Verhaltensforschung:Wie Tauben ihren Weg durch die Lüfte finden

Züchter stellen Chinesentauben vor

Immer dem Schnabel nach? So einfach ist es wohl nicht.

(Foto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa)
  • Das Verhalten von Tauben ist sogar für Forscher manchmal sehr verwirrend.
  • Manche glauben, die Vögel benutzen ihren Geruchssinn zum Navigieren. Oder haben sie doch einen Sinn für das Magnetfeld der Erde?
  • Womöglich ist beides richtig und die Tiere benutzen je nach Situation verschiedene Methoden.

Von Katrin Blawat

Wer sich schwer tut mit der Orientierung, der kann Tauben nur bewundern. Wie schaffen sie es bloß, aus weiter Entfernung nach Hause zu finden? Auch Wissenschaftler fragen sich das seit Jahrzehnten - und streiten darüber mit einer Vehemenz, wie sie sich nicht oft in wissenschaftlichen Veröffentlichungen findet. Der Streit dreht sich unter anderem um eine eigentlich simpel klingende Frage: Nutzen Tauben ihren Geruchssinn zum Navigieren? Zahlreiche Studien bestätigen diese Theorie, zahlreiche andere widerlegen sie. Um es noch komplizierter zu machen, ist selbst unter jenen Wissenschaftlern, die olfaktorische Reize für wichtig halten, die genaue Relevanz der Duftstoffe umstritten. Eine Forscher-Fraktion vermutet, die Substanzen würden das körpereigene Navi lediglich aktivieren, für die eigentliche Orientierung aber seien sie bedeutungslos.

Von wegen, schreibt nun sinngemäß eine italienisch-deutsche Gruppe im Journal of Comparative Physiology A. Sehr entschieden präsentieren sie dort zwei Schlussfolgerungen: Ja, Tauben orientierten sich mithilfe ihres Geruchssinns. Und nein, Duftstoffe würden dabei nicht bloß unspezifisch das Navigationssystem aktivieren, sondern sie dienten unmittelbar als Orientierungshilfe. So hatten es italienische Forscher bereits 1972 postuliert.

Anna Gagliardo und Enrica Pollonara, beide von der Universität Pisa, sowie Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut (MPI) für Ornithologie in Radolfzell testeten die Navigationsfähigkeiten von insgesamt 63 Tauben, die unter verschiedenen Bedingungen gut 50 Kilometer von ihrem Heimatgebiet fortgebracht wurden und nach Hause fliegen sollten. Bei manchen Vögeln blockierten die Forscher kurz vor der Freilassung den Geruchssinn, indem sie eine Zinksulfat-Lösung auf die Nasenschleimhaut gaben. Die so behandelten Tiere konnten sich schlechter orientieren als diejenigen einer Kontrollgruppe, die in keinster Weise manipuliert worden waren. Daraus leiten die Autoren ab, dass der Geruchssinn eine entscheidende Rolle spielt.

Eine dritte Gruppe Vögel reiste in Transportboxen, aus deren Luft die natürlichen Duftstoffe der Heimat entfernt und durch künstliche Gerüche ersetzt worden waren. Falls Duftstoffe lediglich zur Aktivierung der Navigationsfähigkeiten dienen sollten, müssten sich die Tauben auch unter dieser Bedingung problemlos zurechtfinden. Doch das Gegenteil war der Fall. Die Vögel in dieser Gruppe taten sich am schwersten damit, ihren Weg zu finden. Dies widerlege die sogenannte olfaktorische-Aktivierungs-Hypothese, so die Autoren. "Es gibt hierfür keine wirklichen Hinweise", sagt Martin Wikelski.

Tatsächlich passen die aktuellen Ergebnisse in das Bild, das sich aus früheren Untersuchungen der italienischen Forscher sowie ihrer Kollegen vom MPI ergeben hat. Demnach erstellen Tauben eine Art Duft-Landkarte ihrer Heimat. Anhand der Gradienten bestimmter Geruchsstoffe in der Luft erkennen sie dann in der Ferne, wo ihr Zuhause liegt.

Die Daten scheinen eindeutig - und doch regt sich Widerspruch

All das kann die Kritiker der olfaktorischen Navigations-Theorie jedoch nicht überzeugen. So schreiben Roswitha und Wolfgang Wiltschko von der Universität Frankfurt in einem begleitenden Editorial, die Unterschiede zwischen den Tauben-Gruppen seien eher graduell als prinzipiell. "Wir halten Gerüche nicht für Orientierungsfaktoren", sagt Roswitha Wiltschko. "Die Befunde zur olfaktorischen Orientierung konnten an anderen Schlägen nicht bestätigt werden, auch nicht an unserem Schlag in Frankfurt."

Cordula Mora von der Bowling Green State University hält die Schlussfolgerungen der Autoren ebenfalls nicht für gerechtfertigt. Ihrer Meinung nach hat die Manipulation des olfaktorischen Gewebes nicht nur den Geruchssinn ausgeschaltet, sondern auch die Rezeptoren für das Erdmagnetfeld blockiert, die sich vermutlich in der Nasenschleimhaut befinden. "Somit hat diese Behandlung außer der olfaktorischen Information auch die magnetische Information für die Navigation ausgeschaltet", sagt die Wissenschaftlerin. Wikelski wiederum hält dieses Argument lediglich für den Versuch "alte Ideen ad hoc zu retten".

Man kann den Autoren des aktuellen Editorials nur zustimmen, wenn sie vermuten, Beobachter des jahrelangen Streits "könnten an dieser Stelle verwirrt sein und sich fragen, in welche Richtung das Pendel als nächstes ausschlagen wird". Dabei gibt es durchaus einige Eckpunkte, in denen sich die Tauben-Forscher einig sind. So gilt als unstrittig, dass die Vögel auch optische Landmarken, den Sonnenstand sowie das Magnetfeld der Erde zur Orientierung nutzen. Doch hier beginnt bereits die nächste Debatte: Wie nehmen Tauben die Feldlinien wahr?

2004 veröffentlichte Mora im Fachmagazin Nature eine Studie, in der sie die Magnetfeld-Rezeptoren im oberen Teil des Schnabel lokalisierte (und einen Beitrag des Geruchssinns an der Orientierung so gut wie ausschloss). Die Rezeptoren im Schnabel galten fortan als gesetzt - bis acht Jahre später eine andere Forschergruppe im gleichen Journal verkündete, bei den vermeintlichen Magnetfeld-Rezeptoren im Schnabel handele es sich keineswegs um Neuronen, sondern um Zellen des Immunsystems. Wo die Rezeptoren sich stattdessen befinden, ist weiter unklar. Mora und einige andere Wissenschaftler vermuten sie nun ausgerechnet in der Nasenschleimhaut.

Die Kontrahenten organisierten eine gemeinsame Studie und legten die Daten gegensätzlich aus

Die Wissenschaftler haben sich in der Vergangenheit durchaus bemüht, die Debatte konstruktiv anzugehen. Doch wie das so ist mit dem redlichen Bemühen: Es kann auch scheitern. Vor 40 Jahren begannen amerikanische und italienische Wissenschaftler eine gemeinsame Studie zur Tauben-Navigation. Die Amerikaner verneinten einen olfaktorischen Einfluss, die Italiener befürworteten ihn. Der Wille zur Zusammenarbeit reichte jedoch nur bis zu dem Moment, in dem es darum ging, sich auf eine einheitliche Interpretation ihrer Daten zu einigen.

So enthielt die Studie schließlich zwei getrennte und einander widersprechende Diskussionsteile - "was in der Wissenschaft einzigartig sein dürfte", wie es im aktuellen Editorial heißt. Schon die jeweils ersten Sätze der beiden Diskussionen zeigen, wie rigoros sich die Lager gegenüberstanden. "Die vorliegende Studie reduziert deutlich die Diskrepanz, die zwischen den früher gewonnenen Ergebnissen aus Ithaca und Pisa zu bestehen schien", schrieben die italienischen Forscher um Floriano Papi von der Uni Pisa. Dagegen die amerikanischen Biologen um William Keeton von der Cornell University in Ithaca im Bundesstaat New York: "Unserer Meinung nach beheben die vorliegenden Ergebnisse nicht die grundlegende Diskrepanz zwischen den früher veröffentlichten Ergebnissen aus Ithaca und Pisa."

Offenbar haben Tauben neben ihren guten Orientierungsfähigkeiten noch ein weiteres herausragendes Talent: Wissenschaftler zu verwirren. Sie machen es den Forschern auch deshalb schwer, weil sich ihr Verhalten je nach Standort zu unterscheiden scheint. Navigieren die Vögel in den USA vielleicht anders als in Italien? Charles Walcott von der Cornell University hält das für gut möglich, wie er im Editorial schreibt: "Meine Schlussfolgerung lautet, dass Tauben Opportunisten sind."

Verschiedene Individuen in verschiedenen Entwicklungsstadien und an verschiedenen Standorten nutzten womöglich verschiedene Strategien zur Orientierung. Auch Roswitha und Wolfgang Wiltschko sprechen sich dafür aus, in jeder Studie Vögel an mehr als einem Ort zu testen. Besonders hoffnungsvoll, dass dies zu einer eindeutigen Antwort führen könnte, klingen sie im Editorial jedoch nicht: "Man kann nur hoffen, dass dies nicht zu einem ähnlichen Szenario führt wie die Zusammenarbeit von Papi und Keeton."

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