Verhaltensökonomie:"Geld wird nicht schlecht"

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Warum wir mit Armani-Sonnenbrillen besser sehen und teure Pillen schneller wirken: Der Verhaltensökonom Dan Ariely über die tägliche Irrationalität beim Geld.

Sebastian Herrmann

Als durch und durch rational handelndes Wesen gilt der Mensch nur noch in den Theorien der klassischen Ökonomie. Stets stehen ihm dort alle relevanten Informationen zur Verfügung, immer richtet er sein Verhalten am maximal möglichen Nutzen aus. Dass der Mensch diesem Ideal nicht entspricht, gestehen Wirtschaftswissenschaftler zwar seit Jahren ein, sie ignorieren diesen Umstand jedoch, wenn sie ihre Theoriegebäude errichten. Die junge Disziplin der Verhaltensökonomie erkundet die menschlichen Unzulänglichkeiten im Detail. Wissenschaftler wie Dan Ariely verstehen sich eher als Psychologen denn als Ökonomen und untersuchen menschliches Verhalten im Experiment. In seinem Buch "Denken hilft zwar, nützt aber nichts" zeigt der Verhaltensökonom vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge, USA, wie irrational der wirtschaftende Mensch handelt.

Das Ergebnis eines Experiments: Wer wie Paris Hilton eine teure Sonnenbrille trägt, sieht besser. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Darf ich Ihnen zu Beginn unseres Gesprächs ein Erlebnis berichten?

Dan Ariely: Nur zu.

SZ: Vor einigen Jahren habe ich mein Schlagzeug verkauft. Es war zehn Jahre alt und hatte 1000 Mark gekostet. Drei Wochen in Folge habe ich es für 250 Mark in einer Zeitung inseriert. Es haben viele Leute angerufen, aber niemand wollte es kaufen. Beim letzten Versuch habe ich 500 Mark verlangt. Das Schlagzeug ging sofort weg. Das ist doch absurd, oder?

Ariely: Überhaupt nicht, absurd war eher Ihr Verhalten.

SZ: Warum das denn?

Ariely: Wie haben Sie den Preis festgelegt, den Sie zunächst verlangt haben? Wahrscheinlich sind Sie vom Originalpreis ausgegangen und haben für das Alter des Instruments einen Betrag X pro Jahr abgezogen. Aber warum? Wie sind Sie darauf gekommen? Warum haben Sie nicht nur zehn Prozent nachgelassen?

SZ: 250 Mark schien mir ein fairer Preis zu sein. Und die klassische Ökonomie lehrt doch, dass die Nachfrage steigt, wenn der Preis fällt.

Ariely: Für manche kurzfristigen Phänomene trifft das zu. Ein Produkt einer bestimmten Marke, das Sie kennen und schätzen, gibt es für kurze Zeit für die Hälfte zu kaufen. Es existiert keine Unsicherheit über die Qualität. Das wird den Absatz kurzfristig steigen lassen. In Ihrem Fall war das anders. Sie haben dem Käufer eine Freude gemacht, indem Sie mehr verlangt haben. Jemand, der 500 Mark für das Schlagzeug bezahlt, hat mehr Spaß damit, als jemand, der nur 250 dafür bezahlt hat. Ihre Geschichte ist kein Einzelphänomen.

SZ: Warum ticken Menschen so, selbst wenn sie es besser wissen?

Ariely: Weil Erfahrung und Erwartung unsere Wahrnehmung so stark beeinflussen. Das haben wir in vielen Experimenten immer wieder belegt. Einmal haben wir Probanden Sonnenbrillen gegeben, mit denen sie bei grellem Gegenlicht Wörter von einer Tafel ablesen sollten. Sie hatten immer die gleichen Sonnenbrillen auf. Aber wenn wir ihnen sagten, sie seien von Armani, konnten sie die Wörter besser entziffern. Genauso mit Kopfhörern: Mit vermeintlichen Markenkopfhörern konnten die Probanden auf einmal Wörter besser durch Störgeräusche hindurch hören. Also, warum haben Sie nicht gleich 500 verlangt?

SZ: Das erschien mir zu viel. Es gibt keine rationale Erklärung.

Ariely: Weshalb lassen Sie den Faktor Fairness in diesen Handel? Wenn sie 1000 Euro in bar zehn Jahre lang aufbewahren, für wie viel würden Sie den Betrag anschließend verkaufen?

SZ: Für 1000 Euro natürlich.

Ariely: Genau, weil das Geld nicht schlecht wird. 1000 Euro bleiben 1000 Euro. Und es gibt sogar einige Produkte, deren Wert sich mit dem Alter nicht reduziert. Sie hatten einfach eine bestimmte Vorstellung von einer Wertminderung. Sie haben Ihren Handel nicht rational betrachtet. Es hätte auch jemand kommen können und sagen, dass das Instrument mehr wert ist als früher, weil jemand, der es geliebt hat, zehn Jahre darauf gespielt hat. Es ist kompliziert. Denken Sie mal an eine Tasse Kaffee. Wie viel würden Sie dafür bezahlen?

SZ: Das kommt auf die Qualität des Kaffees an und auf die Umgebung. Und ob es ein schneller Kaffee ist oder ich mich gemütlich hinsetzen kann ...

Auf der nächsten Seite: Warum es schwer ist, das Vergnügen, das ein Produkt bereitet, in Geld zu übersetzen.

Ariely: Das verdeutlicht uns doch, wie unglaublich komplex es ist, einen Preis festzulegen. Sie würden all diese Faktoren in einen Geldbetrag übersetzen. Sagen wir 1,30 Euro für einen schnellen Kaffee, für einen gemütlichen mit einer netten Unterhaltung 2,75 Euro.

Dan Ariely: Der Verhaltensökonom versteht sich als Psychologe, der die menschlichen Unzulänglichkeiten erforscht. (Foto: Foto: oH)

SZ: Nur wenn der Kaffee auch gut ist.

Ariely: Sehen Sie, es ist wirklich sehr schwer, das jeweilige Vergnügen, das Ihnen ein Produkt bereitet, in Geld zu übersetzen. Denken Sie an die Differenz zwischen einem schnellen und einem gemütlichen Kaffee. Wie viel ist dieser Unterschied wert?

SZ: In unserem hypothetischen Fall 1,45 Euro. Aber das haben wir uns eben auch nur kurz ausgedacht.

Ariely: Es kommt immer wieder auf die konkrete Situation an. Wir treffen ständig Entscheidungen über Geld und meinen dabei sogar, wir wären gut darin. Aber Geld ist sehr kompliziert.

SZ: Geld macht doch vieles einfacher. Ich muss nicht mit fünf Eiern zum Bäcker gehen und hoffen, dass er mir dafür ein Brot gibt.

Ariely: Natürlich, wir können Geld aufbewahren, wir können es teilen und so weiter. Es macht uns flexibel - gäbe es kein Geld, hätten wir beide unsere Jobs nicht. Wir müssten alle Brokkoli anbauen und Hühner züchten. Aber zur gleichen Zeit macht die Tatsache, dass man mit Geld einfach alles kaufen kann, es unglaublich schwer einzuschätzen, was Geld wirklich wert ist.

SZ: Es gibt doch Bezugsgrößen, nach denen wir uns richten können.

Ariely: Ja. Menschen zum Beispiel, die nach einem Stundenlohn bezahlt werden, fällt es leichter, für sich den Wert der Dinge zu ermitteln. Sie haben einen Nenner: Arbeitszeit.

SZ: Das ist doch auch abstrakt. Niemand rechnet jedesmal alles in Arbeitszeit um, bevor er die Restaurantrechnung bezahlt.

Ariely: Dennoch ist die Bezugsgröße entscheidend. Stellen Sie sich vor, Sie sitzen am Strand in der Sonne, und ein Freund bietet Ihnen an, Bier zu holen. Er weiß aber nicht, was es kostet. Sie geben ihm so viel Geld mit, wie Ihnen ein Bier wert ist. Einmal geht er in einen nahen Supermarkt. Das andere Mal gibt es nur in einem Hotel in der Nähe Bier zu kaufen. Würden Sie ihm beide Male unterschiedlich viel Geld mitgeben?

SZ: Natürlich, im Hotel ist das Bier sicher teurer.

Ariely: Die Freude, die Ihnen das Bier bereitet, bleibt aber gleich groß. Trotzdem geben Sie ihrem Freund mehr Geld, wenn er zum Hotel geht. Jetzt stelle ich Ihnen die Frage anders: Ihr Freund mag gerne Massagen. Wie viele Minuten Massage würden Sie für ein Bier aus dem Supermarkt und für eines aus dem Hotel geben? Ich sage Ihnen die Antwort: Der Unterschied verschwindet, wenn wir die Bezugsgröße ändern.

In Massage-Dauer ausgedrückt sind die zwei Bier für die meisten Menschen nun auf einmal gleich viel Wert. Wir haben eine neue Bezugsgröße, mit der sich eine Ware viel konkreter vergleichen lässt. Das zeigt, wie komplex das Konzept Geld ist und wie schwer es manchmal ist, auf dessen Basis Entscheidungen zu treffen. Deshalb machen die meisten Menschen, was Sie mit dem Schlagzeug getan haben: Sie legen den Preis nach Gefühl fest - sowohl die Verkäufer als auch die Käufer. Und meistens setzen wir dann einen hohen Preis mit Qualität gleich, auch wenn es keinen objektiven Grund dafür gibt.

Auf der nächsten Seite: Wie Preise beeinflussen können ob ein Wein schmeckt oder ein Schmerzmittel wirkt.

SZ: Der Mensch funktioniert also generell wie der Weintrinker, der die teure Flasche bevorzugt?

Ariely: Ja. Erwartungen spielen eine riesige Rolle in unserer Wahrnehmung. Das haben alle unsere Experimente bestätigt. Zum Wein gibt es eine wunderbare Studie, in der die Wissenschaftler Tausende Leute blind Weine probieren ließen. Dabei zeigte sich, dass die Korrelation zwischen Preis und Qualität bei Wein leicht negativ ist - nicht Null, sondern leicht negativ: Je teurer der Wein, desto weniger genossen ihn die Leute. Bei Wein-Kennern war der Zusammenhang nicht ganz so ausgeprägt, aber immer noch vorhanden. Aber was passiert, wenn man weiß, welchen Wein man probiert? Die Erwartungen kommen ins Spiel, der teure schmeckt dann besser.

SZ: Dann ist es doch sinnvoll, wenn ich teuren Wein kaufe oder einen höheren Preis für eine Sonnenbrille verlange?

Ariely: Das bringt uns zu einer sehr interessanten und schwierigen Frage. In einem Experiment haben wir untersucht, wie der Preis von Schmerzmitteln die Wirkung beeinflusst. Zunächst testeten wir mit elektrischen Schlägen, wie viel Schmerz die Probanden vertragen konnten. Dann gaben wir ihnen die angeblichen Schmerztabletten, die aber alle nichts als Vitamin C enthielten - es waren Placebos. Dabei sagten wir ihnen entweder, dass es ein teures oder ein billiges Schmerzmittel sei. Später ermittelten wir nochmal die Schmerztoleranz der Probanden.

SZ: Lassen Sie mich raten, die teure Tablette hat den Schmerz besser gelindert.

Ariely: Genau. Aber stellen Sie sich vor, Sie arbeiten für die Arzneimittelzulassungsbehörde. Sie müssen über die Zulassung eines neuen Medikaments entscheiden, das in einer kontrollierten Blindstudie getestet wurde: weiße Pillen, kein Preis, keine Marke. Aber was, wenn Preis und Marke beeinflussen, wie das Medikament bei den meisten Menschen wirkt? Stellen Sie sich vor, zwei Unternehmen stellen ein ähnliches Medikament her.

Eines davon wirkt in der kontrollierten Blindstudie ein bisschen schlechter, aber die Arznei und der Hersteller haben einen hervorragenden Ruf und ein sehr gutes Marketing. Außerhalb des Labors vertrauen die Menschen diesem Mittel mehr, und deshalb wirkt es bei ihnen auch etwas besser, obwohl es die schlechtere Arznei ist. Das wirft die Frage auf: Was ist die Realität? Ist es beim Wein der Geschmack, den wir bei der Blindverkostung erleben, oder der Genuss, den wir haben, wenn wir genau wissen, was für einen Wein wir trinken?

SZ: Im Leben gibt es beide Möglichkeiten, die Blindverkostung und die offene Variante. Was ist also der richtige Weg?

Ariely: Bei der nächsten Party fragen Sie lieber nicht danach, ob Sie da gerade einen teuren Wein trinken oder nicht. Um die anderen Fragen zu beantworten, gibt es unter anderem die Verhaltensökonomie. Wir haben zwar nicht alle Antworten parat. Aber wir verfügen über alle wissenschaftlichen Instrumente, um die Antworten zu suchen. Und manchmal untergraben wir dabei die Theorien der klassischen Wirtschaftswissenschaften.

© SZ vom 30.01.2009/tess - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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