Mümmel stirbt aus. Bello und Muschi Gott sei Dank auch. Wer sich heute ein Haustier anschafft, schaut erst einmal in die Weltliteratur, ehe er sich für einen Namen entscheidet. Oder er blättert gleich Namenslisten für Kinder durch. Gina, Max, Lilly und Oskar - so heißen Hund und Katz heute.
Tiere werden uns immer ähnlicher; sie leben wie wir, sie feiern Geburtstag, sie werden auf dem Friedhof beerdigt. Und jetzt tragen sie häufig auch noch unsere Namen.
"Die Tier-Mensch-Grenze verschwimmt", sagt die Linguistin Damaris Nübling von der Universität Mainz, die Anfang dieser Woche einen Kongress zu Tiernamen veranstaltet hat.
Zwei Tage lang trafen sich Sprachwissenschaftler und Soziologen in Mainz, um über dieses bisher vernachlässigte Forschungsfeld zu debattieren - und Antworten auf Fragen zu finden, die man sich bisher im Zusammenhang mit Haustieren nicht stellte: Wie heißen sie? Warum heißen sie häufig wie wir? Und was sagt das über uns?
Die Onomastik habe sich in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich auf Menschen- und Ortsnamen konzentriert, sagt Nübling. Eine bundesweite Untersuchung der Tiernamen fehlt deshalb bis heute. Aber das ändert sich gerade. In Süddeutschland gibt es mittlerweile gute Erhebungen. Und in Internetumfragen berichtet Nübling von "unglaublich viel Rücklauf". Die Menschen seien sehr an Tiernamen interessiert.
Aus Nutztieren wurden Haustiere
Das liegt in erster Linie daran, dass die meisten Deutschen ein Haustier halten. Jeder achte Haushalt hat einen Hund, jeder sechste eine Katze. Zudem leben Millionen von Hamstern, Hasen, Meerschweinchen, Vögeln und Fischen unter uns. Tendenz steigend.
Viele dieser Tiere sind Teil der Familie. Die Zeiten, in denen Hasso angekettet den Hof überwachen musste, sind längst vorbei. Aus Nutztieren wurden Haustiere. Sie haben heute die Hauptfunktion, für uns da zu sein. "Wir adoptieren das Tier", sagt Nübling. In den USA gaben bei einer Umfrage mehr als 70 Prozent der Teilnehmer an, dass ihr Tier sehr stark oder ziemlich stark zur Familie gehöre.
Vor allem Hunde werden vermenschlicht. Ihre Namen sind hochgradig individualisiert; nahezu jeder spricht mit ihnen, und die meisten sind überzeugt, dass der Hund das auch versteht. Das Inventar der Hundenamen hat sich deshalb stark erhöht.
Die Linguistin Eva Schaab von der Universität Mainz hat 1000 Hundenamen untersucht. Sie fand heraus, dass mehr als zwei Drittel der Hundebesitzer sich bei Menschennamen bediente und kaum ein Hundename doppelt vorkam.
Seit dem 19. Jahrhundert hat sich der Anteil an Menschennamen mehr als verdreifacht. Damals übliche Satznamen wie Greifan oder Springlos werden heute nicht mehr vergeben, auch die Namen von Göttern, Sagengestalten und Helden sind heute selten, ebenso wie Namensgebungen nach Aussehen, Verhalten und Charakter. Dafür liegen heute sogenannte Fiktionyme wie Asterix im Trend, ebenso ausgefallene Städtenamen, worunter Boston und Sydney noch die eingängigsten sind.
Zudem ist das Geschlecht des Tieres wichtig geworden. Bello konnte früher auch eine Dame sein - heute ist das undenkbar. Nicht wenige ernten stechende Blicke von Hundebesitzern auf die Frage, wie er - also der Hund - denn heiße, wenn es sich in Wahrheit um eine Hündin handelt. Die Sexusmarkierung ist heute Standard. Namen von Hündinnen haben häufig ein a-Suffix, während Rüdenamen meist auf einen Konsonant enden. Generell sind historische Vergleiche schwierig, weil wenig Forschungsmaterial zur Verfügung steht. Aus dem 20. Jahrhundert gibt es kaum Erhebungen.
Welche außergewöhnliche Bedeutung Hunde erlangt haben, zeigt sich bei Namen wie Calvados, Rolex und Jim Beam. Am Hund markiert der Mensch seinen sozialen Status, sagt Damaris Nübling - nicht nur bei Rassehunden. Und weil Menschen in Deutschland nicht nach Konsumgütern, Diktatoren und Fußballvereinen benannt werden dürfen, muss eben der Hund herhalten. Deshalb fanden die Namensforscher in ihren Befragungen allerhand ironische, exklusive und fantasievolle Bezeichnungen, die es früher nicht gab.
Warum sich Tier- und Menschennamen annähern, erklären sich Soziologen mit der emotionalen Nähe vieler Menschen zum Tier. Ihr Grad an Individualität steigt, je häufiger sie mit uns wohnen und je ähnlicher sie uns sind. Sie sind Lebensbegleiter, Partner, Kind, Freund. Der Affe ist uns genetisch zwar ähnlicher, aber der Hund ist uns näher. Er horcht, er lässt sich streicheln, er geht auf uns ein, er besitzt eine ausgeprägte Körpersprache. Möglicherweise erkennen wir uns sogar selbst im Tier.
Nach dem Hund kommt gleich die Katze. Dann das Kaninchen, das sich ebenso vom Nutztier zum Haustier entwickelt hat, da sich deren Besitzer ebenso immer häufiger bei den gegenwärtig beliebtesten Jungen- und Mädchennamen bedienen. Fische und Frösche erhalten hingegen sehr selten Namen. Namensfördernd sind ein ausgeprägtes Kindchenschema (Eisbär Knut), die Exotik eines Tieres (Krake Paul) und Einzelhaltung.
Die Namensgebung bei Nutztieren folgt einer pragmatischen Logik: Kühe, Rinder und Schafe sollen identifizierbar sein. Deswegen orientieren sich etwa Kuhbauern an einem festgelegten Namenkatalog - vorausgesetzt, es stehen nicht mehr als 50 Tiere im Stall. Bei Zuchttieren hingegen ist die Namensvielfalt deutlich größer und ausgefallener, ein guter Name erhöht den Preis. Am einfallreichsten werden Freizeit- und Turnierpferde benannt. Auch hier überwiegen wiederum Menschennamen wie Amadeus und Angela, mitunter auch Adelsnamen. Fast jedes fünfte Pferd erhält einen abstrakten Namen. Beliebt sind Respekt, Eskapade und Melodie.
Aus typischen Tiernamen werden Namen für Menschen
Ein Beleg für die schwindende Distanz zwischen Mensch und Tier sind auch die Spitznamen, mit denen der fluffige Liebling immer häufiger gerufen wird. Die Linguisten Christine Ganslmayer und Sebastian Kürschner von der Universität Erlangen-Nürnberg wiesen dieses Phänomen bei Katzen nach. Auf der Basis von 3000 Namen entdeckten sie typische Merkmale wie auf "i" endende Spitznamen und zweisilbige Begriffe.
Wie nah uns Hund, Katze und Kaninchen mittlerweile sind, wird auch beim Tierarzt deutlich. In der Patientenkartei führen die Ärzte den kleinen Liebling nicht selten mit Vor- und Familiennamen. Und mancher Besitzer vergibt den Vornamen eines verstorbenen Familienmitglieds.
Wohin das führt? In Schweden taucht das Haustier mittlerweile sogar in Lebensläufen auf. In Finnland existieren Namenstagskalender für Haustiere. Humane Riten werden auf Tiere übertragen. Und in beiden Ländern gibt es die Tendenz, dass sich die Namensgebung umkehrt: Aus typischen Tiernamen werden Namen für Menschen. Tindra beispielsweise nannte man früher nur Kühe.