Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Krieg der Bienen

Manche Bienen terrorisieren andere Arten, um deren Nester zu erobern. Für die Aussicht auf neue Reviere oder frische Futterreserven riskieren die Angreifer sogar das eigene Überleben.

Von Christoph Behrens

Die Luftangriffe dauerten 15 Tage. Ein Geschwader nach dem anderen raste in die gegnerische Basis und in die Abwehrtruppen der Verteidiger. Im Todesgriff umschlangen die Kämpfer sich in der Luft, verbissen sich ineinander, gelähmt stürzten sie zu Boden. Nicht einmal vor dem Nachwuchs machten die Aggressoren halt, er wurde gepackt, aus dem Bienennest gezerrt und auf den Boden geschmettert.

Diesen Konflikt zweier Bienenvölker haben Biologen im australischen Busch beobachtet. Tausende Todesopfer zählten sie am Ende, es sei der "erste Beweis für Kriegsführung zwischen zwei Bienenarten", schreiben sie im Fachblatt The American Naturalist (Bd. 184, 2014). Über Monate hatte das Team um Paul Cunningham von der Queensland University of Technology ein Bienennest der Art Tetragonula carbonaria observiert. Diese stachellosen "Zuckerbeutelbienen" sammeln im Buschland Australiens Nektar von Orchideen.

Kämpfe auf Leben und Tod sind evolutionär gesehen riskant

Wie die Forscher schnell merkten, befand sich die Kolonie im Belagerungszustand. Arbeiter der verwandten Art T. hockingsi flogen Angriffe auf das Nest und versuchten den Eingang zu erobern. Nicht plump und ungestüm, sondern einer Art Schlachtplan folgend: Auf kleinere Scharmützel im Juli sei eine große Offensive im August gefolgt, und schließlich eine Invasion im Oktober, schreiben die Forscher. Das ganze Nest war auf dem Höhepunkt der Gewalt mit Angreifern und Verteidigern bedeckt. Wenige Tage später endeten die Kämpfe. Als die Forscher einige Monate später den Bienenstock öffneten, fanden sie keinen der ursprünglichen Bewohner mehr darin - T. hockingsi hatte den Bau übernommen. "Die Königin, die den neuen Schwarm gründete, war wahrscheinlich die Tochter der Königin der Angreifer", berichtet Cunningham.

Nach der Entdeckung des Bienenkriegs sammelte das Team Daten von 260 Bienenstöcken australischer Imker. In fünf Jahren wechselten in 46 die Bewohner durch, schreiben die Wissenschaftler. Meist errangen die T. hockingsi die Kontrolle im Nest, fünf Mal eroberten auch die Zuckerbeutler einen fremden Bau. Solche feindlichen Übernahmen kämen also wohl häufiger vor als vermutet.

Für Biologen ist das überraschend. Kämpfe bis auf den Tod sind in der Natur selten, da sie evolutionär riskant sind. Die Aggressoren bezahlen für die Attacken einen hohen Preis; Arbeiter, die für den Kriegsdienst eingezogen werden, können nicht mehr nach Nektar suchen oder am Nest arbeiten. Militärische Fehlschläge gefährden zudem die Überlebenschancen der Kolonie. Erst die Aussicht auf ordentliche Beute, wie Nahrung oder neue Lebensräume, macht die Risiken annehmbar. Deshalb terrorisieren einige Ameisenarten ihre Nachbarn, um fremde Bauten zu plündern oder die Unterlegenen zu versklaven.

Honigbienen dagegen, vor allem europäische Arten, "kämpfen eigentlich nicht gegeneinander, um ein gegnerisches Volk zu übernehmen", sagt Werner von der Ohe vom Institut für Bienenkunde in Celle. "Nur Räuberei findet statt." Bei unzureichendem Nahrungsangebot könnten die Bienen schwächere Völker ausplündern - ohne sie zu erobern. Auch afrikanische Bienen besetzen manchmal Nester europäischer Arten. Dabei handelt es sich um schnelle Kommandooperationen: Kleine Trupps dringen ins gegnerische Nest ein und installieren eine eigene Anführerin, die den Staat mit ihren Pheromonen unter ihren Einfluss bringt. Großflächige Konflikte zweier Bienenvölker und besonders gezielte Attacken auf den Nachwuchs wie bei T. hockingsi und T. carbonaria konnten Wissenschaftler dagegen noch nie direkt beobachten.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2242821
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 29.11.2014
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.