Verhaltensforschung:Zum Affen gemacht

Können Affen sich austauschen und Absichten kundtun? Weil Wissenschaftler auch nur Menschen sind, entscheiden sie hier parteiisch - oft zu Ungunsten der Tiere.

Hilal Sezgin

Wolfgang Köhlers "Intelligenzprüfungen an Menschenaffen" gelten längst als Klassiker der Primatenforschung. Jedes Schulkind kennt die rund 100 Jahre alten Fotos von Schimpansen, die mit konzentrierter Miene Stöcke ineinander stecken und Kisten stapeln, um nach einer Banane zu angeln. Ob Schimpansen Einsicht zeigen, also Problemlösungen selbst erarbeiten können, wollte Köhler wissen - eine Antwort finden auf die dahinter stehende Frage: Was haben Affen mit uns Menschen gemeinsam, welche unserer mentalen Fähigkeiten beherrschen sie - oder eben nicht?

Diese Kernfrage ist nach wie vor aktuell, doch hat sich der Fokus des Forschungsinteresses geändert. So geht es der Gruppe um den Psychologen Michael Tomasello am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gerade nicht um solitäre Intelligenzleistungen, sondern um den sozialen Aspekt der Weitergabe von Information. Für diese Arbeiten erhielt Tomasello den diesjährigen Max-Planck-Forschungspreis.

Kurz zusammengefasst lautet seine These: Zwar können sich auch Tiere verständigen und kooperieren, doch nur der Mensch kommuniziert eigens, um sich auszutauschen, um Absichten kundzutun und mit anderen zu teilen. Nur der Mensch kennt die zeigende Geste: "Schau mal, dort!"

Hier scheinen alte Motive der Anthropologie des letzten Jahrhunderts durch. Sie beruhen auf der Annahme vom Menschen als dem Wesen, das sich qua seiner Fähigkeiten über das restliche Tierreich erhebt. Die moderne Biologie mitsamt der Evolutionstheorie ist eben nicht nur geeignet, den Menschen vom Thron zu stoßen, sondern lässt sich auch dazu nutzen, ihm neue Wege zum Thron zu weisen. Mit Vorsicht zu genießen sind daher alle Thesen, die mit der Formulierung "nur der Mensch..." beginnen.

Zwar steht außer Frage, dass Menschen vieles tun, wollen, können, was keine andere Spezies der Welt tut, will oder kann. Nur: Die anderen Tierarten können ja auch jeweils Besonderes. Bei der Erforschung der Grenze zwischen Tier und Mensch konzentriert man sich jedoch meist auf unsere menschliche Form von Sprache und Intelligenz.

Dazu wird ein in Gefangenschaft lebendes Tier in eine menschliche Umgebung versetzt und soll dort Menschenanaloges leisten. Anschließend stellt man mit gewisser Genugtuung fest, dass es eine bestimmte menschliche Entwicklungsstufe nicht erreicht.

Dabei mischt sich nicht nur oft ein wertender Tonfall in die vermeintlich abgeklärte Sprache der Wissenschaftler. Viel öfter noch scheinen Forscher nicht zu bemerken, dass das, was sie mit ihrer Versuchsanordnung erfragen, für den tierischen Probanden vielleicht nicht im Vordergrund steht und er schon aus diesem Grund die Anforderungen nicht erfüllt. Eine gewisse Parteilichkeit bei der Beurteilung der Leistungen kommt hinzu: Mit großer Strenge werden alle Arbeiten kontrolliert, die seit Ende der 1960er Jahre Belege dafür liefern, dass auch Menschenaffen zumindest die menschliche Zeichensprache erlernen können. Mit Argusaugen werden Protokolle durchforstet, wird nach versteckten Hinweisen gesucht, die dem Tier beim Verstehen der Aufgaben geholfen haben könnten. Gilt dieselbe Strenge auch, wenn es um die Versuchsergebnisse der menschlichen Probanden geht?

Ein eingehender Blick auf die Website des Max-Planck-Instituts und in die von den befragten Mitarbeitern gemailten Links macht stutzig. Man schaue sich beispielsweise das Video zur "Evolution des Lernens" (www.eva.mpg.de/german/filme.htm) an und vergleiche die Freundlichkeit und Geduld, mit der das menschliche Kind zur Kooperation aufgefordert wird, mit der fast unwirschen Knappheit, mit der sich die Forscherin innerhalb weniger Sekunden vergewissert, dass die Schimpansin die Zeigegeste nicht versteht.

An anderer Stelle desselben Videos wird das Kind von dem Forscher noch aufmunternd gefragt: "Und jetzt du, ja?" Das Kind nickt, es hat die Aufgabe also verstanden. In einem anderen Versuch sitzt ein Kind auf dem Schoß seines Vaters, und dieser hebt mehrmals den Arm an, ermutigt sogar mit Blick und Laut, wenn das Kind einen Gegenstand aufheben soll, der dem Gegenüber heruntergefallen ist.

Mit einer weiteren Versuchsreihe möchten die Leipziger schließlich zeigen, dass Menschenaffen nicht nachahmen und demnach nur eingeschränkt durch Beobachtung lernen. Der junge Forscher formuliert seine Absicht auch genau so, nämlich als Nachweis eines Defizits: "Was ich versuche aufzuzeigen, ist, dass die Affen echte Schwierigkeiten haben mit Imitation." Gesagt, getan. Einer Orang-Utan-Frau wurde vorab beigebracht, dass sie eine bestimmte Röhre drehen muss, damit eine Traube herausfällt. Nur heute nicht - während des Versuchs ist die Röhre blockiert. Bei ihren vergeblichen Bemühungen wird sie von einer anderen Orang-Utan-Frau beobachtet, die dann ebenfalls an die Apparatur geführt wird. Wird sie auf dieselbe Weise versuchen, die Röhre zu drehen?

Natürlich nicht! Den Betrachter des Videos überrascht das wenig, hat die Orang-Frau doch lange genug sehen können, dass die Manipulation der Röhre zu nichts führte. Schön blöd wäre sie, wenn sie dasselbe versuchte! Der Forscher allerdings fühlt sich in seiner umgekehrten Hypothese bestätigt: dass Affen wenig Veranlagung zeigen, aus Beobachtung zu lernen.

Stets vom Menschen her gedacht

Solche Ungenauigkeiten sind nun keine Besonderheit des Leipziger Max- Planck-Instituts. Sie sind Symptome einer weit verbreiteten Form von Verhaltensforschung und Anthropologie, die stets in einer vom Menschen her und implizit hierarchisch gedachten Weise die Grenzen zwischen "uns" und "ihnen" exakt bestimmen und festklopfen will.

Kein Wunder, dass solche Wissenschaft Gefahr läuft, an ihrem Gegenstand vorbei zu fragen oder zu überhören, auf welche vielleicht ganz andere Frage das Verhalten der Tiere Antwort gibt. Dies gilt übrigens bereits für Köhler, auch wenn seine "Intelligenzprüfungen" eindrucksvolle kognitive Leistungen von Schimpansen belegen.

So schlägt der südafrikanische Schriftsteller J. M. Coetzee in seiner Erzählung "Das Leben der Tiere" vor, sich einmal in die Lage von Köhlers Affen zu versetzen. Normalerweise wird er gut versorgt, plötzlich bekommt er die Nahrung entzogen. Der Mann, der ihn sonst füttert, stellt ihm Kisten hin und legt die Bananen in unerreichbare Höhe. Der Intelligenztest beginnt.

"Aber was soll man denken?", fragt sich laut Coetzee womöglich der Affe. "Man denkt: Warum lässt er mich hungern? Man denkt: Was habe ich getan? Warum kann er mich nicht mehr leiden? Man denkt: Warum will er diese Kisten nicht mehr haben?" Was mögen die Schimpansen und Orangs denken, in deren Gegenwart ein tolpatschiger Forscher nach dem anderen Gegenstände fallen lässt, hilflos mit den Armen rudert und sich - obwohl doch jung und gesund - als unfähig erweist, das Verlorene selber aufzuheben? Erstaunlich genug, dass sie diesem Menschen helfen; über die Speziesgrenze hinweg erkennen sie ihr Gegenüber anscheinend als hilfsbedürftig. Oder denken sie, es sei ein Spiel? Würde es umgekehrt genauso funktionieren?

Für diesen Text wurden die bis dahin zur Auskunft bereiten Forscher per E-Mail gefragt, ob es entsprechende Versuche gebe: Hilft das menschliche Kleinkind vielleicht einem Affen, der etwas fallen gelassen hat? Eine Frage, die ohne Antwort geblieben ist.

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