Verlassene Forschungsstationen:Wo die Geister der Wissenschaft hausen

Schlummernde Vulkane, verbotene Inseln und Abenteuerspielplätze aus dem Kalten Krieg: Wenn Wissenschaftler ihre Forschungsstationen räumen, hinterlassen sie oft exotische Überbleibsel.

Von Jonathan Ponstingl

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Quelle: Geoffrey Boys / Wikimedia

In der Antarktis stehen verwaiste und verfallene Gebäude, im ausgetrockneten Aralsee liegt eine kontaminierte Insel und mitten in der Wüste New Mexicos ragt eine der größten Holzkonstruktionen der Welt empor. Die einstmaligen wissenschaftlichen Einrichtungen sind heute verlassen. Entweder weil sich ein besserer Ort ergab, oder weil die Besatzung die Flucht ergriff. Oft blieben Gebäude, Geräte und manchmal sogar Lebensmittel zurück und erinnern als stumme Zeitzeugen an die wissenschaftliche Vergangenheit.

Antarktis - Stonington Island

Die East Base war einer der ersten Außenposten amerikanischer Antarktisforschung. 1939 gebaut, musste sie bereits zwei Jahre später wieder evakuiert werden. Das technische Equipment ließen die Forscher zurück, wohl in der Hoffnung später erneut auf die Insel zu kommen. Doch es kam niemand, die Ausrüstung fror ein.

1947 machte sich eine private Expedition wieder auf den Weg nach Stonington Island und nutzte die Hinterlassenschaften für ihre Ausgangsbasis, bis sie nach nur einem Jahr ebenfalls die Insel verließ. Gebrauchsgegenstände ließen sie auf der Insel und so ist die historische Stätte gewissermaßen zu einem Freilichtmuseum über Antarktisforschung geworden.

In Blickweite der amerikanischen East Base errichteten die Briten ihre Base E. Über zwei Jahrzehnte lang ein Stützpunkt für Expeditionen über den Northeast-Gletscher, brannte die Basis 1972 bei einem Unfall ab und hinterließ nur Fragmente ihrer ursprünglichen Form, bis die Briten sie 1975 schließlich vollständig aufgaben.

Für Touristen ist der Zugang nach Stonington Island beschränkt. Laut der Organisation Antarctic Treaty Secretariat dürfen nicht mehr als 100 Besucher gleichzeitig an der Fishtrap Cove an Land gehen, jedes Gebäude nur zwölf Personen betreten. Dennoch ist der ehemalige Außenposten der Zivilisation heute - zumindest für antarktische Verhältnisse - ein beliebtes Reiseziel. Neben Forschungsausrüstung, zurückgelassener Kleidung und leeren Trinkgefäßen aus einem vergangenen Jahrhundert verrosten unweit der Gebäude auch antarktische Raupenfahrzeuge.

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Usbekistan/Kasachstan:Wosroschdenija-Insel, Aralsee

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Quelle: GSFC / Nasa

Wer bei der "Insel der Wiedergeburt" an eine Oase mit einem sanft plätschernden Bach denkt, irrt sich. Wosroschdenija war einst ein Testgelände für biologische Waffen unter freiem Himmel, angeblich ist der Boden des Areals mit Milzbrandsporen verseucht.

Die Insel lag früher inmitten des Aralsees. Heute ist sie durch den Rückgang der Wasseroberfläche und der Austrocknung des Aralsees mit dem Festland verbunden. Usbekistan und Kasachstan teilen sich das wüstenartige Gebiet.

Aufgrund seiner geografischen Isolation baute die Sowjetunion auf der "Insel der Wiedergeburt" zur Zeit des Kalten Krieges ein Forschungslabor für biologische Waffen. Forscher experimentierten unter anderem mit Pocken- und Milzbranderregern. Die Lage der Einrichtung auf einer Insel sollte das Übergreifen der Erreger auf das Festland verhindern.

Mit Ende des Kalten Krieges stellten die Sowjets die Forschung ein und verließen die Insel 1991/92. Sie dekontaminierten den Bereich und beseitigten die Hinterlassenschaften der Forschung. Ob dennoch im Boden Milzbrandsporen verblieben sind, ist nicht eindeutig geklärt. Der Hauptort Kantubek, in dem bis zu 1500 Menschen wohnten, ist heute eine Geisterstadt.

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New Mexico, USA:ATLAS-I

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Quelle: US Air Force

In einer Vertiefung ragt bei Albuquerque, New Mexico, ein 40 Meter hohes Gerüst aus Holz auf. Zwischen 1972 und 1980 errichteten die Amerikaner hier den Air Force Weapons Laboratory Transmission-Line Aircraft Simulator (ATLAS). Elf Jahre lang testeten sie die Auswirkungen von Elektromagnetischem Puls (EMP) auf militärische Großflugzeuge wie dem B-52-Bomber.

EMP kann die Bordelektronik eines Flugzeuges lahmlegen und auch physischen Schaden anrichten. Um den Puls nicht zu stören, verwendeten die Konstrukteure beim Bau von ATLAS-I kein Metall, auch keine Nägel oder Bolzen. Das gesamte Gerüst besteht aus Holz, Leim und Glasfaserstöpseln. Sie ist damit eine der größten Holzkonstruktionen der Welt. Über eine Holzrampe fuhren die Flugzeuge auf die Plattform.

Als Computersimulationen die Tests billiger und sicherer machten, legten die Amerikaner die Anlage 1991 still. Die Konstruktion auf dem Gelände der Kirtland Air Force Base steht nach wie vor, ist aber verlassen. Da die Air Force auch die Wartung der Anlage einstellte und das Holz vertrocknete, besteht heute eine erhöhte Brandgefahr. Einige Politiker möchten deshalb ATLAS-I den Status eines nationalen Denkmals geben, um die Ruine zu erhalten.

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Deutschland:Beelitz-Heilstätten

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Quelle: Wendelin Jacober

Zwischen 1898 und 1930 betrieb die Landesversicherungsanstalt Berlin in Beelitz eine renommierte Klinik für Lungenkrankheiten mit mehr als 1200 Betten. Die besten Ärzte behandelten im Sanatorium insbesondere Tuberkulose-Patienten.

Im Ersten und Zweiten Weltkrieg diente das Gelände als Lazarett. Auch der junge Soldat Adolf Hitler war 1916 Patient in Beelitz. 1945 besetzten die Sowjets das Areal und unterhielten bis 1994 ein Militärkrankenhaus, in dem auch der an Leberkrebs erkrankte Erich Honecker behandelt wurde.

Seitdem ist ein Großteil der Gebäude verlassen. Über die Jahre hinterließen Witterung und Vandalismus ihre Spuren, die ehemalige Lungenheilstätte ist Gegenstand vieler fiktiver und realer Gruselgeschichten. 1991 ermordete ein Serienmörder auf dem Gelände eine Frau und ihr Baby, 2008 brachte ein Fotograf hier ein Fotomodell um.

Heute sind die rund 60 Gebäude der Beelitz-Heilstätten in Privatbesitz und nur ein Bruchteil davon in Verwendung. Es gibt Rundgänge und seit Kurzem führt ein Baumkronenpfad über das Gelände.

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Antarktis:Deception Island

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Quelle: Lyubomir Ivanov / Wikimedia

Wer diese Insel mit dem Boot ansteuert, fährt direkt in einen aktiven Vulkan. Etwa 100 km nördlich der Antarktischen Halbinsel liegt eine mit Wasser gefüllte Caldera, ein durch frühere Eruptionen entstandender Krater. Ein kleiner Kanal sorgt für Zugang zum Atlantik und schafft im Inneren der Insel einen natürlichen Hafen.

Schon früh nutzten Forscher und Walfänger die geschützte, von gletscherbedeckten Bergen umgebene Bucht. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bauten Wissenschaftler aus Chile, Argentinien und Großbritannien hier Forschungseinrichtungen, Walfänger ihre Stützpunkte. Sie blieben bis in die 1960er Jahre. Zwei Eruptionen zwangen die damaligen Bewohner zur Flucht, von den ehemaligen Forschungsstationen stehen nur noch leere Hülsen. Zerbrochenes Baumaterial liegt verstreut umher, ein rostiges Flugzeug ohne Nase und halb verfallene Öltanks zeugen von einem früheren Dasein als Walfang- und Forschungsbasis.

Heute besuchen Tiere und Touristen die Insel. An der Westseite hat sich eine Kolonie Zügelpinguine niedergelassen. Die Touristen baden in den heißen Quellen, eine einmalige Gelegenheit in der sonst so unangenehmen Witterung. Auch Wissenschaftler arbeiten auf Deception Island inzwischen wieder. Im antarktischen Sommer betreiben Argentinien und Spanien Forschungsstationen und untersuchen vulkanische Aktivitäten. Zumindest bis zum nächsten Ausbruch.

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Deutschland:Teufelsberg, Berlin

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Quelle: Martin Hearn / CC by 2.0

Der Berliner Teufelsberg in Grunewald war nicht direkt eine Forschungsstation, aber dennoch lange Zeit Einsatzort modernster Technologie. In den 1930er Jahren plante Hitler hier einen Hochschulstandort an der Heeresstraße. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges ordnete er jedoch an, sämtliche Bauten einzustellen, die nicht unmittelbar dem Kriegszweck dienten.

Nach Kriegsende türmte sich in Berlin der Schutt. Aus den hier abgeladenen Trümmern wurde nach und nach ein künstlicher Berg. Rund 26 Millionen Kubikmeter sammelten sich so bis 1972 an und bilden seitdem den Berliner Teufelsberg im damaligen britischen Sektor. Heute ist er die zweitgrößte Erhebung des Berliner Stadtgebietes.

Sowohl Amerikaner als auch Briten installierten Spionage- und Abhöreinrichtungen auf der Spitze des Berges. Vier Radome überwachten den Funkverkehr des Warschauer Paktes. Sie blieben dort bis kurz nach Ende des Kalten Krieges 1989. Heute ist der Teufelsberg Schauplatz mehrerer Filme und Standort der Street Art Galerie Teufelsberg.

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Florida, USA:Cape Canaveral Air Force Station Launch Complex 34

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Quelle: Nasa

Von hier aus wollten die USA vor allem Astronauten ins Weltall schicken. Ab 1959 errichtete die Nasa die Startrampe LC-34, die zwischen 1961 und 1968 Ausgangspunkt für sieben Starts mit Saturn-Raketen war. Traurige Berühmtheit erlangte LC-34 am 27. Januar 1967. Bei der im Nachhinein als Apollo 1 getauften Mission sollte der erste bemannte Flug ins All simuliert werden. Der Test am Boden endete verheerend. Das Cockpit fing Feuer und die drei Astronauten Gus Grissom, Edward White und Roger Chaffee kamen ums Leben. Den Start des geplanten bemannten Raumfluges einen Monat später sagte die Nasa daraufhin ab, das Apollo-Programm gipfelte aber schließlich in der Mondlandung mit Apollo 11 1969.

Die Startrampe blieb nach dem Unglück noch ein Jahr in Betrieb, 1971 legte die Nasa sie offiziell still und trug einen Großteil der Anlage ab. Einige Elemente, wie die Basisstation der Raketen, stehen allerdings noch. Was bleibt, ist eine Erinnerung an die ersten Apollo-Missionen und an das Unglück von 1967. Die Reste von LC-34 sind über das Air Force Space and Missile Museum zu besichtigen.

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Deutschland, Mecklenburg-Vorpommern:Heeresversuchsanstalt Peenemünde

Peenemünde Museum

Quelle: Stephan Ruttloff / CC by 2.0

Neben dem Hauptgebäude zeigt eine hochaufragende Rakete noch den ehemaligen Zweck der Anlage: Zwischen 1936 und 1945 war die Heeresversuchsanstalt ein modernes Rüstungszentrum für Nazi-Deutschland. Bis zu 12 000 Zwangsarbeiter waren gleichzeitig auf dem Areal beschäftigt. Sie fertigten speziell Fern- und Präzisionswaffen.

Mehrere Jahre war der Raketeningenieur Wernher von Braun wissenschaftlicher Leiter von Peenemünde. Hier entwickelte und produzierte er die im Zweiten Weltkrieg eingesetzten V-2-Raketen. Im Oktober 1942 schossen die Nationalsozialisten von Prüfstand VII aus weltweit erstmals eine Rakete ins All.

Für Besucher sind weite Teile des Geländes heute zugänglich. Das Historisch-Technische Museum Peenemünde zeigt die Geschichte der in der Anstalt entwickelten Waffen. Auf 25 km² finden sich neben den Fertigungsgebäuden noch das alte, verzweigte Schienen- und Straßennetz, mehrere Hafenanlagen und ein kleiner Flughafen.

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Mexiko:El Caracol, Chichén Itzá

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Quelle: Paul Simpson / CC by ND

Die Blütezeit dieser Forschungsstation liegt schon etwas länger zurück. Rund 1000 Jahre lang war die Maya-Stadt Chichén Itzá ein überregionales Zentrum auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán. Auf dem weitläufigen Gelände bauten die Maya neben der weltbekannten Pyramide auch ein Observatorium.

Der Schneckenturm El Caracol hat erstaunliche Ähnlichkeit mit heutigen Sternwarten und tatsächlich diente er den Maya als Ausblick in den Himmel. Von hier aus beobachteten sie Sonnenwenden, Tagundnachtgleichen und den Verlauf von Sonne, Mond und Planeten. Das Studium des Firmaments hatte für die Maya eine herausragende Bedeutung. In ihrem Glauben verkörperten die Himmelskörper Götter, die Venus war beispielsweise der Gott des Krieges.

Die Himmelsbeobachtung diente auch praktischen Zwecken. Die Maya planten beispielsweise die Aussaat nach der yucatánischen Regenzeit, die kurz nach dem Zenit der Sonne am 20. Mai beginnt. El Caracol steht auf mehreren Plattformen. Von der obersten blickten die Astronomen genau auf diese Stelle, die unterste visiert den nördlichsten Punkt an, den die Venus je erreicht. Auch die heute noch verbliebenen drei Fenster des Observatoriums scheinen auf den Verlauf der Venus ausgerichtet zu sein.

Im 15. Jahrhundert verließen die Maya Chichén Itzá. Erst im 19. Jahrhundert entdeckten es die Forscher wieder. Heute ist die Stadt Unesco-Weltkulturerbe und auch El Carasol dementsprechend gut zu erreichen.

© SZ.de/jnp/chrb/liv
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