Verhaltensforschung und Umweltschutz:Der Nachbar als Motivator

Die Weltgemeinschaft unternimmt wenig, um den Klimawandel aufzuhalten. Verhaltensforscher ergründen, wie sich Menschen zu umweltfreundlichem Handeln bewegen lassen.

Hubertus Breuer

Homo sapiens? Von wegen! Der Mensch ist längst nicht so vernünftig, wie es sein Name nahelegt. Seit langer Zeit wissen wir, dass der Klimawandel den Meeresspiegel steigen lässt und dass Wetterextreme wie Stürme oder Starkregen zunehmen werden. Und was unternimmt die Weltgemeinschaft, um die Katastrophe aufzuhalten?

Energiesparen

In dem Collegestädtchen San Marcos informierten Wissenschaftler der California State University die Haushalte darüber, wie hoch die Energie-Rechnungen ihrer Nachbarn waren. Hatten sie diesen Vergleichsmaßstab, änderten sie ihr Verhalten.

(Foto: California State University, San Marcos)

Kaum etwas - die Staaten und ihre Vertreter können sich auf keine verbindliche Strategie einigen. Bevor nun aber ein empörtes Raunen einsetzt, sollte man sich folgende Frage stellen: Was macht jeder Einzelne? Was tragen die Bürger der Industrienationen dazu bei, um den Klimawandel zu bekämpfen? Herzlich wenig, ist ja auch viel schöner, die nächste Fernreise zu planen, anstatt über die Zukunft des Planeten nachzudenken.

Das wollen Wissenschaftler ändern. Sie wagen sich daran, das Verhalten einzelner Menschen zu beeinflussen. Der theoretische Grundstein für die Lösung der Mammutaufgabe wurde in der Disziplin der Verhaltensökonomie gelegt. Deren Vertreter versuchen seit den 1970er-Jahren das scheinbar irrationale Handeln der Menschen zu erklären. In jüngster Zeit haben diese Forscher begonnen, sich zu überlegen, wie die Menschen motiviert werden können, gegen die Klimaerwärmung tätig zu werden.

Doch es gibt Hindernisse - zum Beispiel das Problem, dass eine oder zwei gute Taten nicht ausreichen. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Menschen ihr Entscheidungsverhalten angesichts einer Gefahrensituation drastisch vereinfachen. Sie reagieren mit einer oder zwei Handlungen, dem drohenden Klimawandel begegnen sie etwa damit, den Müll zu recyceln und Energiesparlampen zu kaufen.

Zwar ließe sich weitaus mehr tun, aber viele Menschen lassen es bei diesen Aktionen bewenden, da sie sich dann bereits weniger gestresst fühlen. Die Fachliteratur nennt das "single action bias". "Die Aufmerksamkeit wendet sich dann anderen Prioritäten zu", sagt die Wirtschaftspsychologin Elke Weber vom Center for Research on Environmental Decisions an der Columbia University in New York. "Wir müssen die Menschen dazu bringen, die Verantwortung für die Umwelt zu einer selbstverständlichen Priorität werden zu lassen."

Menschen brauchen oft nur einen kleinen Anstoß

Doch selbst wenn das gelingen sollte, kämpfen Menschen mit der Schwierigkeit, realistisch einzuschätzen, welchen Nutzen sie langfristig davon haben, weniger Auto zu fahren, das Licht auszuknipsen oder Strom aus Windenergie zu beziehen. Was in ferner Zukunft geschieht, tangiert uns kaum: So nehmen die meisten Menschen lieber 100 Euro heute bar auf die Hand, statt zwei Jahre auf 200 Euro zu warten.

Deshalb ist es schwierig, Menschen in Ländern ohne leistungsstarkes Rentensystem dazu zu bewegen, ausreichend finanzielle Vorsorge für ihre Rente zu betreiben. Wer 30 Jahre alt ist, bei dem liegt der Ruhestand in weiter Ferne. Ebenso fruchten Warnungen vor einem drohenden Untergang wenig, wenn erst die Enkelgeneration betroffen ist.

Um dieses Problem zu lösen, suchen Forscher nach Tricks, Menschen mit sanfter Führung zu umweltfreundlichem Verhalten zu bewegen. In dem Buch "Nudge: Wie man kluge Entscheidungen anstößt" berichten der Verhaltensökonom Richard Thaler von der Universität Chicago und der Jurist Cass Sunstein, derzeit Berater von Barack Obama, von einer interessanten Studie einer Forschungsgruppe um Wesley Schultz von der California State University in San Marcos.

In dem Collegestädtchen bekam jeder Haushalt eine zusätzliche Information zur monatlichen Stromrechnung: Man teilte den Menschen mit, wie hoch die Rechnungen ihrer Nachbarn waren. Hatten sie diesen Vergleichsmaßstab, änderten sie ihr Verhalten.

Wer über dem Durchschnitt lag, begann Energie zu sparen. Wer darunter lag, verbrauchte ein wenig mehr als zuvor. Belohnte man die Genügsamen, blieb auch ihr Energiekonsum gering. Ein Smiley auf ihrer Rechnung genügte dafür. Für Thaler und Sunstein belegt die Studie, dass Menschen oft nur einen kleinen Anstoß brauchen - einen "Nudge", wie es im Englischen heißt.

Smileys allein werden die Welt nicht retten

Das Experiment lieferte die Idee für eine Softwarefirma namens Opower, die Energieversorgern in den USA hilft, ihren Kunden zu verdeutlichen, wie viel Energie sie im Vergleich zu ihren Nachbarn konsumieren. Das Programm hat Erfolg, wenn auch in bescheidenen Maßen: Um zwei Prozent ist der Energieverbrauch durch die Initiative bislang gesunken. Dabei ist die Ersparnis in den Tagen, nachdem die Rechnung eingetroffen ist, stets am größten. "Die Aufmerksamkeit lässt mit der Zeit eben nach - dann braucht es bald wieder eine neue Ermunterung", sagt der Ökonom Hunt Allcott von der Universität New York.

Doch Smileys allein werden die Welt nicht retten. Und es fragt sich, welche weiteren Stupser Menschen helfen können. Verhaltensökonomen und Sozialpsychologen untersuchen deshalb etliche weitere Strategien. Ein Hebel ist seit jeher der Preis. In Europa ist Benzin teurer als in den USA, weshalb die Pkw deutlich kleiner und sparsamer ausfallen.

Ein weiterer Ansatz ist, an das Verantwortungsbewusstsein nicht nur des Einzelnen, sondern der Gruppe zu appellieren, der man sich zugehörig fühlt. So gibt es in den Vereinigten Staaten eine Bewegung, die gezielt konservative Christen anspricht, die traditionell eher Freunde wirtschaftsliberaler Republikaner sind. Die Lösung: "Creation Care". Die Bibel, so die Botschaft an die Gläubigen, verpflichte den Menschen, sich um Gottes Schöpfung zu kümmern.

Ein Allheilmittel gibt es aber nicht, um Menschen von einem grünen Lebensstil zu überzeugen, nur ein Maßnahmenbündel. Doch selbst wenn Verhaltensökonomen solche Mittel identifiziert haben, ist das Ziel noch nicht erreicht. "Die meisten unserer Erkenntnisse verdanken wir Laborexperimenten", sagt Hunt Allcott. "Aber wir müssen sie im großen Maßstab umsetzen."

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