Verhaltensbiologie:Kojoten und Luchse suchen Schutz beim Menschen - und werden getötet

Verhaltensbiologie: Rotluchse unterschätzen, wie gefährlich Menschen sind.

Rotluchse unterschätzen, wie gefährlich Menschen sind.

(Foto: Kike Calvo/AP)

Kojoten und Luchse haben mehr Angst vor Pumas und Bären als vor Menschen. Offensichtlich wissen sie nicht, dass der Homo sapiens ein Super-Raubtier ist.

Von Tina Baier

Das Leben der Kojoten und Rotluchse im amerikanischen Bundesstaat Washington ist kompliziert. Fast überall riecht es nach Mensch, und außerdem gibt es dort Bären und Pumas, die gerne Kojote oder Luchs frühstücken. Die Washingtoner Bären und Pumas meiden vernünftigerweise Gegenden, in denen sich Menschen herumtreiben. Kojoten, Luchse und andere mittelgroße Raubtiere verhalten sich dagegen ganz anders, wie eine Studie im Wissenschaftsjournal Science jetzt belegt: Sie scheinen die Nähe des Menschen geradezu zu suchen, ganz nach dem Motto "der Feind meines Feindes ist mein Freund". Und damit machen sie einen großen Fehler: Wie die Studienautoren um Laura Prugh von der University of Washington in Seattle zeigen, tötet das Super-Raubtier Mensch deutlich mehr Kojoten und Luchse als alle anderen großen Raubtiere zusammen.

Für ihre Untersuchung fingen die Forscherinnen und Forscher unter anderem 35 Kojoten, 37 Rotluchse und - als Vertreter eines großen Raubtiers - 60 Pumas ein und banden ihnen ein Halsband mit GPS-Sender um. Dann analysierten sie fünfeinhalb Jahre lang die Bewegungsmuster der Tiere und setzten sie in Relation zu anderen Arten. Wenn sich ein Tier nicht mehr bewegte, suchten sie es und versuchten, die Todesursache herauszufinden.

Die Auswertung der Ergebnisse zeigt, dass Rotluchse und Kojoten die Gefährlichkeit des Menschen stark unterschätzen. Im Untersuchungszeitraum wurden 14 der mit einem GPS-Sender ausgestatteten Kojoten von Menschen erschossen oder überfahren - aber nur drei von einem Puma gerissen und einer von einem Bären. Von den Rotluchsen starben elf durch Menschen: Acht gerieten in eine Falle, drei wurden erschossen. Von einem Puma wurden nur zwei getötet, von einem Bären keiner. Insgesamt war das Risiko von Kojoten und Luchsen, innerhalb eines Jahres von einem Menschen getötet zu werden, mehr als dreimal so hoch wie das Risiko, von einem Puma oder einem Bären gerissen zu werden.

Andere Tiere nutzen die Nähe zum Menschen erfolgreich zu ihrem Schutz

Offensichtlich seien die beiden kleineren Raubtier-Arten in eine "ökologische Falle" geraten, schreiben die Studienautoren. Mit diesem Begriff wird in der Biologie ein Verhalten bezeichnet, bei dem Tiere irrtümlich einen Lebensraum wählen, in dem ihre Überlebenschancen geringer sind als in einer anderen Umgebung, in der sie sich ebenfalls aufhalten könnten.

Anderswo und bei anderen Arten funktioniert die Strategie, den Menschen sozusagen als Schutzschild gegen andere Raubtiere zu benutzen: Im Yellowstone National Park zum Beispiel bringen Elch-Weibchen ihren Nachwuchs oft in der Nähe von Straßen zur Welt. Weil Grizzly-Bären, die dort die größte Gefahr für kleine Elche sind, einen weiten Bogen um Straßen machen, erhöhen sie dadurch die Überlebenschancen ihrer Kälber. Im Unterschied zu den Elchen leben die untersuchten Kojoten und Luchse aber nicht in einem Schutzgebiet, sondern in einer Umgebung, in der das supereffiziente, omnipräsente Raubtier Mensch keine Rücksicht auf sie nimmt. Warum fürchten die beiden Arten den Menschen trotzdem nicht so sehr wie andere, offensichtlich weniger gefährliche Raubtiere?

Möglicherweise bedeute das Studienergebnis, dass Tiere im Anthropozän an die Grenzen ihrer Anpassungsfähigkeit stoßen, vermuten der Umweltwissenschaftler Chris Darimont von der kanadischen University of Victoria und die kanadische Umweltschützerin Ishana Shukla in einem Begleitkommentar in Science. Der Mensch tötet demnach so schnell und effektiv, dass es zu wenige Überlebende gibt und die Evolution nicht Schritt halten kann.

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