Süddeutsche Zeitung

Vater der Atombombe:Hexenjagd auf Oppenheimer

Nach einem Grundsatzstreit über die Entwicklung und den möglichen Einsatz der Wasserstoffbombe jagt die amerikanische Regierung im Jahr 1954 den "Vater der Atombombe" Robert Oppenheimer aus dem Amt. Begonnen hatte diese Hexenjagd vor genau 60 Jahren.

Von Christopher Schrader

Der Name des Physikers steht wie kein zweiter für den Erfolg, die Verantwortung und Ohnmacht seiner Wissenschaft: Robert Oppenheimer war ein brillanter Theoretiker der Quantenphysik und ermöglichte es den USA als wissenschaftlicher Leiter des Manhattan-Projekts im Geheimlabor Los Alamos, 1945 die ersten Atombomben zu entwickeln und gegen japanische Städte einzusetzen.

1954 jedoch, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges mit der Sowjetunion und der Kommunistenhatz in seinem Heimatland wurde "Amerikas Prometheus", wie ihn seine Biografen Kai Bird und Martin Sherwin nennen, öffentlich demontiert, gedemütigt und aus dem Amt gejagt. Dieses letzte Kapitel in Oppenheimers Karriere begann vor 60 Jahren, am 25. Mai 1953, im Oval Office bei einem Gespräch des damaligen Präsidenten Dwight D. Eisenhower mit seinem obersten Atomberater Lewis Strauss.

Strauss war bald nach Kriegsende zu Oppenheimers Widersacher geworden und sollte das Leben des Physikers bis zu dessen Tod 1967 prägen. Er organisierte 1954 mit Eisenhowers Billigung ein "Femegericht", wie es Bird und Sherwin nennen: Das Verfahren war "offensichtlich unfair und lief juristischen Normen empörend zuwider", urteilen sie nach dem Studium der Quellen (J. Robert Oppenheimer, List-Verlag, 12,95 Euro).

Auch wenn Antipathie alleine nur selten Geschichte macht, so hatte doch der Fall Oppenheimer viel von einem Duell zweier einander verachtender, machtbewusster und grundverschiedener Männer, wie ihn Schriftsteller nicht besser hätten erfinden können.

Zwei Kontrahenten

Robert Oppenheimer, dem sein Vater bei der Geburt 1904 den nie benutzen ersten Vornamen Julius gegeben hatte, war einer der führenden liberalen Intellektuellen seiner Zeit. Er war groß gewachsen, eher dürr als dünn und Kettenraucher. Nach seinem Studium in Harvard, dem britischen Cambridge und Göttingen trat er eine Professorenstelle im kalifornischen Berkeley an. Er hatte einen wachen Geist und eine schillernde Persönlichkeit, konnte "scharf und einschüchternd sein, im nächsten Moment entwaffnend durch seinen Charme", schreiben Bird und Sherwin.

Politisch stand er eher links und hatte viele Kontakte zu Kommunisten; sein Bruder Frank und seine Frau Kitty waren zeitweise Parteimitglieder gewesen, Oppenheimer selbst aber nicht, sind sich seine Biografen sicher. Die Kontakte brachten ihm eine dicke FBI-Akte ein, in die auch die Protokolle jahrelanger, illegaler Abhöraktionen einflossen. Seit 1941 führte ihn die Bundespolizei als verdächtigen Radikalen, der im Falle eines nationalen Notstands festzunehmen sei.

Lewis Strauss hingegen war erzkonservativ. Er hatte sich vom Schuhverkäufer zum Investmentbanker hochgearbeitet und war reich geworden, bevor er im Krieg im Marineministerium arbeitete. Zeitgenossen beschreiben ihn als krankhaft ehrgeizig, selbstgerecht, hartnäckig, außerordentlich reizbar und ausgestattet mit dem Bedürfnis, andere zu erniedrigen. Ein Mitarbeiter sagte über ihn: Wer nicht einer Meinung mit ihm war, in dem sah Strauss erst einen Dummkopf, dann einen Verräter.

Strauss hatte in den Jahren nach dem Krieg zwei wichtige Posten. Er war zum einen Mitglied der Atomic Energy Commission (AEC), dem offiziellen Beratungsgremium der Regierung. Atomic Energy, das hieß damals nicht Kraftwerke, sondern Bomben. Zum anderen war er stellvertretender Leiter des Kuratoriums am Institute for Advanced Study (IAS) in Princeton, New Jersey, wo damals auch Albert Einstein arbeitete.

In beiden Funktionen bekam Strauss mit Oppenheimer zu tun. Er bot ihm 1946 im Auftrag des Kuratoriums die Leitung des IAS an; den Posten, der mit einem Umzug von Kalifornien an die Ostküste verbunden war, nahm Oppenheimer erst nach langer Bedenkzeit an, was Strauss ärgerte. Und dann wehrte sich der Physiker auch noch erfolgreich dagegen, dass sich Strauss in die Leitung des IAS einmischen und dazu sogar auf den Campus des Instituts ziehen wollte. Zu jener Zeit hielt Oppenheimer Strauss nur für lästig, wie Abhörprotokolle zeigen, die die Biografen Bird und Sherwin studiert haben.

In der AEC gerieten die beiden spätestens im Sommer 1949 aneinander. Oppenheimer leitete einen Beirat der Kommission, das General Advisory Comitee (GAC). In dieser Funktion wurde er zu der Frage vor den Kongress geladen, ob Amerika anderen Staaten Radioisotope liefern sollte, also Proben strahlender Elemente. Strauss war strikt dagegen, aber in der AEC isoliert. Oppenheimer hatte keine Bedenken und machte sich über die Argumente seines Widersachers in dessen Gegenwart öffentlich lustig. Strauss lief rot an und verließ die Sitzung "mit Hass in seinem Blick", zitieren die Biografen einen Zeitzeugen.

Die Situation eskalierte im Herbst des gleichen Jahres, als die USA vor der Entscheidung standen, die Wasserstoff-Bombe zu bauen. Die Sowjets hatten inzwischen ihre erste, eigene Atombombe gezündet, und Lewis Strauss plädierte wie viele andere dafür, Amerikas absolute Überlegenheit im Rüstungswettlauf mit der Super genannten Bombe wieder herzustellen. Sie sollte ihre Sprengkraft nicht aus der Spaltung von Uran oder Plutonium beziehen, sondern aus der Fusion von Wasserstoff.

Der ungarische Physiker Edward Teller hatte daran schon im Manhattan-Projekt gearbeitet; Oppenheimer sich schon damals dagegen gewandt. Jetzt plädierten er und das GAC für eine rationalere Politik als die ungebremste Aufrüstung. Sie lehnten ein beschleunigtes Entwicklungsprogramm der Bombe ab, und die AEC folgte der Empfehlung ihres Beirats - gegen Strauss' Stimme.

Dennoch gab Präsident Harry Truman Ende Januar 1950 bekannt, es solle nun ein Programm für die Super aufgelegt werden. Gleichzeitig verbat er es sich, dass die beteiligten Wissenschaftler seine Entscheidung öffentlich diskutierten. Oppenheimer dachte an einen Rücktritt von seinen Ämtern, in denen er der Regierung diente. "Wie anders, wie viel besser wäre Oppenheimers Leben verlaufen, hätte er sich zu diesem Schritt durchgerungen", schreiben Bird und Sherwin dazu.

Oppenheimer entschloss sich aber weiterzumachen, nur an den Maulkorberlass hielt er sich nicht: In einer Fernseh-Talkshow, ausgerechnet bei Eleanor Roosevelt, der Witwe des früheren Präsidenten Franklin D. Roosevelt, kritisierte er die Art, wie die Entscheidung für die Wasserstoffbombe gefallen war, nämlich aufgrund von Fakten, die unter Geheimhaltung standen. Diese Bombe mit ihrer ungeheuren Sprengkraft berühre die "Grundlagen unserer Moral", sagte er, das müsse diskutiert werden.

Ohnehin hatte sich Oppenheimer seit dem Krieg kritisch über Atomwaffen geäußert: Sie könnten dazu führen, dass die Menschheit eines Tages "die Namen Los Alamos und Hiroshima verflucht", sagte er 1946. Die Physiker kennten nun die Sünde, erklärte er. Aber er stand zu seiner Arbeit, die er mit all ihrem "Schwarz und Weiß" nicht bedaure, wie er an seinem Lebensende bekannte.

Der Spionagefall Fuchs heizt den Konflikt an

Oppenheimers Widerspruch gegen die Wasserstoff-Bombe machte Strauss wütend. Zudem hatte er gerade vom Spionagefall Klaus Fuchs erfahren. Der deutsche Physiker und Kommunist war 1933 vor den Nazis nach England geflohen und von diesen 1943 zum Manhattan-Projekt entsandt worden, von wo aus er den Sowjets Informationen zugespielt hatte. Strauss machte das Oppenheimer zum Vorwurf, obwohl der mit Fuchs' Beschäftigung in Los Alamos nichts zu tun gehabt hatte. In den folgenden Jahren kritisierte Strauss Oppenheimer, wann immer sich die Gelegenheit bot. Er beschuldigte ihn sogar der Sabotage des Wasserstoffbomben-Projekts und forderte seine Entlassung.

Die erste Explosion einer Super Ende 1952 beschleunigte das Wettrüsten. Anfang 1953 erlebten die USA einen Regierungswechsel, und jetzt schien Strauss' Zeit gekommen zu sein: Die Republikaner übernahmen die Macht, neuer Präsident wurde der im zweiten Weltkrieg siegreiche General Eisenhower. Er berief Lewis Strauss als seinen obersten Atomberater, der auch den Vorsitz der AEC übernehmen sollte.

In dieser Funktion musste er sich einen Vortrag Oppenheimers anhören, den dieser im Februar 1953 in New York hielt und der später im Magazin Foreign Affairs veröffentlicht wurde. Der Physiker erklärte darin, der Vier-Jahres-Vorsprung bei der atomaren Bewaffnung vor der Sowjetunion könne die USA nicht lange schützen. "Unsere 20.000. Bombe wird ihre 2000. in keiner strategischen bedeutsamen Weise kompensieren", sagte er. Es müsse dringend eine öffentliche Diskussion über die Verteidigungspolitik geben, die auf "Getöse und Geschrei, wovon das meiste Lügen sind", beruhe. Die Geheimhaltung habe dazu geführt, dass "die Fakten so geheim sind, dass sie nicht diskutiert, also auch nicht durchdacht werden können".

Der problematische Freund

Das bringt Strauss schließlich dazu, Eisenhower am Nachmittag des 25. Mai 1953 zu sagen, er könne den Chefposten der AEC nicht übernehmen, "wenn Oppenheimer weiter mit dem Programm verbunden ist", schreiben die Biografen des Physiker und werten das als offiziellen Startschuss zur Hexenjagd.

Strauss beginnt nun heimlich, ein Verfahren gegen seinen Widersacher vorzubereiten, berät sich mit FBI-Chef J. Edgar Hoover, studiert die dicke Akte des Kontrahenten. Plötzlich misst er den Einträgen große Bedeutung bei, die er bei der Berufung Oppenheimers zum IAS und seiner Sicherheitsüberprüfung sechs Jahre zuvor als unwichtig abgetan hatte.

Da sind zum einen Oppenheimers linke Kontakte, die aber für einen liberalen Intellektuellen jener Zeit nicht ungewöhnlich waren. Offenbar enthält die Akte auch Aussagen von kalifornischen Kommunisten, die den Physiker in abgehörten Gesprächen für sich vereinnahmen und als eine Art Parteimitglied ohne Parteiausweis darstellen. Und dann ist da die Affäre Chevalier.

Der französische Literaturwissenschaftler Haakon Chevalier war ein Freund des Physikers in Berkeley. Eines Abends im Winter 1942/43 hatte Chevalier Oppenheimer vor einem Abendessen in dessen Küche von einem Vorschlag erzählt: Ein britischer Physiker namens George Eltenton hatte sich an Chevalier gewandt, damit der seinen Freund Oppenheimer frage, ob dieser nicht Informationen über seine Arbeit an einen Mitarbeiter im sowjetischen Konsulat weitergeben wolle. Der Physiker lehnte sofort brüsk ab, so erzählen es alle Beteiligten. Chevalier behauptet in einem Buch, er habe den Freund warnen, nicht als Mittelsmann auftreten wollen. Und so hatte der Physiker es auch aufgefasst und nichts weiter unternommen.

Erst deutlich später, im Sommer 1943, erzählte Oppenheimer Sicherheitsleuten des Manhattan-Projekts davon. Seine Erinnerung an das kurze Gespräch war vermutlich nicht mehr ganz klar und er versuchte, seinen Freund Chevalier heraus zu halten, darum erfand einige Details dazu, was er später schwer bereuen sollte. Erst dem militärischen Leiter der Projekts, General Leslie Groves, gestand er die Wahrheit. Obwohl das Ganze dann auch an das FBI ging und verschiedene Versionen davon in dessen Akten landete, hielt der General an Oppenheimer als Projektleiter fest. Und auch Strauss sah in der Affäre Chevalier 1947 keinen Anlass, dem Physiker den Zugang zu Geheimmaterial zu verweigern.

Erst 1953 spielen Chevaliers Anfrage und Oppenheimers Kontakte wieder eine Rolle. Im Sommer haben die Sowjets eine thermonukleare Wasserstoffexplosion gezündet; das Gerät ist allerdings genauso wenig als Bombe geeignet wie die amerikanische Konstruktion neun Monate zuvor. Aber der Vorsprung der USA ist von vier Jahren auf neun Monate zusammengeschrumpft. In dieser Situation stempelt die geheime Anklageschrift, die Strauss vorbereiten ließ, den "Vater das Atombombe" plötzlich zum vermutlichen Sowjetagenten.

Als dieser Bericht Ende November auf dem Umweg über das FBI im Weißen Haus ankommt, hat nur Tage zuvor Senator Joseph McCarthy, der selbsternannte oberste Kommunistenjäger, Präsident Eisenhower einer "weinerlichen, winselnden Appeasement-Politik" geziehen. Und obwohl der Präsident erkennt, dass die Anklage gegen Oppenheimer wenig neues enthält, ordnet er Anfang Dezember mit sofortiger Wirkung an, dass der Physiker keinen Zugang zu Geheimunterlagen mehr haben soll.

Erst kurz vor Weihnachten informiert Strauss seinen Widersacher persönlich darüber, dass eine Anklageschrift gegen ihn vorliegt. Er legt dem Physiker nahe, seine Regierungsämter freiwillig niederzulegen, sonst werde es ein Verfahren geben, und lässt ihm für die Entscheidung nur wenige Stunden Zeit. Eine Kopie der Vorwürfe verweigert man Oppenheimer. Als er wegfährt, um mit Freunden und seinem Anwalt zu sprechen, wird er abgehört; Strauss bekommt später die Abschrift. Auch das Büro und Privathaus des Physikers in Princeton sind bald verwanzt.

Oppenheimer beschließt zu kämpfen. Er will nicht mit seinem Rückzug bestätigen, dass die Vorwürfe gegen ihn zu Recht bestehen. "Wäre ich tatsächlich so unwürdig, hätte ich unserem Land kaum so dienen können, wie ich es getan habe", begründet er den Entschluss in einem Brief an die AEC schriftlich. Als er später Albert Einstein davon erzählt, sagt der ihm, wenn dies der Dank Amerikas sei, soll er ihm den Rücken kehren. "Da geht ein Narr", sagt der Erfinder der Relativitätstheorie, als Oppenheimer sich nicht umstimmen lässt.

Strauss lässt Oppenheimer keine Chance

Das Verfahren, das Strauss nun inszeniert, lässt Oppenheimer keine Chance. Der AEC-Chef will den Kontrahenten nicht nur aus dem Amt drängen, sondern auch seinen Ruf vernichten, damit er später nicht in Essays und Vorträgen gegen die Regierungslinie vorgehen kann. Offiziell wird das Verfahren als "Anhörung" tituliert, womit Strauss die Abweichungen von den Regeln eines fairen Verfahrens begründet. Nicht nur werden Oppenheimer und seine Kontaktpersonen permanent beobachtet und abgehört, Strauss verweigert Oppenheimers Verteidigung auch Akteneinsicht.

Dagegen hat der von ihm ausgewählte Ankläger, ein erfahrener Staatsanwalt, zu allem Zugang und darf sogar den drei Richtern, offiziell: Mitgliedern der Untersuchungskommission, eine Woche lang vor Beginn des Verfahrens die Beweise gegen Oppenheimer exklusiv erläutern.

Später weigert Strauss' Vertreter im Verfahren sich, seine Zeugen der Anklage vorab zu benennen, damit sich die Verteidigung vorbereiten kann. Die Aussage eines Zeugen, der wegen einer Erkrankung nicht persönlich kommen kann, gibt der Ankläger als Protokoll einer früheren Befragung zu den Akten, ohne dass Oppenheimer und seine Anwälte auch nur erfahren, was darin steht.

Der Ankläger nutzt seinen Informationsvorsprung, wo er nur kann, um den Physiker in Verlegenheit zu bringen, der allein auf seine Erinnerung angewiesen ist und zum Beispiel gar nicht alle Versionen der Affäre Chevalier kennt, die das FBI gesammelt hat. Oppenheimer muss nun zum wiederholten Mal zugeben, dass er damals zunächst die Unwahrheit gesagt habe. "Als ich diese schändliche Geschichte fabrizierte, (tat) ich dies eindeutig in der Absicht, nicht offenlegen zu müssen, wer der Vermittler war", sagt er laut des später veröffentlichten Protokolls, aus dem die Biografie zitiert.

Strauss und seine Seite legen es aber umgekehrt aus: Demnach habe der Physiker bei seiner ersten Meldung die Wahrheit gesagt und danach immer gelogen - also auch vor der Kommission, die nun über seine Sicherheitsstufe berät.

Reaktionen in der Presse und von Oppenheimers Weggefährten

Inzwischen hat auch die Presse Wind von dem Verfahren gegen Oppenheimer bekommen und breitet seine Verbindungen zu Kommunisten aus. Die meisten, aber nicht alle öffentlichen Reaktionen verdammen den Physiker. Strauss selbst hat den ersten Artikel in der New York Times lanciert. Der Autor hatte zuvor bei Oppenheimers Anwälten recherchiert. Es gelingt dem AEC-Chef, der Verteidigung die Indiskretion gegenüber der Presse in die Schuhe zu schieben.

In dem Verfahren sagen viele Weggefährten Oppenheimers für diesen aus. Neben den Physikern Hans Bethe und Isidor Rabi zum Beispiel John McCloy, der im Krieg stellvertretender Kriegsminister gewesen war und nun Vorsitzender der Chase National Bank, des Council of Foreign Relations und Mitglied in Eisenhowers Küchenkabinett ist. Er zweifelt die vorgebrachte Definition von Sicherheit an: "Wir sind nur sicher, wenn wir über die besten Köpfe und den weitesten geistigen Horizont verfügen." Zum Präsidenten sagt er: Oppenheimer dem Verfahren zu unterziehen sei so, als würde man das Sicherheitsrisiko eines Newton oder Galilei ermitteln. Eisenhowers Antwort nennen die Biografen "lahm": Er habe gehofft, das Verfahren werde Oppenheimer entlasten.

Doch die Anklage macht wichtige Punkte mit General Groves. Strauss hat ihn wegen seines Verhaltens in der Affäre Chevalier unter Druck gesetzt, das man als Vertuschung werten könne. Und so sagt Groves, seiner Meinung nach habe Oppenheimer heute keine Sicherheitsfreigabe mehr verdient. Genauso äußert sich Edward Teller: Man müsse dem ehemaligen Vorgesetzten jeden Einfluss nehmen, nicht wegen Sicherheitsfragen, er sei nicht illoyal, sondern eher eine Art Pazifist. Das ist offenbar ein schlimmes Schimpfwort für Teller und seine Zeit. Doch die Aussage macht den gebürtigen Ungarn für Jahre zum Paria in der Gemeinde der Physiker.

Das Urteil muss zugespitzt werden

Am Ende des Verfahrens steht ein windelweiches Urteil gegen Oppenheimer. Zwei der drei Kommissionsmitglieder erheben vier schwammig formulierte Vorwürfe, von denen das Minderheitsvotum drei als alt und bekannt entwertet. Übrig bleibt nur die Verzögerung bei der Entwicklung der H-Bombe, die Oppenheimer angelastet wird.

Als beide Voten der AEC zur endgültigen Entscheidung zugehen, legt deren Geschäftsführer einen Brief bei, der die Beweise freihändig neu interpretiert und Oppenheimer als Kommunisten darstellt. Und trotz dieser Argumentationshilfe muss Lewis Strauss Druck auf seine Kollegen in dem Gremium ausüben, und einem sogar lukrative Dienstleistungsverträge zuschustern, um am Ende ein 4:1-Urteil gegen Oppenheimer zu erzielen. Die AEC entzieht dem Physiker seine Sicherheitsstufe - nur Tage, bevor dessen Zeitvertrag als Berater ohnehin ausgelaufen wäre.

Oppenheimer ist von dem Spruch erschüttert, ein Freund beschreibt ihn als waidwundes Tier. Er zieht sich zurück, bereit, um die Welt zu weinen, nicht aber mitzuwirken an ihrer Veränderung, schreibt der Wissenschaftssoziologe Charles Thorpe laut der Biografie. "Verantwortung ist bedeutungslos ohne Macht", sagt er später einem Journalisten.

Gleichwohl fürchten Lewis Strauss und die Sicherheitsbehörden, dass sich Oppenheimer nach dem Urteil gegen ihn in die Sowjetunion absetzen könnte. Als der Physiker mit seiner Familie vor den Virgin Islands segeln geht, fragen sie sich allen Ernstes, ob dort ein U-Boot der Russen auftauchen werde, um Oppenheimer mitzunehmen.

Strauss hatte das Protokoll der Anhörung unmittelbar nach deren Ende veröffentlichen lassen. Damit wollte er Oppenheimer wohl den Todesstoß versetzen, aber es erweist sich als der Anfang vom Ende von Strauss' Karriere. Das Publikum kann nämlich nicht nur nachlesen, welche Kontakte Oppenheimer hatte, sondern auch, wie übel ihm seine Ankläger mitgespielt haben.

Die Wissenschaft reagiert empört, es gibt Artikel, offene Briefe und Resolutionen zugunsten des Physikers. Albert Einstein interpretiert die Abkürzung AEC neu als Atomic Extermination Conspiracy (atomare Vernichtungsverschwörung). Alle Welt kann nun sehen, wie die Regierung offenbar die Forscher haben möchte. "Durchgesetzt hatte sich die engstirnigste Vorstellung davon, wie Wissenschaftler ihrem Land dienen können", schreiben Bird und Sherwin. Sie sollen jedenfalls keine eigene Meinung haben, denn diese würde als Illoyalität betrachtet.

Die Anhörung wird für Strauss 1959 zum Bumerang. Eisenhower will ihn in seiner zweiten Amtszeit zum Wirtschaftsminister machen. Der Senat verweigert ihm die Bestätigung. Maßgeblich verantwortlich dafür ist John F. Kennedy, den das Verhalten des Kandidaten gegenüber Oppenheimer empört.

Kennedy ist es auch, der Oppenheimer 1963 mit dem Enrico-Fermi-Preis ehren und so rehabilitieren will. Der Präsident wird allerdings kurz vor der Verleihung in Dallas erschossen, so dass sein Nachfolger Lyndon Johnson dem Physiker Urkunde, Medaille und einen Scheck über 50.000 Dollar überreicht.

Die Auseinandersetzung zwischen Strauss und Oppenheimer ist damit nicht zu Ende, sie wird nur auf die Belange des IAS reduziert. Strauss hatte Oppenheimer 1954 nach dem Urteil der AEC-Kommission auch die Direktorenstelle in Princeton entziehen lassen wollen. Aber er zögerte etwas zu lange, so dass sich die Anhänger des Physikers organisieren konnten.

Als dieser 1965 seinen Rücktritt für den Herbst des folgenden Jahres ankündigt, setzt Strauss zur letzten Rache an. Das Kuratorium hatte Oppenheimer ein neues Haus auf dem Gelände versprochen, weil er aus der Dienstvilla des IAS-Leiters ausziehen musste. Strauss lässt diesen Beschluss kippen.

Sein Manöver verzögert die Bauarbeiten so lange, dass es für Oppenheimer zu spät ist. Das Haus wird erst im Frühjahr 1967 fertig, der Physiker stirbt schon am 18. Februar an Kehlkopfkrebs.

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