Wenn Gartenrotschwanz, Pirol und Neuntöter in diesen Wochen aus ihren afrikanischen Winterquartieren zurückkehren, haben sie eine Reise von vielen Tausenden Kilometern hinter sich. Besonders heikel sind die Passagen über das Mittelmeer und die Sahara. Dort können sie nicht zwischenlanden, weil sie entweder ertrinken oder verhungern würden. Um diese lebensfeindlichen Gebiete möglichst schnell hinter sich zu lassen, verlängern die eigentlich in der Nacht ziehenden Singvögel ihre Flugzeit notgedrungen und ziehen auch am Tag weiter - so lange, bis sie wieder festen und nahrungsreichen Boden unter den Füßen haben.
Dieses Verhalten konnten Forscher bereits vor einigen Jahren anhand von Radarstudien und vor allem dank des Einsatzes kleiner Datenschreiber bestätigen, die an den Vögeln befestigt werden. Im Zuge einer Studie mit weiterentwickelten Datenloggern, die sie 14 Drosselrohrsängern - eine knapp starengroße Singvogelart, die an schilfbewachsenen Seen brütet - umschnallten, stießen schwedische Forscher nun auf ein bislang völlig unbekanntes Verhalten der Zugvögel: einer Art himmlischer Berg- und Talfahrt.
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Bei Anbruch des Tages stiegen einige Rohrsänger sogar in 6300 Meter Höhe auf
Die Auswertung der Datenschreiber ergab, dass die Vögel über "ökologischen Barrieren" wie dem Mittelmeer und der Wüste bis zu 34 Stunden ohne Zwischenlandung flogen und dabei zweimal am Tag abrupte Höhenwechsel über mehrere Kilometer vollzogen. Während die Rohrsänger nachts auf einer Höhe von etwa 2000 Metern flogen, wechselten sie mit Tagesanbruch in einen steilen Steigflug, mit dem sie innerhalb von nur einer Stunde ihre Flughöhe noch einmal mehr als verdoppelten. In einer Reiseflughöhe von fortan durchschnittlich fünfeinhalb Kilometern - einige Rohrsänger stiegen sogar in 6300 Meter Höhe auf - flogen sie bis zur Abenddämmerung.
Dann wiederholte sich das Spiel mit umgekehrten Vorzeichen. Im steilen Sinkflug stießen die Vögel um 3000 bis 4000 Meter hinab und setzten ihren Flug in der folgenden Nacht in 2000 Metern Höhe fort. Die Ergebnisse der im Fachjournal Science veröffentlichten Studie gelten in Forscherkreisen auch deshalb als kleine Sensation, weil sie helfen könnten, die Frage zu beantworten, warum Singvögel nachts und nicht am Tag ziehen.
Eine eindeutige Erklärung, warum die Vögel diese kraftraubende Prozedur absolvieren, hat Studienleiterin Sissel Sjöberg von der Universität Lund noch nicht. Sie ist sich aber sicher, ein universelles Muster entdeckt zu haben: "Alle Rohrsänger der Studie haben das gleiche Verhalten über der Wüste und dem Meer gezeigt. Sie müssen also aus einen Grund da oben sein, etwas zwingt sie dazu." Naheliegende Erklärungsversuche für das energiezehrende Verhalten wie günstigere Windverhältnisse in höheren Lagen schließen die Forscher aus: "In Höhen über 2000 Metern ändern sich Winde fast nicht, wenn man nur vom Tag in die Nacht wechselt oder umgekehrt", sagt Sjöberg.
Weitere Hypothesen sind, dass Vögel in größerer Höhe weiter sehen und Feinden wie Greifvögel aus dem Weg gehen könnten. Auch das überzeugt die Ornithologen nicht wirklich. Am plausibelsten hält Sjöberg die Annahme, dass die Vögel mit dem Aufstieg eine Überhitzung und damit das Risiko eines tödlichen Kreislaufschocks vermeiden. "Wenn die Vögel auf 5400 Meter aufsteigen, erreichen sie eine Luftschicht mit einer Temperatur von etwa minus neun Grad - das sind 22 Grad kälter als die Höhe, in der die Vögel in der Nacht fliegen", erklärt Sjöberg. Blieben die Vögel am Tage auf ihrer nächtlichen Zughöhe, seien sie aber nicht nur um mehr als 20 Grad höheren Temperaturen ausgesetzt, sondern sie bekämen auch noch die Hitze der Sonneneinstrahlung ab.
"Ziehende Vögel schlagen mehrere Male pro Sekunde mit den Flügeln, sie arbeiten also extrem hart, was ihren Körper sehr warm macht, egal ob sie bei Tag oder bei Nacht fliegen", sagt die Biologin. "Es ist wahrscheinlich, dass sie es nicht schaffen würden, tagsüber zu fliegen, ohne sich zu überhitzen, wenn sie nicht in diese extremen Höhen aufsteigen würden", glaubt auch Studien-Co-Autor Dennis Hasselquist.
Die neuen Erkenntnisse stützen auch eine der Hypothesen zu der Frage, warum Singvögel überhaupt nachts ziehen, während sie den Rest des Jahres tagsüber aktiv sind und nachts schlafen. Vereinfacht gesagt: Wo es zu heiß ist, suchen Lebewesen Schatten. Den gibt es tagsüber am Himmel aber nicht. "Wahrscheinlich ist es ihre Art, Abkühlung zu finden", glaubt Sjöberg.