Verhaltensbiologie:Lässige Stadt-Hörnchen

Verhaltensbiologie: Ein Nager, der sich in der Stadt durchaus wohl fühlt: das Streifen-Backenhörnchen.

Ein Nager, der sich in der Stadt durchaus wohl fühlt: das Streifen-Backenhörnchen.

(Foto: Orlin Wagner/AP)

Großstadt-Neurotiker? Für das Streifen-Backenhörnchen gilt das nicht. Urbane Exemplare sind entspannter als ihre Verwandten auf dem Land.

Von Katrin Blawat

Wenn sich die Menschen in der Fußgängerzone drängeln, um den letzten Parkplatz im Viertel streiten oder man die Luft anhalten muss, um überhaupt noch in die überfüllte U-Bahn zu passen - dann wäre es nicht schlecht, ein Streifen-Backenhörnchen zu sein. Denn dieser knapp 20 Zentimeter große Nager beherrscht meisterhaft, was nicht wenigen Menschen enorme Schwierigkeiten bereitet: das urbane Leben mit all seinen Widrigkeiten von der lockeren Seite zu nehmen.

Ein Buch wie "Stress and the City", in dem der Berliner Psychiater Mazda Adli die aufreibenden Seiten des Lebens in Metropolen beschreibt, hätte sich mit Streifen-Backenhörnchen als Protagonisten schnell erledigt. Stattdessen gilt für diese Tiere: "Fat and happy in the city". So haben Biologen um Jeremy Lyons von der Laurentian University in Ontario ihre Studie im Fachmagazin Behavioral Ecology genannt. Ihr Fazit liest sich wie ein Plädoyer für die Landflucht: In der Stadt lebende Streifen-Backenhörnchen sind weniger gestresst als ihre Artgenossen auf dem Land.

Die Forscher fingen 60 Tiere aus zwei kanadischen Städten sowie 80 Artgenossen aus benachbarten ländlichen Gebieten in Lebendfallen. Sie wollten wissen, wie sich die Tiere in Hinblick auf ihre Körpermasse, die Spiegel des Stresshormons Cortisol sowie in ihrem Verhalten gegenüber Unbekanntem unterschieden. Dabei zeigte sich, dass sich Streifen-Backenhörnchen bestens und offenbar schon seit einiger Zeit ans Stadtleben gewöhnt haben. Die urbanen Tiere waren im Durchschnitt größer und schwerer, sie bewegten sich weniger und in ihnen zirkulierten weniger Stresshormone. Letzteres ermittelten die Biologen aus Haar- und Kotproben.

Damit scheinen Streifen-Backenhörnchen außergewöhnlich gut mit dem Leben in der Stadt zurecht zu kommen. Offenbar stellt sich den Nagern nicht das Dilemma, vor dem viele andere Arten stehen: Zwar bietet die Stadt ein reiches Nahrungsangebot, vor allem für Spezies mit einem breit gefächerten Speiseplan. Wo viele Menschen sind, fällt immer etwas zu essen ab. Doch sorgen Menschen nicht nur für Nahrung, sondern auch für andauernde Störungen und neue Gefahrenquellen, etwa durch den Straßenverkehr.

Manche Arten wie der in Australien heimische Mittlere Gleithörnchenbeutler reagieren darauf mit einem Anstieg der Stresshormone. Andere Spezies wie der europäische Igel, der amerikanische Rotluchs und Kojoten weichen der Verkehrs-Bedrohung aus, indem sie ihre Aktivitätszeiten so verschieben, dass sie mit den Ruhezeiten der Menschen zusammenfallen. Und die Streifen-Backenhörnchen? Tun gar nichts. Sie minimieren ihr Risiko, indem sie generell weniger aktiv sind. Das spart Energie, und überfahren wird man so auch nicht so leicht.

Das Motto der lockeren Streifen-Backenhörnchen: "Wer sich zuerst bewegt, verliert!"

Verhaltensexperimente zeigten zudem, dass die in der Stadt lebenden Nager weniger bereit waren, neue Orte kennenzulernen. Das überrascht zunächst, denn einer verbreiteten und intuitiv nachvollziehbaren Theorie zufolge sind es gerade die erkundungsfreudigen Individuen, die in neue Lebensräume wie eine Stadt vordringen und dort heimisch werden. Wer nicht mal einen Funken Abenteuergeist besitzt, der bleibt wohl lieber im menschenleeren Wald, selbst wenn Futterknappheit dort ein ständiger Stressfaktor ist. Die Streifenhörnchen jedoch sind womöglich über die Phase, in der sie sich die Stadt als neuen Lebensraum erst aneignen müssen, bereits hinaus. So konnte sich in einer zweiten Phase ein Typ dieser Tiere entwickeln, der nach dem Motto lebt: "Wer sich zuerst bewegt, verliert." Alles, was es dafür braucht, sind genügend Essensreste in der Nähe - und ein starkes Nervenkostüm, das durch Lärm, Trubel und Menschenmengen nicht angekratzt wird.

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