Vorsorge:Cholesterinsenker für alle?

Eine US-Studie empfiehlt auch scheinbar Gesunden, Medikamente einzunehmen. Das freut die Pharmaindustrie - aber viele Experten sind skeptisch.

Christina Berndt

Alle Menschen sind behandlungsbedürftig - nicht nur die offenkundig Kranken. Diesen Eindruck weckt die Pharmaindustrie gerne; und mit einer neuen, aufsehenerregenden Studie scheint ihr das nun abermals zu gelingen.

Die Untersuchung, die gerade online im Fachblatt New England Journal of Medicine publiziert wurde, zieht folgenden Schluss: Viele Millionen Menschen würden davon profitieren, Medikamente gegen einen erhöhten Cholesterinspiegel zu schlucken - auch wenn sie gar keinen erhöhten Cholesterinspiegel haben.

Selbst bei augenscheinlich gesunden Personen würden die auch Statine genannten Arzneien das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall senken. Die Studie wurde von Kardiologen am Brigham and Women's Hospital in Boston koordiniert, aber von der Pharmafirma Astra Zeneca bezahlt, die ein Statin in ihrer Produktpalette hat

Fast 18.000 ältere Menschen wurden für die Studie unter die Lupe genommen. Keiner von ihnen hatte zu viel Cholesterin im Blut, niemand bereits einen Herzinfarkt erlitten. Dafür hatten die Probanden erhöhte Werte von einem etwas mysteriösen Eiweiß namens CRP (für C-reaktives Protein), das unspezifisch auf eine Entzündung im Körper hinweist.

"Das waren keine pumperlgesunden Menschen"

Einmal täglich ein Statin - und diese ganz normalen Menschen erlitten in den nächsten zwei Jahren nur halb so häufig einen Schlaganfall, brauchten nur halb so oft eine Bypass-Operation und hatten ein um 20 Prozent geringeres Todesrisiko als die Kontrollgruppe, die statt des Statins ein Placebo einnahm.

Der Siegeszug der Statine, die schon heute zu den umsatzstärksten Arzneien zählen und deren noch breiterer Einsatz immer wieder gefordert wird, scheint unaufhaltsam.

US-Herzspezialisten wie Elizabeth Nabel vom National Heart, Lung and Blood Institute prophezeien bereits eine Umwälzung ihrer praktischen Tätigkeit. Deutsche Kardiologen betrachten das Geschehen dagegen gelassen: "Es ist Augenwischerei, die Testpersonen als gesund zu bezeichnen", sagt Melchior Seyfarth vom Deutschen Herzzentrum München. "Das waren keine pumperlgesunden Menschen." Immerhin hätten 40 Prozent ein metabolisches Syndrom mit Bluthochdruck, Übergewicht und erhöhten Zucker- und Fettwerten entwickelt, auch "das tödliche Quartett" genannt.

Das Herz solcher Menschen sei bekanntermaßen bedroht, sagt Seyfarth. "Wir hätten ihnen allerdings statt eines Statins eine Änderung des Lebensstils empfohlen." Schließlich haben Statine im Gegensatz zu mehr Bewegung, weniger Essen und weniger Rauchen auch Nebenwirkungen. Außerdem schütze schon die Blutdrucksenkung allein das Herz erheblich. Den CRP-Spiegel hält Seyfarth dagegen für einen unzulänglichen Messwert, zumal er "extremen individuellen Schwankungen unterlegen" sei.

Seyfarth zieht daher einen anderen Schluss aus der neuen US-Studie: "Wir sollten uns nicht in die Tasche lügen - das gilt nun noch mehr als bisher", so der Herzspezialist. "Auch wenn Patienten mit Risikofaktoren vermeintlich gesund sind, sollten wir sie so effektiv wie möglich behandeln. Das kann die Verschreibung eines Statins bedeuten, das muss es aber nicht."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: