Biologie:Ein flatterhaftes Glück

Biologie: Dieser bunte Vogel gehört zur großen Familie der Fliegenschnäpper.

Dieser bunte Vogel gehört zur großen Familie der Fliegenschnäpper.

(Foto: James Eaton/Birdtour Asia)
  • Der Biologe Frank Rheindt konnte bereits mehr als 8000 der 11 000 weltweit bekannten Vogelarten entdecken.
  • Für seine jüngsten Endeckungen ging er nach einer eigens entwickelten Strategie vor.
  • Eine der neuen Arten benannte er nach dem im vergangenen Herbst verstorbenen indonesischen Präsidenten Jusuf Habibie und eine weitere nach dem langjährigen Umweltminister des Inselstaates.

Von Thomas Krumenacker

Ausgerechnet jetzt öffnet der Himmel seine Schleusen. Der Biologe Frank Rheindt hatte die Expedition monatelang vorbereitet. Er hatte Tage in einem Dorf am Fuße des Bergs verbracht, um das Vertrauen der Einheimischen zu gewinnen und schließlich den mühsamen Aufstieg auf entlegenen Pfaden durch den Regenwald der Pazifikinsel Taliabu unternommen. Alles, um Vögel zu beobachten.

Rheindt, Professor an der National University in Singapur, hat bei seiner Forschung auf allen Kontinenten schon mehr Vogelarten gesehen als die allermeisten Menschen. Mehr als 8000 der rund 11 000 weltweit vorkommenden Arten konnte er schon beobachten. An diesem Aprilmorgen 2009 ließen sich aber kaum Vögel sehen - und dann brach auch noch der tropische Regen los. Nach einer Stunde Dauerregen gab Rheindt auf und brach die Expedition ab.

Der Weg zurück führte über schlammige, glitschige Pfade. "Ich war wirklich verzweifelt", erinnert sich Rheindt. Aber dann passierte das, was das Wissenschaftsjournal Science jetzt ein Jahrhundertereignis und Rheindt "den großen Vorfall" nennt: Inmitten des strömenden Regens erspähte der Ornithologe einen Vogel, eine Drossel, auf einem Baumstumpf. Das Tiere sah ungewöhnlich aus und suchte nicht, wie verwandte Arten, nach Schutz. Rheindt ahnte, dass diese Vogelart vor ihm noch kein Wissenschaftler gesehen hatte.

Zwei Drittel der weltweiten Artenvielfalt ist bislang unentdeckt

Kurz darauf hörte er einen Vogelgesang, der wie das Surren einer Grille klingt. Ein Schwirl, soviel war dem geübten Vogelkundler sofort klar. Aber die Stimme des unsichtbar im Gehölz versteckten Vogels "unterschied sich in Nuancen von dem anderer Schwirlarten, die ich ganz gut kenne", berichtet Rheindt. Der Vogel verstummte, und der Wissenschaftler erreichte das Dorf, ohne ihn zu Gesicht bekommen zu haben. Dennoch war er in der festen Gewissheit, gleich zwei bisher unbekannte Vogelarten entdeckt zu haben. Tage später konnte Rheindt dann beide Vögel bei Folgeexkursionen eingehend beobachten und seinen Verdacht erhärten.

Die Reise nach Taliabu, der größten der Sula-Inseln vor der Nordostküste Sulawesis, erwies sich nicht allein wegen dieser Funde als so etwas wie der Sechser im Ornithologen-Lotto für den aus Heilbronn stammenden Biologen: Insgesamt entdeckte er innerhalb weniger Wochen drei neue Vogelarten und drei neue Unterarten auf der Insel. Bei einer Explorationsreise auf zwei benachbarte Inseln kamen zusätzlich Hinweise auf je zwei weitere neue Arten und Unterarten hinzu.

Schließlich gelang es Rheindt und seiner Kollegin Dewi Prawiradilaga von der Indonesischen Wissenschaftsakademie bei einer Folgeexpedition zur Jahreswende 2013/2014, Vögel aller neuen Arten zu fangen und genetisches Material sowie Ton- und Fotoaufnahmen für die wissenschaftliche Analyse zu sammeln. Es sollte aber weitere fünf Jahre dauern, bis die Laborarbeit an den entnommenen Genproben, morphologische Vergleiche mit Präparaten aus Museen und bioakustische Analysen die größte Entdeckung neuer Vogelarten seit mehr als 100 Jahren zweifelsfrei bestätigten. Die Aufnahme der neuen Arten in die wissenschaftliche Nomenklatur und die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse in Science stellen nun so etwas wie den wissenschaftlichen Endpunkt einer aufregenden Expedition dar.

Biologie: Ein Feldschwirl von der Insel Taliabu, der größten der Sula-Inseln vor der Nordostküste Sulawesis. Sein Gesang erinnert an das Surren einer Grille.

Ein Feldschwirl von der Insel Taliabu, der größten der Sula-Inseln vor der Nordostküste Sulawesis. Sein Gesang erinnert an das Surren einer Grille.

(Foto: James Eaton/Birdtour Asia)

Die Entdeckungen Rheindts machen in der Wissenschaftswelt auch deshalb Furore, weil Vögel als die am besten erforschte Gruppe von Lebewesen gelten. Zwar sind mehr als zwei Drittel der weltweiten Artenvielfalt bislang unentdeckt oder nicht wissenschaftlich beschrieben. Vor allem aber handelt es sich dabei um wirbellose Tiere, Pflanzen, Pilze oder Mikroorganismen. Vögel hingegen sind wegen ihrer Auffälligkeit und des großen Interesses, das Menschen seit jeher an ihnen hegen, weitgehend bekannt. Und so hielten viele Wissenschaftler die Entdeckung einer so großen Anzahl neuer Arten auf so kleinem Raum für kaum noch möglich. Der 2005 gestorbenen Evolutionsbiologe Ernst Mayr rief schon in den 1940er-Jahren das Ende der Neuentdeckungen im großen Stil aus.

Zwar wächst die Zahl der Vogelarten auch heute in jedem Jahr. Doch die meisten neuen Arten werden am Schreibtisch durch molekulargenetische Untersuchungen bekannter und bislang als eng verwandt oder identisch erachteter Arten ausgerufen. Wirkliche Neufunde sind selten.

"Wir haben uns die Rosinen schon rausgepickt"

Ganz zufällig haben auch Rheindt und seine Kollegen die Superentdeckung nicht gemacht. Sie hatten sich sehr genau überlegt, welche der mehr als 17 000 Inseln Indonesiens sie für ihre Expeditionen auswählten. Ihr Hauptkriterium: Die Eilande mussten von möglichst tiefen Gewässern umgeben sein. "Die umgebende Meerestiefe ist ein bislang vernachlässigter Faktor, um Vielfalt des Lebens auf Inseln abzuschätzen", sagt Rheindt.

Die Entstehung endemischer, also nur in einem kleinen Gebiet verbreiteter Arten wird danach durch geografische Isolation und die Unterbrechung des genetischen Austauschs zwischen Populationen gefördert. Nur die von sehr tiefem Wasser umgebenen Inseln waren aber auch während der Eiszeiten isoliert. Die übrigen seien wegen des Absinkens des Meeresspiegels um bis zu 120 Meter zeitweise durch Landbrücken miteinander verbunden, was den Genfluss ermöglicht und so die Chancen für die Entwicklung eigenständiger isolierter Arten verringert habe, argumentiert Rheindt.

Entsprechend konzentrierten er und seine Kollegen ihre Suche auf Inseln, die von einer Wassertiefe von mehr als 120 Metern umgeben sind. Dass diese Formel zu weiteren spektakulären Neuentdeckungen von Vögeln führt, glaubt Rheindt aber nicht. "Wir haben uns die Rosinen schon rausgepickt", sagt er. Für weniger gut erforschte Arten als Vögel sei dieses Suchschema allerdings weiterhin eine erfolgversprechende Methode.

Der Lebensraum eines gerade entdeckten Vogels ist nur noch wenige Quadratkilometer groß

Dass seine Entdeckungen inmitten der Debatte um das weltweite Artensterben "einen kleinen Hoffnungsschimmer" in die Diskussion bringen, freut Rheindt. Das dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Artenkrise gerade auch in Asien in vollem Gang sei.

Auch die Wissenschaft sieht der Forscher in einem Wettrennen mit dem Artensterben, von dem nach Schätzungen des Weltbiodiversitätsrates bis zu eine Million der weltweit rund acht Millionen Tier- und Pflanzenarten bedroht sind. "Viele Arten könnten aussterben, noch bevor wir überhaupt entdeckt haben, dass sie existieren", sagt Rheindt. Der Forscher hofft deshalb, mit seinen Entdeckungen "eine Renaissance der Suche nach neuen Arten", initiiert zu haben. "Nur wenn wir überhaupt um die Existenz einer Tierart wissen und ihr einen Namen geben können, können wir überhaupt damit beginnen, sie zu schützen."

Schutz ist auch für einige der von Rheindt entdeckten Arten dringend nötig. Großflächige Rodungen haben den Regenwald beispielsweise auf Taliabu bis auf Höhenlagen von 1000 Metern fast vollständig zerstört, und die wegen des Klimawandels zunehmenden Dürren und Waldbrände gefährden die verbliebenen Wälder zusätzlich. Der Lebensraum des von ihm im strömenden Regen entdeckten Taliabu-Schwirls etwa sei auf nur noch wenige Quadratkilometer zusammengeschrumpft.

Auch wenn der Schutz der neu entdeckten Vogelarten nun den indonesischen Behörden obliegt und eine Einmischung nicht gern gesehen wird, hat Rheindt doch mit einem kleinen Kniff für eine freundliche Stimmung gegenüber den gefiederten Neuentdeckungen gesorgt: Eine der neuen Arten benannte er nach dem im vergangenen Herbst verstorbenen indonesischen Präsidenten Jusuf Habibie und eine weitere nach dem langjährigen Umweltminister des Inselstaates.

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