Süddeutsche Zeitung

Vögel:14 Stunden ohne Pause

Mit winzigen Positionsmessgeräten haben Ornithologen die Routen einiger Singvögel verfolgt - und sind verblüfft über die enorme Flugleistung der Tiere.

Eva Maria Marquart

Zugvögel sind Rekordhalter in vielen Disziplinen: Küstenseeschwalben fliegen im Laufe ihres Lebens eine Million Kilometer weit; Sperbergeier können in Höhen von mehr als 11.000 Meter aufsteigen - dorthin, wo normalerweise Passagierflugzeuge unterwegs sind. Faszinierend ist auch, dass alle etwa 50 Milliarden Zugvögel weltweit immer genau wissen, wann sie losfliegen müssen, um pünktlich in ihren Winterquartieren anzukommen.

Bei ihrer Rückkehr im Frühjahr finden sie - oft nachdem sie Tausende von Kilometern zurückgelegt haben - ihren Brutplatz im gleichen Garten wie im Vorjahr wieder. Ein Team aus amerikanischen und kanadischen Ornithologen hat nun einen weiteren Rekord zu vermelden: Demnach fliegen Singvögel bei ihren Wanderungen dreimal so schnell, wie man bisher vermutet hat (Science, Bd.323, S.896, 2009).

Das Forscherteam um Bridget Stutchbury von der York University in Toronto fand das mithilfe einer neuen Lichtsensor-Technik heraus. Die Ornithologen schnallten 14 Walddrosseln und 20 Purpurschwalben kleine rucksackähnliche Positionsmessgeräte auf den Rücken, die die Vögel ein Jahr lang trugen.

Bisher konnte man die genauen Routen solcher Langstrecken-Flieger unter den Singvögeln nicht verfolgen. Die herkömmlichen Sender waren für die kleinen Tiere, die selbst nur etwa 50 Gramm wiegen, zu schwer. Dank der neuen Technik wiegen die neuen Geräte nur 1,5 Gramm.

Dieser Ballast schien die Purpurschwalben und Walddrosseln nicht im Geringsten zu behindern. Im Gegenteil, die Geschwindigkeit der kleinen Vögel erstaunte die Forscher. Die Schwalben zogen nachts entlang der Ostküste der USA nach Süden, über die Halbinsel Yukatan und weiter bis nach Brasilien. Dabei legten sie manchmal 500 Kilometer in 24 Stunden zurück, machten aber in Mittelamerika auch wochenlange Ruhepausen.

Eine der Schwalben flog in 13 Nächten sogar 7500 Kilometer weit, das entspricht einer Tagesleistung von 577 Kilometern. Die Drosseln flogen tagsüber und blieben im Winter in Mittelamerika. Sie brachten es auf immerhin 233 bis 277 Kilometer pro Tag.

Die Rückreise verblüffte das Forscherteam noch mehr. "Beide Arten legten noch weniger Pausen ein und wanderten noch schneller", sagt Studienleiterin Stutchbury. "Einer der Vögel hat Brasilien erst am 12. April verlassen und war am Ende des Monats schon wieder zu Hause", sagt sie. "Wir dachten immer, dass die Vögel nur etwa 150 Kilometer am Tag schaffen und deshalb schon im März losfliegen."

Die Drosseln überquerten dabei den Golf von Mexiko nonstop in nur 14 Stunden. Lediglich eine geschwächte Walddrossel flog den Umweg über Land und war erst 14 Tage später zu Hause. "Es ist wichtig für die Vögel in den Brutgebieten möglichst früh anzukommen, um sich die besten Partner und Plätze zu sichern", erklärt Stutchbury den hektischen Vogelzug im Frühjahr.

Martin Wikelski, Direktor der Vogelwarte Radolfzell, die zum Max-Planck-Instituts für Ornithologie gehört, sieht in der neuen Technik großes Potential: "Selbst wenn man noch nicht viele Daten hat, zeigen die neuen Ergebnisse, wie viel man mit einer einfachen Methode herausfinden kann."

Im Gegensatz zu Radar- oder Satellitensendern misst das als Geolocator bezeichnete Messgerät, das die nordamerikanischen Ornithologen für ihre Untersuchung entwickelt haben, die Helligkeit des Lichts in der Umgebung der Vögel.

Das etwa daumennagelgroße Gerät verschwindet fast vollständig im Gefieder auf dem Rücken der Vögel, der eigentliche Lichtsensor befindet sich am Ende eines schräg abstehenden Plastikstiels. Er registriert die Zeiten von Sonnenaufgang und Sonnenuntergang. "Da für jeden Ort der Welt bekannt ist, wann dort die Sonne auf- und untergeht, konnten wir die Position der Vögel bestimmen", erklärt Stutchbury.

Nach einem Jahr befreiten die Wissenschaftler diejenigen Vögel, die in ihr heimisches Brutgebiet zurückgekehrt waren von ihren Sendern: fünf Walddrosseln und zwei Purpurschwalben. Mithilfe der Daten, die die kleinen Singvögel geliefert hatten, berechneten sie am Computer die geografischen Positionen während ihres langen Zugs. So konnten sie die individuelle Flugstrecke jedes Tiers rekonstruieren.

Dabei zeigte sich etwa, dass alle fünf Walddrosseln in einem bestimmten Gebiet in Honduras und Nicaragua überwinterten. "Diese Region ist wichtig für den Schutz der Walddrosseln, die seit dem Jahr 1966 um 30 Prozent weniger geworden sind", sagt Stutchbury. Da man das nun weiß, sollte man das Gebiet unter besonderen Schutz stellen.

Viele wichtige Fragen blieben aber noch offen, sagt Martin Wikelski - etwa, wo die Vögel geblieben sind, die nicht in ihr Brutgebiet zurückgekehrt sind. Um das zu klären, entwickelt der Ornithologe zusammen mit Wissenschaftlern der Technischen Universität München ein Satellitensystem, mit dem sich die langen Reisen von Singvögeln und anderen kleineren Lebewesen auf der ganzen Welt direkt beobachten lassen. Auf diese Weise wollen die Ornithologen unter anderem ergründen, welchen Gefahren die Vögel während ihres Zugs und in den Winterquartieren ausgesetzt sind.

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Quelle:
SZ vom 14.02.2009/mcs
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