Archäologie:Wo die Legionen blieben

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Bei Detmold im Teutoburger Wald erinnert das Hermannsdenkmal an den Cherusker-Fürsten Arminius, den Sieger der Varusschlacht. (Foto: Andreas Dunker/dapd)

"Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder", soll Augustus nach der berühmten Varusschlacht geklagt haben. Doch wo genau sind die römischen Soldaten gefallen? Eine chemische Analyse zeigt: Schauplatz war wohl tatsächlich Kalkriese bei Osnabrück.

Von Niccolò Schmitter

Wo ein Gewaltverbrechen geschieht, steht das Opfer meist fest. Kriminaltechnische Untersuchungen verfolgen vor allem das Ziel, den oder die Täter zu identifizieren. In Kalkriese, einem kleinen Landstrich in der Nähe von Osnabrück, stehen die Dinge jedoch anders. Vor gut 2000 Jahren sind an diesem Tatort Menschen gestorben, sehr viele Menschen sogar. Die Täter stehen als Angehörige germanischer Stämme fest, viel interessanter ist jedoch die Frage nach den Opfern.

Dass es römische Soldaten waren, ist unbestritten. "Das war eine totale Niederlage römischer Einheiten, das ist ganz klar belegt", sagt Stefan Burmeister, Geschäftsführer des Museums in Kalkriese. Nur: Welche Armee ist hier untergegangen? "Das ist eben der ganz große Streit", so der Historiker.

Die endgültige Antwort auf diese Frage würde eine Debatte beenden, die seit Jahrhunderten vor sich hin schwelt. Des Pudels Kern: Wo fand die sogenannte Varusschlacht statt? Die Schlacht, bei der im Jahr 9 nach Christus drei Legionen unter ihrem Kommandeur Publius Quinctilius Varus in einen Hinterhalt gelockt und von einer Koalition germanischer Stämme vernichtend geschlagen worden sind? Die Niederlage war für das römische Imperium verheerend und beerdigte letztlich ihre Bestrebungen, die Gebiete östlich des Rheins dem Reich einzuverleiben.

Nationalistische Denker machten die Schlacht zum Gründungsmythos der Deutschen

Der Sieg der vom Cheruskerfürsten Arminius geschmiedeten Koalition hatte noch im 19. Jahrhundert politischen Einfluss. Nationalistische Literaten und Intellektuelle fantasierten sich die "Hermannsschlacht" zu einem deutschen Gründungsmythos zusammen; dabei erklärten sie die germanischen Stämme kurzerhand zu Deutschen. Entsprechend war von besonderem Interesse, wo diese angebliche Grundsteinlegung teutonischer Identität stattgefunden habe. In der Forschung wurden Dutzende mögliche Schlachtfelder debattiert. Den heute weithin als Favoriten anerkannten Ort machte derweil schon 1885 der Historiker Theodor Mommsen aus: Kalkriese.

Seit 1989 wird im Osnabrücker Land systematische, archäologische Arbeit betrieben. Als ehemaliges Schlachtfeld ist Kalkriese ein unschätzbar wertvoller Forschungsstandort, nur ob hier wirklich die Varusschlacht stattgefunden hat, konnte trotz zahlreicher Indizien bislang kein Fund beweisen. Bis jetzt?

Ein neues metallurgisches Analyseverfahren soll das Rätsel endlich gelüftet haben. Annika Diekmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Bergbau-Museums in Bochum, hat dafür die Zusammensetzung chemischer Spurenelemente in römischen Buntmetallen wie Bronze und Messing analysiert. Da sich die Buntmetalle römischer Legionen in ihrer Zusammensetzung klar unterscheiden, lässt sich auf diese Weise so etwas wie ein metallurgischer Fingerabdruck erstellen und eine Legion identifizieren.

Die Forscher analysierten rund 550 Metallproben

Literarisch ist durch den römischen Zeitgenossen Velleius Paterculus belegt, dass an der Varusschlacht unter anderem die 19. Legion teilgenommen hat. Daher haben die Forschenden an anderen Standorten, an denen diese Einheit zweifelsfrei stationiert war, Proben genommen und mit dem Material aus Kalkriese verglichen. Nach der Analyse von rund 550 Proben ist klar: Die 19. Legion nahm an der Schlacht in Kalkriese teil. Das konkurrierende Narrativ besagt, dass hier nicht die Varusschlacht, sondern eine militärische Niederlage des Feldherrn Nero Claudius Germanicus aus dem Jahr 15 nach Christus stattgefunden habe. Daher haben die Forschenden auch Proben von Legionsstandorten genommen, wo die Legionen des Germanicus überwintert haben. "Hier haben wir signifikante Unterschiede", so Diekmann. "Aus chemischer und mathematischer Hinsicht halte ich die Ergebnisse daher für sehr aussagekräftig."

Das chemische Analyseverfahren belegt demnach, dass in Kalkriese die Legionen des Varus und nicht die des Germanicus untergegangen sind. Ist die Debatte damit beendet? "Wer nicht an uns glauben will, der wird weiter seine Zweifel vor sich hertragen", sagt Stefan Burmeister. Für ihn ist die Antwort dennoch klar: "Mit dem metallurgischen Fingerabdruck haben wir noch mal ein sehr starkes Ausrufezeichen gesetzt, dass Kalkriese der Ort der Varusschlacht ist."

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