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Verhaltensstudien:Die sieben Mythen der Psychologie

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Lächeln macht glücklich und Powerposen machen mutig: Viele Erkenntnisse der Psychologie scheinen in Stein gemeißelt. Jetzt haben Forscher versucht, einige zu bestätigen.

Von Matthias Meili

Seit Jahren wartet die moderne psychologische Forschung mit spektakulären Einblicken in die menschliche Natur auf. Wenn Forscher zum Beispiel herausgefunden haben, dass ein Mensch, der lächelt, automatisch glücklicher wird oder Kinder von Geburt an Nachahmungstalente seien, werden diese Erkenntnisse schnell zu unumstößlichen Wahrheiten. Der Weg in populärwissenschaftliche Magazine und Fernsehserien ist dann nicht mehr weit.

Jetzt hat der britische Neurowissenschaftler Christian Jarett die Studien gesichtet, in denen unabhängige Forscher die einleuchtendsten Erkenntnisse noch einmal unter die Lupe genommen haben. Sie versuchten, die Fragestellung mit neuen Probanden zu wiederholen. Doch die plausibelsten Erkenntnisse, die wir so gerne glauben, lassen sich oft nicht bestätigen. Das bedeutet noch nicht, dass sie falsch sind. Sie zeigen einfach, dass die Seele des Menschen schwierig wissenschaftlich messbar ist. Wir zeigen eine Reihe berühmter Erkenntnisse, die noch immer fraglich sind.

Lächeln macht glücklich

Sind wir zufriedener, wenn wir mit einem Lächeln im Gesicht herumlaufen? Genau dies besagt die Mimik-Feedback-Hypothese, wonach unsere Gefühle nicht nur den Gesichtsausdruck beeinflussen, sondern auch umgekehrt. Forscher um den deutschen Psychologen Fritz Stark glaubten diese Hypothese 1988 eindrucksvoll bewiesen zu haben. Sie ließen lächelnden und grimmig dreinschauenden Probanden einen Comic bewerten, wobei die lächelnden diesen statistisch signifikant lustiger fanden.

Doch nun versuchten Forscher in 17 Labors das Resultat mit fast 2000 Probanden zu wiederholen. Vergebens. Sie fanden keinen Zusammenhang zwischen der Mimik des Mundes und der Einschätzung eines Comics. Fritz Stark, der Autor der legendären Comicstudie von 1988, zeigte sich in einer schriftlichen Reaktion erstaunt und bemängelte verschiedene methodische Probleme bei der Wiederholungsstudie, unter anderem eine ungeeignete Auswahl der Probanden unter Psychologiestudenten, die über die Studienlage Bescheid wussten.

Es gibt Menschen, die stehen einfach stämmig da und machen dadurch einen mutigen, unbesiegbaren Eindruck. Aber fühlen sie sich auch so? Diese Frage hat die Harvard-Psychologin Amy Cuddy eingehend erforscht. 2010 zeigte sie, dass jemand, der lediglich eine Minute lang eine Power-Pose einnimmt, bei einem darauffolgenden Wettspiel höhere Wetten eingeht. Cuddy untersuchte auch den Hormonlevel der Probanden und fand, dass die Posierenden mehr Testosteron, aber weniger vom Stresshormon Cortisol im Blut hatten.

2015 wiederholten Zürcher Forscher um Eva Ranehill den Versuch mit 200 Probanden. Während die Probanden mit den Kraftposen zwar betonten, dass sie sich stärker fühlten, fanden die Forscher bei den Hormonwerten keine Unterschiede zwischen den Probanden, die eine kraftvolle und eine kraftlose Pose einnahmen. Auch gingen die kräftig Posierenden keine riskanteren Wetten ein. Demnächst erscheint zudem eine Übersichtsstudie von 33 Arbeiten zu dem Thema. Auch diese zeigt, dass statistisch gesehen der Einfluss des Posierens auf das Lebensgefühl gegen null tendiert.

Babys haben von Geburt an die Fähigkeit, alles und jedes zu imitieren, die Grundlage jeden Lernens. Soweit die Lehrmeinung, die auf Forschungsarbeiten der beiden amerikanischen Psychologen Andrew Meltzoff und Keith Moore aus den 1970er Jahren beruht. Sie zeigten im Wissenschaftsjournal Science, dass Neugeborene schon im Alter von 12 bis 21 Tagen zwei vorgezeigte Gesichtsgesten verlässlich nachahmen konnten, zum Beispiel die Zunge herausstrecken.

Eine australische Studie aus diesem Jahr konnte diese Fähigkeit bei ein- bis neunwöchigen Babys allerdings nicht bestätigen. Janin Oostenbroek und ihr Team testeten dabei 106 Babys mit einer vielfältigen Reihe von Gesichtsausdrücken und sogar Tönen. Sie konnten keine robusten Beweise finden, dass die Babys irgendwelche Gesten, Aktionen oder Töne imitieren konnten. Das Resultat stellt die erstaunliche Nachahmungs-Fähigkeit von Säuglingen und Kleinkindern nicht in Frage, zeigt aber, dass diese wohl nicht angeboren ist, sondern einfach unglaublich schnell erlernt wird.

Es war eine Zürcher Studie, die das Kuschelhormon Oxytocin auf die Weltbühne der Psychologie hob. 2005 zeigte das Team um den Neuroökonomen Ernst Fehr von der Universität Zürich, dass Menschen, die sich das Hormon in die Nase sprühten, eher bereit waren, Fremden zu vertrauen und ihnen in einem Spiel Geld zu geben. Die Studie erschien in Nature und wurde über 2500 mal zitiert.

Seither gilt Oxytocin als das "moralische Molekül" oder eben als "Kuschelhormon". Allerdings hat sich inzwischen gezeigt, dass das Hormon in bestimmten Situationen auch Neid auslösen kann und bei von Natur aus aggressiven Menschen sogar gewalttätigem Verhalten Vorschub leistet. Und 2015 versuchten Forscher der Katholischen Universität von Leeuwen einen eigenen Versuch zu wiederholen, in dem sie zwar eine vertrauensfördernde Wirkung zeigen konnten. Bei der Wiederholung jedoch scheiterten sie.

Willenskraft gleicht einem Kanister voll Treibstoff - irgendwann ist sie aufgebraucht. Diese Hypothese gilt als eine der einflussreichsten Theorien der modernen Psychologie. 2014 haben Forscher um Chandra Sripada sie eindrucksvoll bestätigt. Sie zeigten, dass Probanden in einer Reihe von Tests eine schwierige Aufgabe, die viel Selbstkontrolle benötigt, besser lösen konnten, wenn sie zuvor eine leichte Aufgabe bewältigt hatten.

Diese Studie wollten nun Forscher aus 23 Labors unter der Leitung des australischen Psychologen Alex Holcombe mit fast 2000 Probanden wiederholen. Es gelang ihnen nicht. "Wenn es überhaupt einen Effekt gibt, dann ist er nahezu null", schreiben die Forscher zu der im Juli veröffentlichten Arbeit. Auch eine Metaanalyse aus dem vergangenen Jahr, welche 68 veröffentlichte und 48 unveröffentlichte Studien überprüfte, konnte die Idee, dass die Willenskraft eine begrenzte Ressource ist, nicht stützen.

Schon Pilatus wusch sich seine Hände in Unschuld, nachdem er Jesus seinen Häschern überlassen hatte. Der Zusammenhang zwischen körperlicher Sauberkeit und einer weißen Weste wurde von der Forschung intensiv untersucht, man spricht vom Macbeth-Effekt, weil die schuldgeplagte Lady Macbeth in Shakespeares Drama ebenfalls leidenschaftlich die Hände wäscht. So zeigten Psychologen um Katie Liljenquist in einer Science-Studie im Jahre 2006, dass Menschen, die eine selber begangene unmoralische Tat von Hand nacherzählten, nachher ganz wild auf Hygiene-Produkte wie Seife oder Zahnpaste waren.

Im Jahr 2013 misslang Forschern der Universität Oxford der Versuch kläglich, diese Arbeiten zu wiederholen. Sie testeten Teilnehmer aus den USA, Großbritannien und Indien mit der gleichen Versuchsanordnung wie Liljenquist, konnten jedoch in keinem der Fälle einen Macbeth-Effekt feststellen. Weitere Erkenntnisse daraus konnten ebenfalls nicht bestätigt werden, zum Beispiel, dass die Schuldgefühle kleiner werden, wenn man sich wäscht und man deshalb weniger altruistisch agiert.

Handelt man allein deshalb ehrlicher, weil man sich beobachtet fühlt? Dies schien zumindest eine einflussreiche Studie des Verhaltensforschers Gilbert Roberts von der Universität Newcastle aus dem Jahre 2006 zu beweisen. In einem einfachen Experiment stellte er neben den Kaffeeautomaten im Büro eine kleine Box auf, in der jeder einen ehrlichen Obolus legen sollte. Dabei zeigte sich, dass die Probanden eher ihren Beitrag leisteten, wenn an der Wand ein Poster mit einem streng schauenden Augenpaar hing, anstatt zum Beispiel das Bild einer Blumenwiese. Die Erkenntnis inspirierte die Polizeibehörden einer englischen Stadt sogar zu einer Plakatkampagne mit einem Augenposter im öffentlichen Raum.

Doch die Erkenntnis widerstand bisher mehreren Replikationsversuchen. 2011 testeten Forscher an der Universität Bamberg dasselbe Postermaterial mit 138 Teilnehmern in verschiedenen Situationen, in denen sie sich sozial verhalten konnten. Sie fanden keinen Hinweis, dass Studenten unter Poster-Beobachtung sich sozialer verhielten. Auch zeigte eine in diesem Jahr veröffentlichte Metastudie, die 50 Studien mit Zehntausenden Teilnehmern umfasst, keinen Hinweis auf einen Großzügigkeitsschub unter einem beobachtenden Augenpaar.

Dieser Artikel erschien zuerst im Tages-Anzeiger vom 23.09.2016

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Quelle:
Tages-Anzeiger vom 23.09.2016
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