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Verschlüsselungstechnologie:Privatsphäre dank Quantenphysik

Google arbeitet daran, die NSA sowieso und auch deutsche Wissenschaftler: Auf Quantenphysik basierende Computer könnten die digitale Kommunikation revolutionieren. Ausgerechnet in Deutschland könnten die Mittel dafür aber knapp werden.

Von Robert Gast

Angela Merkel müsste eigentlich ein großer Fan dieser Quanten sein. Die Kanzlerin hat einst eine Doktorarbeit über "quantenchemische Zerfallsreaktionen" geschrieben. Sie weiß, dass Quanten einzelne Lichtteilchen sind, die man gezielt steuern kann. Merkel wird auch wissen, dass diese Quanten die Kryptografie revolutionieren könnten. Weil sie Computer in die Lage versetzen, Verschlüsselungen schneller zu knacken als heutige Rechner. Und weil man dank der Naturgesetze, die für Kleinstteilchen gelten, Nachrichten abhörsicher machen kann. Was für eine Kanzlerin, deren Handy angezapft wurde, eine attraktive Aussicht sein dürfte.

Umso mehr überrascht, dass Deutschland beim Wettrennen um Verschlüsselungstechnik der Zukunft "international den Anschluss verlieren" könnte. Davor warnen führende deutschsprachige Quantenphysiker in einer aktuellen Stellungnahme der Wissenschaftsakademien Leopoldina, Acatech und der Deutschen Akademienunion. "Wenn wir jetzt nichts unternehmen, könnte es am Ende dazu kommen, dass wir Verschlüsselungstechnik aus China kaufen müssen", sagt der Physiker Wolfgang Schleich von der Universität Ulm, der Koordinator der Stellungnahme.

Das wollen andere Länder dringend vermeiden. In den USA fließen Milliarden in die Entwicklung von Quantencomputern und Quantennetzwerken. Google und IBM forschen daran, ebenso die NSA und das Militär. China selbst zeigt ähnlich große Bemühungen. Auch Kanada, Großbritannien und die Niederlande haben mit Hunderten Millionen Euro große Forschungszentren geschaffen, mit dem Ziel, die Quantenphysik marktreif zu machen.

Quantenphysik als Wirtschaftsfaktor

Und Deutschland? Hat vor etwa 100 Jahren maßgeblich dazu beigetragen, den Mikrokosmos als Zusammenspiel von Atomkernen, Elektronen und Lichtteilchen zu begreifen. Und beherbergt auch heute noch viele Quantenphysiker, die zu den besten der Welt gehören.

Aber meistens bleibt es bei Laborversuchen. Bisher gebe es kein einziges Unternehmen, das versuche, quantenphysikalische Effekte wirtschaftlich zu verwerten, heißt es in der Akademien-Stellungnahme. "Andere Länder haben die wirtschaftliche Relevanz des Gebiets schon vor fünf Jahren erkannt", sagt Schleich.

Quantenphysik als Wirtschaftsfaktor, wer hätte das gedacht. Lange waren die Kleinstteilchen bloß eine Passion für Laborforscher. Einzelne Lichtteilchen oder Atomkerne ließen sich nur mit großer Geduld isolieren und steuern. Bis heute finden viele Experimente von Quantenphysikern im Inneren kleiner Vakuumgefäße statt, die mitunter auf fast minus 273 Grad abgekühlt werden. Labore gleichen einer Rumpelkammer aus Lasern, Spiegeln, Linsen, Filtern - und was man sonst noch braucht, um Atome fangen und Lichtstrahlen teilen, drehen und bündeln zu können.

Laser aus dem Blu-Ray

Das ist bei Harald Weinfurter von der Universität München nicht anders. Sein Team ist führend im Bereich der Quantenverschlüsselung. Der Eindruck, dass man hier noch weit von einer Anwendung entfernt sei, täusche, betont Weinfurter beim Gang durch sein Labor. "Das war früher unser Laser", sagt der Physiker und zeigt auf einen 1,5 Meter langen Kasten. Dann zeigt er auf ein daumennagelgroßes Bauteil. "Das ist unser Laser heute."

In den vergangenen zehn Jahren seien Laser und Detektoren nicht nur viel kleiner, sondern auch preiswerter geworden. Eine Laserdiode, die Lichtteilchen aussendet, haben die Forscher zum Beispiel einfach aus einem handelsüblichen Blu-Ray-Player ausgebaut.

Das macht Quanten zunehmend für Kryptografen interessant, die an immer besserer Verschlüsselungstechnik arbeiten. Im Mikrokosmos der Quantenphysik gelten bizarre Naturgesetze, die Quantenkryptografen ausnutzen. Eines davon, die "Heisenberg'sche Unschärferelation", wird Lauschern zum Verhängnis, wenn sie per Lichtteilchen übermittelte Nachrichten abfangen. Der designierte Empfänger merkt, wenn jemand die Lichtteilchen umgeleitet und die darin codierte Information ausgelesen hat (siehe Kasten).

In der Schweiz, Frankreich und in den USA gibt es bereits eine Handvoll Firmen, die diese Technik in einfacher Form verkaufen. Die Geräte übertragen Verschlüsselungscodes per Glasfaserkabel auf einem separaten "Quanten-Kanal". Mit diesen Codes lässt sich dann auf einer herkömmlichen Leitung verschlüsselt kommunizieren - in der Gewissheit, dass der Verschlüsselungscode nicht abgefangen wurde.

Auf diesem Gebiet könnten auch in Deutschland Startups entstehen, finden Quantenphysiker. Harald Weinfurter etwa arbeitet an einem Gerät, mit dem sich Quantenschlüssel kabellos übertragen ließen, etwa von Bankkunde zu Bankautomat. "Aber die Industrie weiß oft gar nicht, was wir hier machen", klagt er.

Das "Quanteninternet" ist noch weit

Allerdings ist nicht klar, wie groß der Bedarf für solche Geräte gegenwärtig ist. "Es hat sich gezeigt, dass es bisher nur einen kleinen Markt gibt", sagt Scott Aaronson vom Massachusetts Institute of Technology, ein Experte auf dem Gebiet der Quantentechnologien. Die teuren Verschlüsselungs-Geräte, die bisher verkauft werden, können Daten nur über begrenzte Strecken zuverlässig übertragen. Und wirklich abhörsicher sind sie nur, wenn sie bei der Übertragung keine Fehler machen, wie Forscher 2011 in Nature zeigen konnten.

Das schaffen die Geräte bislang meist nicht.

Bis zu einem abhörsicheren "Quanteninternet" oder quantenverschlüsselten Handynetzen dürfte der Weg noch weit sein. Denn für diese müsste man einzelne Quanten in großen Mengen und sehr zuverlässig über große Strecken versenden können. Und das quer durch die Luft, vom Boden zum Satelliten. Experimente haben immerhin schon gezeigt, dass dies prinzipiell funktioniert. Weinfurters Team ließ 2013 erstmals per Laserstrahl einen Quantenschlüssel von einem Flugzeug zu einer Bodenstation übertragen.

Heutige Codes sind auch für Supercomputer kaum zu knacken

Der Bedarf nach Quantenkryptografie ist aber laut Scott Aaronson heute auch aus einem anderen Grund noch überschaubar. Wer Informationen verschlüsseln will, kann es Hackern auch ohne Quantenphysik schwer machen. An heutigen Codes, die Tausende Ziffern lang sind, werden sich die schnellsten Supercomputer noch Jahre die Zähne ausbeißen, heißt es in einem Bericht der EU-Telekommunikationsbehörde ETSI.

Selbst wenn die NSA eine derart verschlüsselte Nachricht abfängt, kann sie diese nur mit sehr großem Aufwand entschlüsseln. "Daher feixen Leute, dass der Markt für Quantenkryptografie erst mit Quantencomputern in die Gänge kommen wird", sagt Aaronson.

Abhörsicher mit Lichtteilchen

Alice und Bob chatten. Aber Eve, Bobs eifersüchtige Ex-Freundin, fängt die Nachrichten ab. Die Quantenphysik schafft eine Möglichkeit, wie das Paar das merken kann. Quanten können zur selben Zeit in verschiedenen Zuständen existieren. Mit "Zustand" ist zum Beispiel die Richtung gemeint, in der ein Lichtteilchen im Flug hin und her schwingt, Physiker sprechen von Polarisation. Senkrecht schwingen und waagrecht schwingen, Lichtteilchen können beides gleichzeitig. Erst bei einer Messung mit einem Lichtteilchen-Detektor entscheidet sich die Natur für eine der Möglichkeiten. Quantenkryptografen codieren nun mit Hilfe der Polarisation kurze Nachrichten in einzelnen Lichtteilchen. Ein senkrecht polarisiertes Lichtteilchen steht für "1", waagrecht polarisiert entspricht es einer "0". Die Folge 00110010 00110000 00110001 00110101 ergibt zum Beispiel die Zahl "2015". Der Clou: Eve hinterlässt Spuren, wenn sie das Glasfaserkabel anzapft und die für Bob bestimmten Lichtteilchen abfängt. Der Grund dafür, vereinfacht erklärt: Alice schickt nicht nur Lichtteilchen mit Botschaft, sondern auch Köder-Lichtteilchen, deren Polarisation um 45 Grad gekippt ist. In der Hälfte der Fälle misst ein Empfänger sie als waagrecht, ansonsten als senkrecht polarisiert. Wenn Eve den Datenstrom anzapft, zwingt sie diese Lichtteilchen, einen Wert anzunehmen. Sie weiß jedoch nicht, ob es sich bei einem Teilchen ursprünglich um einen Köder oder um einen Teil der Nachricht handelte. Wenn sie die Nachricht nach dem Lesen weiterschickt, macht sie Fehler, die Bob bemerkt, weil Alice ihm hinterher sagt, an welcher Position sie die Köder geschickt hat. Er und Alice können ihr Gespräch dann unterbrechen, bis Eve aus der Leitung geht. Robert Gast

Quantencomputer würden Daten statt mit Transistoren mit einzelnen Atomkernen oder winzigen supraleitenden Drahtschleifen verarbeiten. Über sie kursieren teilweise übertriebene Mythen. Etwa der, dass sie jeden Code der Welt in Rekordzeit knacken könnten.

Tatsächlich könnten Quantenrechner allenfalls einige ausgewählte Computerprogramme schneller ausführen. Dazu zählt allerdings die Aufgabe, eine große Zahl mit Hunderten Stellen in jene Primzahlen zu zerlegen, die miteinander multipliziert die Ausgangszahl ergeben. Gewöhnliche Computer brauchen für diese Faktorisierung sehr lange, worauf das heute weit verbreitete RSA-Verschlüsselungsverfahren basiert.

Quantencomputer, die über genauso viele gekoppelte Atomkern-Bits verfügen wie ein herkömmlicher Computer über Transistoren-Bits, könnten die Primzahlen sehr viel schneller finden als ihr klassisches Äquivalent. Praktisch gestaltet sich die Umsetzung dieser Technologie aber schwieriger als gedacht. Bis heute besteht der leistungsfähigste Quantencomputer aus nur 14 "Quantenbits", die in Form von Atomkernen im kalten Vakuum schweben. Und so wie es aussieht, lässt sich dieses Modell nicht beliebig vergrößern.

Lange war unklar, ob es überhaupt Quantencomputer geben kann

Jeder Schüler hat also mit seinem Smartphone - in dem Millionen Transistoren rechnen - einen millionenfach potenteren Codeknacker in der Tasche als die NSA in ihrem Quantencomputer-Labor. Außerdem gibt es längst Verschlüsselungsverfahren, die gegen Quantencomputer gefeit wären. Geheimdienste dürften vor allem deshalb Interesse an der Technologie haben, weil sie nichts verpassen wollen.

Lange war unter Forschern umstritten, ob es ausgewachsene Quantencomputer jemals geben wird. "Bis vor zwei Jahren gab es noch viele Gründe, skeptisch zu sein", sagt Tommaso Calarco von der Universität Ulm. Das habe sich mittlerweile geändert.

Unter anderem ein von Google gesponsortes Team um den Physiker John Martinis habe überraschende Fortschritte gemacht. Googles Quantencomputer-Modell könnte sich beliebig vergrößern lassen. Das zeige: "Der Ingenieursaufwand ist bei Quantentechnologien mittlerweile die entscheidende Dimension."

Nun hat Deutschland zwar viele Ingenieure. Aber auch eine Wissenschaftsförderung, die im Fall der Quantentechnologien an ihre Grenzen stoßen könnte. Vorhaben aus den Naturwissenschaften würden hierzulande meist nur in Zeiträumen von maximal zehn Jahren gefördert, sagt Wolfgang Schleich. "Die Entwicklung von Quantentechnologien wären aber längerfristige Projekte."

Mindestens 100 Millionen Euro jährlich wären nötig, um nicht den Anschluss zu verlieren, findet Schleich. Aktuell belaufe sich die Förderung in Deutschland auf ein Zehntel davon, schätzt er.

Ob mehr Geld realistisch ist? Es müsste wohl nicht nur vom Bundesforschungsministerium (BMBF) kommen, sondern auch vom Wirtschafts- und vom Verteidigungsministerium, räumt Schleich ein. Bisher werden Anfragen an die Regierung zur Förderung der Quantentechnologien ausschließlich vom BMBF beantwortet. Das Ministerium fördert die "Quantenkommunikation" und hält sie für ein "wichtiges Forschungsfeld", das aber derzeit noch "überwiegend Gegenstand der Grundlagenforschung" sei. Das klingt nicht so, als plane man, viel mehr Geld zu investieren.

Als eines der ersten Unternehmen hat Bosch die Potenziale der Quantentechnologien untersucht - mit durchwachsenem Ergebnis. Nur zwei von 20 denkbaren Anwendungen kommen für Bosch gegenwärtig in Frage, berichtet deren Technologiescout Robert Rölver. Dabei handelt es sich um neuartige Sensoren für Magnetfelder.

Kann Deutschland bei Investitionen mithalten?

Quantencomputer und Quanteninternet hingegen sind derzeit noch etwas für risikofreudige Investoren. Sie werden vermutlich Jahrzehnte intensiver Förderung benötigen. Und selbst dann wäre nicht sicher, ob die Mühen zum Erfolg führen. Bisher investieren vor allem jene, die über viel Geld verfügen oder viel zu verlieren haben: große Technologiekonzerne und Militärs, die im Cyberkrieg aufrüsten wollen. Ob Deutschland da mithalten kann?

So will man fast hoffen, dass am Ende etwas ganz anderes herauskommt bei der Quantenforschung. Denkbar sind auch Mini-Sonden, mit denen sich einzelne Neuronen im Gehirn live beobachten ließen. Und Bosch prüft, mit Quantentechnik Sensoren für Smartphones zu verbessern. Davon hätte wohl auch Vieltelefoniererin Angela Merkel etwas. Wenn auch nicht das Handy mit Quantenverschlüsselung, das sie sich womöglich wünscht.

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Quelle:
SZ vom 27.06.2015/mahu
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