Süddeutsche Zeitung

Vogeljagd:Sicher ins Winterquartier

Bis zu 100 Millionen Vögel werden in Europa jedes Jahr illegal getötet - vor allem Zugvögel. Doch Tierschützer melden erste Erfolge im Kampf gegen die verbotene Jagd.

Daniel Lingenhöhl

Sigmars Reise endete früh. Ein Schuss holte den brandenburgischen Schreiadler im vergangenen September vom Himmel über Malta. Obwohl Naturschützer das verletzte Tier aufsammelten und per Flugzeug in die Tierklinik der Freien Universität Berlin bringen ließen, überlebte er nicht.

Die Ärzte mussten den Greifvogel wenige Wochen später wegen einer infizierten Wunde einschläfern. Ein bitterer Verlust, denn in Deutschland leben nur noch 90 Paare dieser Art. Auch auf Sigmar ruhte die Hoffnung, dass sich die Schreiadler-Population erhalten lässt.

Erwischt hat es den Adler auf seinem Jungfernflug ins afrikanische Winterquartier. Ein Schicksal, das viele Vögel auf dem Weg nach Süden ereilt. "Insgesamt dürfen in Europa etwa 120 Millionen Vögel legal getötet werden. Dazu kommen aber 30 bis 100 Millionen gewilderte Tiere", sagt Alexander Heyd vom Bonner Komitee gegen den Vogelmord. Nur ein Teil davon betrifft Arten wie die Ringeltaube und die Stockente, die sehr häufig sind, oder den von Jägern gehegten Fasan.

Vor allem Zugvögel werden geschossen: Wachteln, Drosseln, Lerchen und Nachtigallen ebenso wie seltene Falken oder Watvögel. "In Deutschland steht der Kiebitz auf der Roten Liste, aber in Frankreich wird er legal gejagt", sagt Martin Schneider-Jacoby von Euronatur in Radolfzell. "Allein diese Abschüsse übersteigen die Zahl der hier lebenden Tiere um das Vierfache."

Viele Arten schwinden europaweit

Viele Arten schwinden deshalb europaweit, ein Viertel der offiziell jagdbaren Vögel ist betroffen. "Neben Veränderungen in der Landnutzung spielt die Jagd eine wichtige Rolle beim Artenrückgang. Bisweilen trifft sie ins Herz der Bestände", bestätigt Hans-Günther Bauer vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell.

Naturschützer kämpfen teilweise seit Jahrzehnten gegen die illegale Vogeljagd und sammeln verbotene Netze oder Leimfallen ein, erstatten Anzeigen, informieren die Öffentlichkeit und erzeugen politischen Druck. Das zahlt sich zunehmend aus - in Italien etwa, das lange als klassisches Jägerparadies galt.

"Italien ist das beste Beispiel, was Aufklärung und strengere Durchsetzung der Gesetze bewirken", sagt Alexander Heyd. Von einst 2,6 Millionen Jägern blieb nur etwas mehr als ein Viertel übrig. Die Zahl legaler Fanganlagen schrumpfte auf ein Hundertstel. Verkauf und Import getöteter Singvögel wurden verboten, die Zahl der zum Abschuss freigegebenen Arten und die Jagdzeiten drastisch beschränkt.

Selbst die früher notorische Wilderei ist vielerorts gebannt. Italiens Forstpolizei bekämpft die illegale Jagd mittlerweile effektiv. Auch prominente Funktionäre bekämen dies zu spüren, sagt Heyd. Der Präsident des süditalienischen Jagdverbandes musste ebenso büßen wie ein bekannter Feinkoch von Ischia, der Nachtigallen für seine Küche fing.

Es ist das "Wunder von Süditalien", so Alexander Heyd enthusiastisch, "die heutige Situation ist kein Vergleich mehr zu früher". Martin Schneider-Jacoby schließt sich an: "Da viele Schutzgebiete nun tabu sind für die Jagd, kehren seltene Vögel wie der Löffler nach Italien zurück."

Auch in anderen Ländern waren die Kampagnen erfolgreich. Belgien untersagte den Fang von Singvögeln, Deutschland und die Niederlande schränkten die Jagd auf Gänse ein, die als arktische Gäste im Wattenmeer überwintern.

Die Slowenen sind laut Schneider-Jacoby sogar die Musterschüler Europas. "Sie schießen keine Zugvögel mehr. Das ist die konsequente Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie." Das Gesetzeswerk regelt seit 1979 den Schutz wilder Vögel in der Europäischen Union und ist die beste rechtliche Waffe der Jagdgegner. Malta allerdings muss sich demnächst wegen einiger Verstöße vor dem Europäischen Gerichtshof verantworten.

Tod in der Steinquetschfalle

Günther Bauer erkennt die Fortschritte an, doch gehen sie ihm zu zäh voran. "Wir verlieren weiterhin jedes Jahr Millionen Vögel. Und es werden längst nicht alle Arten geschützt, denen es schlecht geht", kritisiert der Ornithologe. Das Gesetz sei noch lückenhaft und werde nicht immer konsequent durchgesetzt.

Zumal es immer wieder Rückschläge gibt, wie Alexander Heyd beklagt: "Frankreich erlaubt zum Beispiel wieder Steinquetschfallen, die Singvögel durch umfallende Steine erschlagen." Malta, Zypern und die Balkanstaaten bereiten Schneider-Jacoby Sorgen: "Die Zustände sind bisweilen katastrophal."

Anlass genug, dort verstärkt aktiv zu werden. Immerhin: "Wohl erstmals seit Jahrhunderten wurde dieses Jahr die Frühjahrsjagd auf Malta verboten", sagt Heyd. Der Widerstand erzürnt die Jäger und radikalisiert sie. Doch die Malteser seien zunehmend genervt, denn die Jäger ruinierten das Image des Landes, sagt Heyd.

Derzeit überleben mehr Vögel den Flug über Malta, der wichtigsten Zwischenstation im Mittelmeer auf dem Weg von und nach Afrika. "Wir beobachteten in diesem Jahr viele seltene Vögel, die statt gehetzt weiter zu ziehen singend auf Leitungen und Bäumen saßen", sagt Heyd und verspricht: "Wir machen weiter."

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SZ vom 02.07.2008/mcs
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