Verhaltensbiologie:Affen auf Schnäppchenjagd

Die Höhe des erwarteten Gewinns, die Angst vor Verlust - Primaten verhalten sich ähnlich irrational wie Menschen, wenn sie einen Vorteil vermuten.

Hubertus Breuer

Vor Kapuzineräffchen sind alle M&M gleich. Die bunten Schokoladenbonbons sind ein beliebter Leckerbissen, doch ob die Süßigkeit in gelbe, grüne oder braune Zuckerglasur gehüllt ist, kümmert die Tiere wenig.

Verhaltensbiologie: Kapuzineraffen sind ebenso dumm wie Menschen - vor allem, wenn es ums Geld geht.

Kapuzineraffen sind ebenso dumm wie Menschen - vor allem, wenn es ums Geld geht.

(Foto: Foto: Frans de Waal/Verwendung gemäß Creative Commons Attribution 2.5)

Zumindest schien es so zu sein, bis die Psychologin Laurie Santos von der Yale University einige der südamerikanischen Affen vor die Wahl stellte: das blaue Bonbon oder das rote? Gierig entschieden sie sich und griffen zu.

Dann geschah etwas Sonderbares. Hin und wieder weigerten sich die Tiere, ein Bonbon einer Farbe anzunehmen. Aus Zufall wurde Methode: Die Tiere begannen, das zunächst zufällig zurückgewiesene Stück Schokolade auch in anderen Fällen abzulehnen.

Wieder und wieder ließen die Forscher die Tiere Schokobonbons aussuchen. Die Neuweltaffen schienen nun von ihrer ursprünglich spontanen Entscheidung überzeugt zu sein. Die einmal verschmähte Süßigkeit genügte ihren Ansprüchen fortan nicht mehr. Und das, obwohl die Affen alle Schokodrops zuvor unterschiedslos verspeisten.

Das ist offenbar irrational - und neu bei Primaten. Ein Wunder ist es allerdings nicht. Unvernunft bei Affen war bisher nur kaum ein Thema der Verhaltensforschung, obwohl Ähnliches vom Menschen längst bekannt ist. Stattdessen studierten Primatologen an Affen, was sie an sich selber schätzten: Intelligenz, kommunikative Fähigkeiten oder Werkzeuggebrauch.

Denkschwächen bei Primaten

Seit einigen Jahren jedoch untersucht Santos systematisch die Denkschwächen der Primaten. Dabei zeigt sich, dass Kapuzineraffen ebenso dumm wie Menschen sind - vor allem, wenn es ums Geld geht.

In ihrem geräumigen Büro an der Yale University - der Blick aus dem Fenster geht auf einen Friedhof mit Grabsteinen aus dem 19. Jahrhundert - sinniert die junge Professorin über die Denkfehler ihrer zwölf Schützlinge: "Geistige Stärken des Menschen evolutionär zu erklären, fällt leicht. Aber warum wir und Primaten oft die gleichen Fehler machen, ist rätselhaft. Wo liegt denn der Vorteil?"

Beim M&M-Experiment, das Santos' Gruppe vor zwei Jahren unternahm, liegt die Antwort nahe. Es ist ein Beispiel für das, was Humanpsychologen "kognitive Dissonanz" nennen. Einmal getroffene Entscheidungen interpretiert der Mensch oft so, dass sie rückwirkend sinnvoll erscheinen - selbst, wenn die Gründe dafür erfunden sind.

Etwa, wenn der ehemalige US-Präsident George W. Bush nach Jahren behauptet, der Einmarsch in den Irak sei eine gute Idee gewesen, obwohl dort keine Massenvernichtungswaffen zu finden waren.

Entsprechend orientieren sich Affen an ihrer einmal zufällig getroffenen Entscheidung. Auf einmal sind blaue Schokolinsen eben nur noch zweite Wahl.

Um menschliches Entscheidungsverhalten zu testen, werden keine Naschereien verwendet. Geld dient Psychologen - und neuerdings auch psychologisch bewanderten Ökonomen - dazu, das Kalkül zu betrachten, das unser Handeln leitet.

Die meiste Zeit verhält sich der Mensch im Umgang mit Finanzen rational. Doch erscheinen die Folgen unsicher, kommt Unvernunft ins Spiel. Nicht anders ergeht es auch den Kapuzineräffchen. In der freien Wildbahn sorgen sie sich zwar nicht um Kapital; dennoch steckt in ihnen ein Finanzjongleur.

In Experimenten begreifen die Primaten rasch den universalen Tauschwert kleiner, runder Metallscheiben. Sie verstehen auch, dass verschiedene Münzen unterschiedliche Kaufkraft haben können. Die Schimpansen der portugiesischen Anthropologin Claudia Sousa horten ihr Kleingeld sogar. Und andere Affen wiederum versuchen, ihren Pflegern eine Gurkenscheibe als Münzersatz unterzujubeln.

Affen auf Schnäppchenjagd

Auch Santos' Forschungsgruppe testete - gemeinsam mit dem Yale-Ökonomen Keith Chen und dem Psychologen Venkat Lakshminarayanan - zunächst, ob ihre Kapuzineräffchen das ökonomische Prinzip hinter dem Spielgeld verstanden hatten.

Sie machten eine Rabattaktion. Kaum hatten die Äffchen bemerkt, dass es Apfelschnitze und Geleewürfelchen bei einem Verkäufer zum halben Preis gab, standen sie dort Schlange.

Begehen Affen die gleichen Denkfehler wie Menschen?

Die von einem zweiten Experimentator regulär angebotene Ware blieb liegen. Die Kapuzineräffchen verhielten sich also völlig rational. Dann kamen die Härtetests: Begehen Affen die gleichen Denkfehler wie Menschen?

In diesem Fall ging es um wirtschaftliche Entscheidungen, wenn die Konsequenzen einer Wahl nicht auf der Hand lagen. Mensch wie Affe greifen dann auf Strategien zurück, die sich in der Evolutionsgeschichte womöglich bewährt haben mögen, aber kühl betrachtet ziemlich irrational sind.

In einem Experiment offerierte ein Mitarbeiter von Santos den Affen stets zwei, ein anderer nur eine Weintraube. Doch als es zur Transaktion kam, behielt der Erste jedes zweite Mal eine Traube zurück, wohingegen der andere ebenso oft eine zweite Traube spendierte.

Im Durchschnitt bekamen die Affen von beiden letztlich die gleiche Menge - bei wem sie einkauften, wäre deshalb egal gewesen. Doch die Kapuzineraffen zogen rasch den Obsthändler vor, der ihnen regelmäßig einen Bonus gab.

Dieses Verhalten ist teilweise mit dem Phänomen des Referenzpunktes zu erklären, an dem sich eine Beurteilung orientiert. In diesem Fall ist die gewählte Richtgröße die Zahl der ursprünglich angebotenen Leckerbissen - sie erlaubt es den Affen erst, die beiden Verkäufer zu unterscheiden.

Hinzu kommt, dass sie sich von einer Verlust-Aversion leiten lassen, wie Verhaltensökonomen mit Blick auf den Menschen sagen - sie ziehen das vermeintliche Plus dem Minus vor.

Die Furcht, zu kurz zu kommen, fördert allerdings auch die Risikobereitschaft der Tiere - nämlich dann, wenn das Angebot mit scheinbar hohen Verlusten einhergeht. Bot ihnen ein Verkäufer ständig drei Weintrauben an und gab ihnen manchmal drei, oft aber nur eine, ließen sich die Äffchen dennoch auf das Risiko ein.

Affen auf Schnäppchenjagd

Und das, obwohl sie sich stattdessen an einen Verkäufer hätten wenden können, der ihnen statt der angebotenen Drei verlässlich jedes Mal zwei gab. Entsprechend klammern sich viele Aktionäre bei fallenden Kursen an ihre Wertpapiere, in der Hoffnung, erlittene Einbußen bald wieder auszugleichen.

Diese Angst vor Verlust erklärt auch den aus der Ökonomie bekannten Besitztumseffekt, der auch bei Affen beobachtbar ist - Primaten schätzen den Wert einer Sache, die sich in ihrem Besitz befindet, höher ein, als den Wert eines Objekts, das ihnen nicht gehört.

Verkaufs- und Kaufpreis fallen auseinander. Für sich genommen ergibt die Asymmetrie keinen Sinn. Aber offenbar wollen Menschen wie Affen ungern aus den Händen geben, was sie einmal besitzen. So steigt der subjektive Wert des Eigentums.

Santos und andere Forscher können über die evolutionären Gründe für die Verlust-Aversion und andere Irrwege des Denkens nur spekulieren. Sie reichen vom feinen Sensorium für Betrüger bis zur Notwendigkeit, in Krisenzeiten hohe Risiken einzugehen. Der Intuitionsforscher Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin vermutet, die scheinbar irrationalen Entscheidungsstrategien seien effiziente Wege, rasch Lösungen zu finden.

Die evolutionsgeschichtlichen Wurzeln reichen tief

Wie immer die Antwort letztlich ausfallen mag, "sie ist in jedem Falle für Affen wie für Menschen die Gleiche", ist sich der Verhaltensforscher Frans de Waal von der Emory University in Atlanta sicher, der seit fast zwei Jahrzehnten mit Kapuzineräffchen arbeitet. Unbekannt ist bislang auch, ob die Mechanismen, die dem Denken zugrunde liegen, genetisch veranlagt sind oder Ergebnis eines Lernprozesses.

Die evolutionsgeschichtlichen Wurzeln des fehlerhaften Denkens reichen jedenfalls tief. Schließlich trennte sich der Stammbaum des Menschen von dem des Kapuzineräffchens bereits vor 35 Millionen Jahren. Risikobereitschaft findet sich ebenfalls bei Ratten, der Besitztumseffekt auch bei Staren.

Deshalb ist es wahrscheinlich illusorisch, dass sich die leicht verzerrte Wahrnehmung mancher Entscheidungssituationen jemals leicht korrigieren ließe. "Wir nützen diese Eigenheiten ohnehin gekonnt", sagt Santos.

"Wir erhalten einen Strafzettel für Falschparken, was uns schmerzt, obwohl die Summe, relativ zu unserem Vermögen, womöglich ein Klacks ist. Und das nächste Mal fahren wir wieder ins Parkhaus."

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