässt sich die Vorurteilsmessung wohl austricksen. In Experimenten ersetzten die Psychologen Klaus Rothermund und Dirk Wentura die Kategorien Gut/Schlecht mit neutralen Wörtern oder Kauderwelsch - und konnten dennoch einen Effekt messen. Wie vertraut ein Wort oder eine Kategorie sei, beeinflusse die Reaktionsgeschwindigkeit und verzerre daher den Test, vermuten sie. Mit Stereotypen habe das wenig zu tun. "Dass sich der IAT überlisten lässt, steht außer Frage", meint Klaus Fiedler von der Universität Heidelberg. In Experimenten überprüfte der Sozialpsychologe die ausländerfeindliche Einstellung gegenüber Türken. Als er die Probanden über den Test aufklärte und ihn wiederholen ließ, verpufften die vermeintlichen Vorurteile. Selbst als er andere Probanden in einem zweiten Durchlauf nicht über den Mechanismus unterrichtete, konnten diese den IAT überlisten.

Warum Vorurteile in der Kindheit normal sind

Obwohl die methodischen Mängel seit Jahren bekannt sind, ist der IAT in der Stereotypen-Forschung weit verbreitet. "In einer großen Stichprobe sind mit dem IAT gewiss Vorhersagen über Vorurteile möglich", sagt Malte Friese. Das legten einzelne Studien nahe. Für eine einzelne Person sei eine Vorhersage aber nicht seriös möglich. "Für diagnostische Zwecke ist das unverantwortlich, da kommt man in Teufels Küche", warnt Fiedler. Genau das haben jedoch einzelne Anwendungen im Sinn: In den USA nutzten Arbeitgeber schon seit Jahren IATs, berichtet Fiedler, um vermeintlich sexistische Bewerber auszusortieren.

So einfach ist es also nicht, Vorurteile zu messen. Vielleicht stellen Psychologen aber auch einfach die falsche Frage. Die könnte auch lauten: Wie lassen sich starke Vorurteile ganz verhindern?

Dazu muss man wissen, dass Vorurteile völlig normal sind. Ohne Schubladendenken könnte der Mensch gar nicht reifen. "Schon mit drei oder vier Jahren lernen Kinder, zwischen Jungen und Mädchen zu unterscheiden und das eigene Geschlecht ein Stück weit zu bevorzugen", sagt der Psychologe Andreas Beelmann von der Universität Jena. Mädchen können nicht so gut Fußball spielen aber besser tanzen, und von Autos haben sie eh keine Ahnung. Solche frühen Stereotype seien wichtig, um "die Vielfalt der Informationen über die soziale Umwelt übersichtlicher zu gestalten", sagt Beelmann. Und die Abgrenzung zu anderen diene dazu, eine eigene Identität aufzubauen. Im Alter zwischen fünf bis sieben Jahren wachsen Vorurteile weiter. Erst in der Schule lernen die meisten Kinder zu differenzieren und in mehreren Kategorien zu denken. Ein Mädchen kann dann auch eine gute Fußballerin sein, ein ausländischer Mitschüler wird nicht mehr nur über seine Nationalität wahrgenommen. Viele der anfänglichen Stereotype bröckeln.

Fehlt das Fremde, setzen sich Stereotype fest

Problematisch wird es, wenn dieser Entwicklungsschritt ausfällt oder hintertrieben wird. "Viele Kinder von Israelis und Palästinensern bekommen ständig bestimmte negative Stereotype von außen mitgeteilt", sagt Beelmann. Da sei es "nachgerade ein Wunder, wenn jemand ohne Vorurteile aufwächst". Oder es fehlt schlicht der Kontakt zu anderen sozialen Gruppen. Dann bleiben die Vorurteile bestehen oder steigern sich zu extremen Einstellungen. Das könnte erklären, warum rechtsextreme Einstellungen besonders dort verbreitet sind, wo der Ausländeranteil am niedrigsten ist.

Genau in diesem für Toleranz wichtigen Alter von sieben bis zehn Jahren setzt daher ein Präventionsprogramm in Thüringen an, das Beelmanns Arbeitsgruppe mitentwickelt hat - eines der größten in Deutschland. Die Wissenschaftler gehen in Klassenzimmer und üben mit den Kindern, sich in die Situation von Einwandererkindern zu versetzen. Oder sie bringen die Kinder von Migranten gleich mit an die Schulen. "In Thüringen hatten wir das Problem, dass es nur sehr wenige Migrantenfamilien gibt", sagt Beelmann. Daher dachten sich die Psychologen teilweise Abenteuer aus, die Kinder fremder Herkunft erleben, und diskutierten sie mit den Schülern.

Die Psychologen konnten zeigen, dass das kulturelle Wissen der Kinder im Vergleich zu einer Kontrollgruppe deutlich stieg, die Vorurteile gegenüber Kindern anderer Ethnien sanken. Das Projekt läuft seit acht Jahren, die ersten Kinder aus der Studie sind etwa 15. Erste Ergebnisse aus einer Nachfolgeerhebung machen die Jenaer Wissenschaftler optimistisch: Zwischen Jugendlichen, bei denen die Psychologen interveniert haben und anderen 15-Jährigen ließen sich jetzt noch Unterschiede ausmachen, so Beelmann: "Sie haben insgesamt tolerantere Einstellungen, treten häufiger mit anderen Ethnien in Kontakt und sind rechten Gruppen weniger zugeneigt."

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