Süddeutsche Zeitung

Veggie Day:Der Allesfresser, der anders kann

Seit der Vorschlag der Grünen für einen Veggie Day in öffentlichen Kantinen bekannt wurde, hagelt es Kritik: Verteidiger des Rechts auf Fleischkonsum gehen auf die Barrikaden. Und vergessen dabei, dass Essen nicht alles ist.

Ein Kommentar von Markus C. Schulte von Drach

Da sind sie wieder, die Verteidiger des Menschenrechts auf freie Auswahl der Ernährungsweise. Zutiefst empört gehen sie auf die Barrikaden gegen den Versuch der Grünen, den riesigen Fleischkonsum in Deutschland ein wenig zu drosseln. (Zu finden u.a. hier.) Das Vergehen der Partei: Sie schlägt vor, in Kantinen einen vegetarischen Tag einzuführen. Manche Kritiker sprechen nun von Bevormundung oder gar Gesinnungsterror, viele reagieren ironisch, zynisch oder zumindest mit Kopfschütteln. Wie können diese Gutmenschen es wagen, sich zwischen uns und die Fleischtöpfe zu stellen? Sollen wir uns tatsächlich vorschreiben lassen, was wir essen?

Auf der anderen Seite gibt es da jene, die weniger Fleisch essen möchten und in den Kantinen nur eine sehr eingeschränkte, häufig unbefriedigende Auswahl vorfinden. Die müssen sich bereits jetzt vorschreiben lassen, was sie essen sollen. Und überhaupt sind wir, was das Essen angeht, sowieso viel stärker fremdbestimmt, als wir wahrhaben wollen. Wie das Angebot aussieht, bestimmen die Hersteller, die in erster Linie möglichst günstig produzieren wollen, und denen es offensichtlich gelingt, uns den Eindruck zu vermitteln, unsere Wünsche und Bedürfnisse zu befriedigen. Vielleicht fühlen wir uns frei angesichts der Auswahl von Fruchtjoghurts. Aber wenn wir einen möchten, der tatsächlich Früchte enthält, haben wir ein Problem. Und natürlich können wir uns für Biofleisch entscheiden. Allerdings ist es noch immer deutlich mühsamer, solches zu besorgen als Produkte aus der Massentierhaltung.

Die Verbraucher sind also weitgehend nur theoretisch frei in der Auswahl ihrer Nahrungsmittel.

Dieses Argument wird jene, die sich jetzt in ihrem Recht auf Fleischkonsum so angegriffen fühlen, vermutlich nicht überzeugen. Aber: Es gibt gar kein Recht auf Fleischkonsum. Genauso wenig wie es ein Recht darauf gibt, Tiere zu quälen, etwa in der Massentierhaltung. Oder darauf, dass das Essen besonders lecker schmeckt. Die Grünen fordern nun, öffentliche Kantinen sollten Vorreiterfunktionen übernehmen: "Angebote von vegetarischen und veganen Gerichten und ein "Veggie Day" sollen zum Standard werden." Das klingt mehr nach einem Wunsch als nach einem Gesetzentwurf. Aber selbst wenn es einer wäre, wäre es kein Skandal.

Der Mensch ist omnivor - also ein Allesfresser. Wie übrigens auch das Schwein. Wir sind aber auf Fleisch nicht angewiesen. Und im Unterschied zu anderen Tieren - mit Ausnahme der Menschenaffen - sind wir mit einer besonderen Gabe ausgestattet, die das Zusammenleben erleichtert und Konflikte vermeiden hilft: Mitgefühl.

Das können wir sogar Tieren gegenüber verspüren. Und wenn rationale Argumente - Gesundheitsprobleme, Antibiotika-Resistenzen, Futtermittelskandale, Umweltzerstörung - nicht ausreichen, um den Fleischkonsum einzudämmen - vielleicht hilft ja diese Bitte: Denkt an Tiere als empfindungsfähige Lebewesen und habt Mitleid. Wenigstens gelegentlich.

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