Vogelsterben:Die Stille in der Feldmark

Rebhühner

Rebhühner finden in der modernen Agrarlandschaft immer weniger Schutz und Nahrung.

(Foto: dpa)

Manche Vogelarten wie Rebhuhn oder Feldlerche sind in Deutschland in den vergangenen Jahren um mehr als 95 Prozent zurückgegangen. Schuld daran ist die moderne Landwirtschaft.

Von Stefan Börnecke

Die Bremsung auf der Wiese kam zu spät: Lucas Häusling hatte das Rebhuhn noch erwischt. Zerfleddert im Kreiselmäher. "Mist", fluchte der Jungbauer aus Bad Zwesten-Oberurff in Nordhessen. Der Hahn war davon geflitzt, aber die Henne, die war tot. Aus dem Nest gemäht. Und die Eier des Rebhuhnpaars? Da lagen sie, dicht am Rad des Bulldogs, 15 Eier unversehrt, eines nur zerstört. Was tun mit dem Gelege einer einst häufigen Feld-Vogelart? Konnte Häusling wenigstens den Nachwuchs retten?

Da kam Vera Grenner ins Spiel. Sie lebt in Betzigerode, einem Ort ganz in der Nähe des Geschehens. Sie ist Tierliebhaberin, Ornithologin, Kunsthandwerkerin, eine Frau mit dem gewissen Händchen für alles, was mit der Natur zu tun hat. Familie Häusling rief sie an. Vera Grenner erklärte sich spontan bereit, Hebamme für die Rebhühner zu spielen, die später ausgewildert werden sollten.

Das im Sommer 2015 ausgemähte Nest, aus dessen Gelege nach 25 Tagen zehn putzmuntere Küken schlüpften, gilt heute als Startpunkt für ein Projekt, das Stefan Stübing, Vize-Chef der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz, als "SOS im Ackerland" betitelt. Stübing entwickelte zusammen mit Vera Grenner und vor allem in Kontakt zu Göttinger Rebhuhn-Forschern ein Konzept, mit dem der Bestand rund um Bad Zwesten binnen weniger Jahre vervierfacht werden soll.

Die Faktenlage ist dramatisch: Allein die Jäger Hessens schossen vor 60 Jahren noch rund 100 000 Vögel. Pro Jahr. Heute gilt ein Jagdverzicht und die ganze Population liegt bei gerade mal 3000 Individuen, andere Schätzungen vermuten sogar gerade noch 1000 hessische Vögel. Insgesamt geht man in Europa von einem Bestandsrückgang von 94 Prozent seit 1980 aus. Lokal ist es bereits verschwunden.

Immer weniger Schutz und Nahrung

Für den Kollaps des Rebhuhns gibt es eine Reihe von Gründen: Verlust an Hecken, Brachen und Graswegen, größere Felder. Vorgezogenes Mähen und Ernten, zu einem Zeitpunkt, wenn das Rebhuhn, aber auch Lerche, Wiesenweihe oder Grauammer noch Küken füttern. Nester legt das Rebhuhn fast ausschließlich in vorjähriger Vegetation an, doch welcher Bauer lässt Altgras oder Altstauden bis ins Frühjahr stehen?

Hinzu kommt ein immer bedrohlicherer Insektenmangel in den Feldern durch Pestizideinsatz. Die Gifte wirken direkt oder indirekt. So sinkt durch Herbizide zunächst die Artenzahl der (Un-)Kräuter in den Feldern, damit wird in der Folge auch die Zahl der von den Pflanzen abhängigen Insekten dezimiert.

Die Landschaft beeinflusst auch das Risiko, Opfer von Raubtieren zu werden. So haben Studien gezeigt, dass sich Fuchs und Rebhuhn in strukturell verarmten Landschaften mit höherer Wahrscheinlichkeit über den Weg laufen. Denn beide suchen die übrig gebliebenen "Extensivstrukturen" in der Landschaft auf - und prallen aufeinander, was das Rebhuhn selten überlebt.

Eckhard Gottschalk vom Johann-Friedrich-Blumenbach- Institut für Zoologie und Anthropologie in Göttingen und Werner Beeke von der Biologischen Schutzgemeinschaft Göttingen arbeiten seit Jahren für das Rebhuhn. Ihr Team hat dessen Jahreslauf minutiös beschrieben und dabei Überraschendes entdeckt. So beginnen Rebhühner mit dem Brüten später als gedacht, erst Ende April, und manche Hühner starten sogar erst Ende Juni. "Aus dem Gröbsten sind sie erst Ende August bis Ende September heraus", sagt Gottschalk. Das hat Konsequenzen: Blühstreifen, in denen Rebhühner die Insektennahrung für ihre Küken und Deckung finden, dürften vor Ende August nicht gemäht werden, denn sonst "überlebt mehr als die Hälfte der Hennen den Sommer nicht. Sie werden auf dem Nest erwischt".

Manche Bestände sind um fast 100 Prozent geschrumpft

Das Risiko für die Henne, von einem Fuchs oder anderen Beutegreifer erwischt zu werden, ist in weniger als zehn Meter breiten Landschaften "doppelt so hoch wie in breiteren und flächigen Strukturen", also etwa spät gemähtem Grünland oder Brachen. "Nester in Linearstrukturen", wie etwa langen Zuckerrübenreihen, "bergen also offensichtlich ein höheres Risiko, von Prädatoren aufgefunden zu werden", schreiben die Experten. Zudem scheinen Blühstreifen mitten im Feld statt am Wegrand tauglicher zu sein, da sie abseits der Fuchs-Trampelpfade liegen. Manche Blühstreifenprogramme der Länder nehmen darauf aber nicht ausreichend Rücksicht. Drei Meter breite Streifen (wie in Bayern) oder nur fünf Meter breite (wie in Hessen) wären nach den Erkenntnissen des Projekts zu schmal.

Im Projekt in Göttingen ging man einen anderen Weg, der auch das Insektenleben bereichert. Im ersten Jahr wird der Streifen gesät, im zweiten die Hälfte jeden Blühstreifens neu bestellt. Auf dem unbearbeiteten Teil verbleibt die vorjährige Vegetation. Ideal für den Nestbau.

Doch die Populationen wieder zu vergrößern ist aufwendig und teuer. Um 1000 Rebhuhn-Paare zu erhalten, sind 1500 Hektar Blühstreifen nötig. Das kostet bei einer Entschädigung von 975 Euro im Jahr 1,4 Millionen Euro. Oder 731,25 Euro je Huhn.

Der Rückgang ist wohl höher, als offizielle Zahlen es nahelegen

Der negative Einfluss der modernen Landwirtschaft und der Agrarpolitik zeigt sich auch bei anderen Vogelarten. Der Indikator "Artenvielfalt und Landschaftsqualität", erhoben vom Bundesamt für Naturschutz als Teil der Erfolgskontrolle der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt, liegt für den Bereich Agrar bei gerade 61 Prozent. Angestrebt werden 100 Prozent, das Ziel wird seit Jahren verfehlt.

Doch stimmen diese Zahlen überhaupt? Oder ist alles viel schlimmer? Denn der Indikator geht von dem Stichjahr 1990 aus und damit von einem Zeitpunkt, zu dem ein großer Teil der einst vorhandenen Vielfalt bereits vernichtet war. Das wird an folgendem Rechenbeispiel deutlich: Wenn Ornithologen heute beklagen, dass in den letzten 35 Jahren die Zahl der Rebhühner um mehr als 90 Prozent zurückgegangen ist, dann unterschlägt diese Aussage stets den Ausgangswert. Der dürfte bereits in den 1980er Jahren bei vielleicht 20 Prozent des Werts gelegen haben, der noch in den 1950er Jahren galt und bei zehn Prozent, zieht man die Bestände von vor 80 Jahren heran. Ergo: Lebten in einer Gemarkung 1955 noch 100 Rebhühner, waren es 1980 noch 20 - und heute sind noch ein oder zwei übrig geblieben.

Dieser brutale Rückgang wird genauso bei der Grauammer beobachtet. So haben Untersuchungen des Ornithologen Ralf Joest gezeigt, dass von einst 1800 singenden Grauammern im EU-Vogelschutzgebiet Hellwegbörde so gut wie keine mehr übrig geblieben ist: Die Art sei in der Kulturlandschaft am Südostrand der westfälischen Bucht in Nordrhein-Westfalen "praktisch ausgestorben" - obwohl dort vor zehn Jahren extra ein Schutzprogramm aufgelegt wurde.

Auch bei der Grauammer sind jüngere Zahlenvergleiche verharmlosend. Wenn man nur die vergangenen 20 Jahre betrachtet, dann ergibt sich zwar auch schon ein Rückgang um fast 100 Prozent, und zwar von rund 150 Paaren auf ein bis zwei. Geht man weiter in die Vergangenheit zurück, verzehnfacht sich das wahre Desaster, denn es waren Anfang der siebziger Jahre 1800 Reviere. Joests trauriges Fazit: Wer heute mit der Erfassung der Arten beginnt, "der bekommt den Verlust überhaupt nicht mehr mit".

Ganz ähnlich die zeigt sich das bei der Feldlerche: Allein zwischen 1998 und 2015 sackte die Population der Feldlerche deutschlandweit um mindestens 20 Prozent ab, in Schleswig-Holstein hat sie sich halbiert, in den Landkreisen Offenbach und Main-Taunus am Rande von Frankfurt schrumpfte die Population um 60 Prozent. "Mindestens dort ist in 20 Jahren ein Aussterben wahrscheinlich", prophezeit Stübing.

Diesem Drama steht ein Hoffnung machendes Projekt entgegen, das zeigt: Wenn man sich dem Schutz einer Art besonders widmet, dann kann sich der Erfolg auch einstellen. Am Federsee in Oberschwaben gelang es durch Schutz und Pflege der Lebensräume, den Trend umzukehren. 1980 lebten in den Feuchtwiesen 60 bis 80 Paare des Braunkehlchens. Heute sind es dreimal so viele, 170 bis 230. In ihrem Gefolge fühlen sich Wiesenpieper, Feldschwirl und Rohrammer wohl. Möglich wurde der Aufschwung durch die Überschwemmung einst von der Landwirtschaft trocken gelegter Wiesen, aber auch durch einen Rückzug der Landwirtschaft aus Moor und Feuchtwiesen.

Doch solche Erfolge sind selten. Vor 50 Jahren war das Braunkehlchen ein Allerweltsvogel und Profiteur der Dreifelderwirtschaft, bei der immer ein Acker brach lag und alte Pflanzenstängel als Ausguck nach Nahrung sowie zur Reviermarkierung stehen blieben. Heute ist der leichte Vogel in die ökologische Falle von Insektenschwund und frühe Mähtermine geraten. Ganz wie das Rebhuhn.

Dieser Text ist zunächst in einer Sonderausgabe der Zeitschrift natur erschienen, dem Magazin für Natur, Umwelt und besseres Leben. Er erscheint hier in einer Kooperation.

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