Es war eine eigenwillige Reisegesellschaft, die am 8. September von der Kleinstadt Truth or Consequences in New Mexico aus an den Rand des Weltalls startete. Die Fluggesellschaft Virgin Galactic bietet seit Juni dieses Jahres kommerzielle Weltraumflüge an. Der dritte Flug dieser Art hob an jenem Tag ab. An Bord des Höhenflugzeugs VSS Unity, das sich eine Stunde lang suborbital im Weltraum befand, waren diesmal drei Unternehmer, zwei Piloten, ein Ausbilder - und Knochen von zwei Urmenschen.
Der Milliardär Timothy Nash, Mitglied der National Geographic Society und selbsternannter Abenteurer, trug in einem zigarrenförmigen Kohlefaserbehälter Fragmente eines zwei Millionen Jahre alten Schlüsselbeins der ausgestorbenen Vormenschenart Australopithecus sediba sowie den Daumenknochen eines 250 000 Jahre alten Homo naledi bei sich.
Beide Fossilien waren in Südafrika gefunden worden; der Archäologe Lee Berger hatte sie für den Flug ausgesucht. Er ist Professor für Paläoanthropologie an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg und Forscher der National Geographic Society. In einer Mitteilung der Universität erläutert Berger, das Überführen der Fossilien in den Weltraum sei eine Würdigung unserer Vorfahren. "Ohne ihre Erfindung von Technologien wie Feuer und Werkzeugen und ihren Beitrag zur Entwicklung des modernen menschlichen Geistes hätte es solch außergewöhnliche Unternehmungen wie die Raumfahrt nicht gegeben", so Berger. Ein Grund also, zumindest die Überreste dieser Vormenschen einmal ins All zu schicken? Die Universität schreibt, die Fossilien seien nun die "ältesten Astronauten" der Geschichte. Oder ist das nichts weiter als ein Werbegag für das Unternehmen Virgin Galactic?
Lee Berger ist in der Fachwelt nicht unumstritten; manche feiern ihn als Visionär, für andere übertreibt er die Bedeutung seiner Funde. Für Berger gilt der Australopithecus sediba etwa als direkter Vorfahre der Gattung Homo. Doch die Zuordnung des Fundes ist umstritten. Forscher machten darauf aufmerksam, das es Relikte von Vertretern der Gattung Homo gibt, die älter sind als die Fossilien des Australopithecus sediba.
"Wir haben die Pflicht, solche Überreste für künftige Generationen zu schützen"
Bergers Sohn Matthew, der als Neunjähriger das Schlüsselbein des Australopithecus sediba gefunden haben soll, spekuliert in der Mitteilung, dass die Homininen niemals "zu Lebzeiten davon hätten träumen können, eine solch unglaubliche Reise als Botschafter der menschlichen Vorfahren zu unternehmen".
Anthropologen dagegen äußern sich schockiert. "Menschliche Fossilien sind unglaublich selten und zerbrechlich. Ihre Erforschung erfolgt nur unter strengen Bedingungen. Das Aussetzen solch wichtiger Fossilien in den Weltraum unter großem Risiko als Publicity-Gag hat die gesamte Gemeinschaft, die sich mit den menschlichen Ursprüngen beschäftigt, sprachlos gemacht", so die Tübinger Paläoanthropologin Katerina Harvati, die auch Präsidentin der Europäischen Gesellschaft für das Studium der menschlichen Evolution (ESHE) ist. Auch Sireen El Zaatari, Paläoanthropologin an der Universität Tübingen, ist entsetzt: "Wir haben die Pflicht, solche Überreste für künftige Generationen zu schützen. Sie sind Teil unseres gemeinsamen menschlichen Erbes. Sie dem Risiko der Beschädigung ohne wissenschaftlichen Nutzen auszusetzen, ist unethisch."
Die Universität Witwatersrand schreibt, die Überreste seien auch ausgesucht wurden, weil sie zu den bereits am besten dokumentierten homininen Fossilien gehören. Das macht das Unterfangen auch nicht besser. Schließlich ist die Reise der vormenschlichen Überreste ins All nicht nur für Virgin Galactic, sondern auch für Lee Berger eine medienwirksame Werbestrategie, seine Funde zu präsentieren. Auf eine Anfrage, wie sich Virgin Galactic und die Universität Witwatersrand zu dem Vorwurf eines reinen Marketings positionieren, gab es bisher keine Antwort.
Die zuständige südafrikanische Behörde indes, die South African Heritage Resources Agency, kündigte in Anbetracht der massiven Kritik Konsequenzen an. Die Erlaubnis sei erteilt worden, um für die Wissenschaft sowie für Südafrika und seine Rolle beim Verständnis der gemeinsamen afrikanischen Abstammung der Menschheit zu werben, heißt es in einem Statement der Behörde. Durch den Flug habe man die Fossilien zwar einem Risiko ausgesetzt, angesichts des möglichen Nutzens sei das aber akzeptabel gewesen. Künftige Werbe-Aktivitäten mit fossilem Material von Homininen wolle man aber einer genaueren Prüfung unterziehen.