Vermeintlicher Arche Noah-Fund:Steinige Enttäuschung

Seit den 1960er Jahren gilt ein bootsförmiger Fels auf einer Bergflanke des türkischen Berges Ararat als die versteinerte Arche Noah. Doch nun spricht ein türkischer Geologe dem Stein seine biblische Bedeutung ab.

Axel Bojanowski

Als 1960 die Entdeckung der Arche Noah gemeldet wurde, war der Hobbyarchäologe Ron Wyatt nicht überrascht. "Die Bibel sagt uns doch, dass wir auf dem Ararat-Gebirge in der Türkei suchen müssen", erklärte Wyatt Zeit seines Lebens.

Berg Ararat ddp

Der Berg Ararat ist dem mit 5165 Metern der höchste Berg der Türkei. Auf Satellitenbildern wie diesem suchten Forscher jahrelang Beweise für die Existenz der Arche Noah (Archivbild)

(Foto: Foto: ddp)

Seit den 1960er Jahren gilt ein bootsförmiger Fels auf einer Bergflanke des Ararat nahe der Grenze zu Iran als die versteinerte Arche Noah. Der Stein - er hat die Länge eines Ozeandampfers - ist seither eine beliebte Pilgerstätte. Ron Wyatt, der inzwischen verstorben ist, wollte sogar Ankersteine, Schiffsplanken und andere Gegenstände der Arche Noah in der öden Berglandschaft ausgegraben haben.

Wyatt konnte schließlich einige Wissenschaftler und Politiker überzeugen, dass es sich bei dem durchaus imposanten Steingebilde tatsächlich um die Überreste der Arche Noah handelte. Umso größer dürfte nun die Empörung über eine Studie des türkischen Geologen Murat Avci sein, der dem Stein seine biblische Bedeutung abspricht.

Kaum eine Geschichte hat die Menschheit so fasziniert, wie die aus dem Alten Testament, in der es um die Sintflut geht. Gebirge waren überflutet, nachdem Gott es "40 Tage und 40 Nächte" hatte regnen lassen. Das göttliche Strafgericht ließ nahezu alle Lebewesen ertrinken.

Die Maße des Objekts stimmten mit Angaben in der Bibel überein

Nur Noah hatte rechtzeitig einen Tipp erhalten und ein Schiff gebaut. Er lud einige Tiere in das 130 Meter lange und 22 Meter breite kastenförmige Boot und brachte auch seine Frau, seine Söhne und deren Ehefrauen unter. Als das Wasser abfloss, lief die Arche in der heutigen Ost-Türkei auf Grund - so die Geschichte in der Bibel.

Jahrtausende später, im Jahr 1957, entdeckte ein türkischer Soldat auf Luftbildern eine bootsförmige Struktur in 2000 Meter Höhe auf dem Ararat. 1960 veröffentlichte die amerikanische Zeitschrift Life das Foto und fragte in großen Buchstaben: "Noahs Arche?". Das Blatt stellte fest, dass die Maße des Objektes gut mit den in der Bibel angegebenen übereinstimmten. Es zitierte Experten, die den Gegenstand als "vom Menschen gemacht" identifizierten.

Von da an war kein Halten mehr. Wissenschaftler und Hobbyforscher inspizierten in Scharen die Region. Das meiste Glück hatte besagter Ron Wyatt. 25 Kilometer vom Arche-Noah-Stein entfernt, entdeckte er mehrere große Steinplatten mit kreisrunden Löchern, die Ankersteinen alter Schiffe ähnelten.

"Es scheint, die Ankersteine seien abgerissen, als sich die Arche Noah auf dem Berg niederließ", deutete Wyatt seine Funde. Den Einwand, es handele sich um frühzeitliche Kultsteine aus der Region, konnte er freilich nicht ganz entkräften. Um seine Widersacher zu überzeugen, musste er die angebliche Arche genauer untersuchen. Doch die lag fast gänzlich im felsigen Boden, nur ihre Umrisse ragten heraus.

Radarwellen detektierten Eisenlinien

Wyatt betete für ein Erdbeben - und wieder hatte er Glück. Wenige Monate später schüttelte ein Beben den Ararat und hob die Steinformation sechs Meter aus dem Untergrund. Zur Überraschung aller zeichneten sich an den Seiten des Objektes Hunderte senkrechte Rippen ab. Man benötigte nicht viel Phantasie, um darin versteinerte Spanten, also das Gerippe eines Schiffes, zu erkennen.

Mitte der 1980er Jahre schickte Wyatt in Zusammenarbeit mit einigen Naturwissenschaftlern Radarwellen in den steinigen Untergrund. Das Ergebnis sorgte für ein weltweites Medienecho und galt vielen als Beweis, dass es sich tatsächlich um die Arche Noah handelt: Die Radarwellen hätten metertief im Boden Eisenlinien detektiert, die die Form des Schiffrumpfes nachzuzeichnen schienen, jubelte das Expeditionsteam.

Zudem deutete der unerwartet hohe Gehalt an organischem Kohlenstoff angeblich darauf hin, dass es sich um versteinertes Holz handelte. Medien zitierten die amerikanischen Geologen Joe Rosetta und Tom Fenner mit der Aussage, dass es sich "unmöglich um ein natürliches Gebilde" handeln könne.

Steinige Enttäuschung

Nun war auch die türkische Regierung davon überzeugt, dass ein Heiligtum gefunden worden war. Im Februar 1987 verkündete ein Regierungsvertreter, der Steinklotz stelle die Überreste der Arche Noah dar. Der "Arche Noah Nationalpark" wurde eingeweiht: Neben dem schiffsförmigen Fels steht seit dieser Zeit ein Besucherzentrum.

Doch die Gäste werden künftig wohl noch mehr Phantasie als bisher aufbringen müssen, um den Stein als Kultobjekt verehren zu können. Denn der türkische Geologe Murat Avci hat nun der Arche-Noah-These einen empfindlichen Schlag versetzt. In einer im Fachblatt Bulletin of Engineering Geology and the Environment publizierten Studie zeigt Avci, dass es sich lediglich um gewöhnlichen Kalkstein handelt (Bd.66, S.377, 2007).

Der Block, schreibt Avci, sei einst tatsächlich in Bewegung gewesen, wenn auch nicht auf dem Sintflut-Meer. Vielmehr rutschte er die Bergflanke des Ararat hinab. Als Avci die Umgebung um das Kultobjekt erkundete, endeckte er in zweieinhalb Kilometer Entfernung von dem Gesteinblock dessen Ursprungsort: einen Kalksteinfelsen von der gleichen mineralogischen Zusammensetzung.

Der Stein ist älter als der aufrecht gehende Mensch

Die Felswand - sie liegt 500 Meter höher als die "Arche-Noah-Gedenkstätte" - weist gewaltige Narben auf. Von einer dieser Narben sei der Brocken abgerissen und in die Tiefe gerutscht. Übereinstimmend verlaufen sowohl bei dem abgebrochenen Brocken wie auch in dem Kalksteinfelsen die Gesteinsschichten senkrecht. Das konnte nur bei der Entstehung des Gebirges passiert sein.

Und Avci fand noch etwas heraus: Der Stein ist mindestens fünf Millionen Jahre alt. Zu dieser Zeit übten die Vorgänger des heutigen Menschen in Afrika gerade den aufrechten Gang.

Talwärts fand Avci Spuren gewaltiger Erdlawinen. Die Rutschungen seien nahezu unmerklich zu Tal gekrochen, schreibt der Geologe. Wie auf einem Teppich sei das vermeintliche Schiff mit in die Tiefe befördert worden. Dabei stieß der Stein mit anderen Blöcken zusammen, schlug sich Narben und drehte sich um 20 Grad.

Seinen letzten Schliff erhielt der Klotz während der Eiszeit: Eis habe die Oberfläche des Steins geschliffen, so dass er einem Bootsdeck glich, erklärt Avci. Die angeblichen Planken entpuppten sich als Schrammen und Erosionsspuren. Doch Murat Avci scheint dem Stein nicht allen Zauber nehmen zu wollen. Für eine ,,vollständige Erklärung'', schreibt der Geologe, sei weitere Forschung nötig.

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