Varusschlacht:Abrechnung mit einem Mythos

Legendärer Kampf zwischen Römern und Germanen: Historiker und Archäologen streiten immer noch über den Schauplatz der Varusschlacht vor 2000 Jahren.

Harald Eggebrecht

Drei Bilder prägen sich nachhaltig ein: Da steht in einem Halbkreis die Familie des Augustus, öffentliche Personen sie alle und doch bei aller Repräsentation auch Privatleute. Die Statuen kommen aus bedeutenden Sammlungen, eindrucksvolle Standbilder und Büsten in ihrer jeweiligen Individualität und Machtausstrahlung.

Varusschlacht: Eines der wichtigsten Fundstücke im Zusammenhang mit der Varusschlacht: Die eiserne Maske eines römischen Legionärs in Kalkriese in Bramsche.

Eines der wichtigsten Fundstücke im Zusammenhang mit der Varusschlacht: Die eiserne Maske eines römischen Legionärs in Kalkriese in Bramsche.

(Foto: Foto: dpa)

In der Seestadthalle von Haltern am See - dort war zu Augustus Zeiten der größte römische Militärkomplex östlich des Rheins, heute eines der am besten erforschten Römerlager überhaupt - sind sie nun unter dem Ausstellungstitel "Imperium" so selbstverständlich nah nebeneinander gestellt mit Augustus in der Mitte, wie es in Wirklichkeit wohl nie gewesen sein dürfte.

Drusus und Tiberius sind näher beim Imperator als etwa Julia, die einzige Tochter des Kaisers, die er gleich dreimal verheiratete. Weiter weg hätte auch jener Publius Varus gestanden aus dem altrömischen Geschlecht der Quinctilier, der in die kaiserliche Familie einheiratete und auch ein Vertrauter des Augustus war. Nur ist von ihm keine Büste überliefert.

Das zweite Bild bietet eine Ansammlung von Metallgeschirr und Schüsseln, Axtköpfen, Bronzen, Weinsieben, Kesseln, Eimern, wild übereinandergestapelt wie in einem Ramschladen und die große Vitrine fast sprengend: Es ist der Barbarenschatz, den man im Rhein gefunden hat, die Beute eines germanischen Raubzuges auf römisches Territorium.

Es ist die pure, wahllos aufgehäufte Menge, die einem den Atem verschlägt. Diese Masse Metall zeigt, dass es diesen Germanen ausschließlich um Beute ging. Allein aus dieser Ansammlung könne man jedes germanische Fürstengrab prächtig bestücken, sagt Stefan Burmeister, der Projektleiter in Kalkriese, wo der "Konflikt" zwischen Römern und Germanen präsentiert wird.

Das niedersächsische Kalkriese liegt in der Nähe von Osnabrück, dort gräbt man seit gut 20 Jahren ein riesiges Schlachtfeld aus, vielleicht eben jenes, auf dem Arminius der Cherusker mit einer großen germanischen Streitmacht die 17., 18. und 19. Legion unter Publius Quinctilius Varus vor 2000 Jahren vernichtete.

Gewaltiges Hin und Her

Einige Indizien der bisherigen zahlreichen Funde weisen auf Kalkriese als den vielgesuchten Ort jener Niederlage hin, die Augustus zu dem berühmten Klageruf veranlasst haben soll: "Varus, gib mir meine Legionen wieder!"

Doch eindeutig beweisen kann man es bis jetzt nicht. Daher gibt es ein gewaltiges Hin und Her der Fachleute, von Möchtegern-Historikern und eingeschworenen Nationalheimatkundlern.

Eines ist allerdings gewiss: An dieser Stelle hat eine gewaltige Schlacht getobt zwischen Römern und Germanen und zwar zur fraglichen Zeit am Beginn des 1. Jahrhunderts. Bis vor kurzem war Kalkriese das einzige Schlachtfeld der gesamten Antike, das man gefunden hat.

Durch die Entdeckung des Geländes am Harzhorn bei Nordheim, wo sich Römer und Germanen rund 250 Jahre später auch wieder gegenüber standen, gibt es nun ein zweites, zudem ungeplündertes antikes Schlachtfeld.

Mit diesem zweifellos sensationellen Fund ist augenblicklich eine These zu den Auswirkungen der Varusschlacht widerlegt: Dass sich nämlich die Römer ein für allemal nach dieser Niederlage aus Germanien hinter den Rhein zurückgezogen hätten.

Teutoburgische Büchergebirge

Davon abgesehen, dass Handel und Wandel über den Limes hinüber und herüber weiter gediehen, hat es offensichtlich immer wieder militärische Expeditionen und Erkundungen nach Germanien hinein gegeben, auch wenn der Gedanke, eine richtige Provinz aus diesem feuchten, moorigen Waldland mit seinen barbarisch wilden Bewohnern zu machen, aufgegeben wurde nach dem Tod des Germanicus.

Der führte zwar die Straffeldzüge gegen Arminius, bekam aber den Cherusker nie zu fassen. Die nur teilweise erfolgreichen Aktionen kosteten immense Summen. Der kühl kalkulierende Tiberius sah in Germanien ein Kostenfass ohne Boden. Doch Handel zu treiben, Germanen als Legionäre oder als Leibgarde für vornehme Römer anzuheuern und Regionalabkommen zu schlissen, war möglich.

Das dritte erinnerungswürdige Bild ist der "Bücherhimmel" im Lippeschen Landesmuseum in Detmold, wo der letzte Teil dieses Ausstellungstriptychons zu 2000 Jahren Varusschlacht stattfindet, "Mythos". Man steht vor einer riesigen Fläche, auf der hunderte von Büchern versammelt sind vom 16. Jahrhundert bis heute zum Thema Arminius oder Hermann.

Dazwischen ragen Leuchtschriften auf mit Schlagwörtern aus der Arminius-Rezeption wie Vaterland, Freiheit, Einheit, Heimat, Held und so weiter. Es waren diese zahllosen Publikationen, so Klaus Kösters, der sich jahrelang durch dieses teutoburgische Büchergebirge gelesen hat, durch die der Arminius-Mythos bis in seine abstrusesten und gruseligsten nationalideologischen Facetten hinein sich verbreitet hat.

Der Geist des Varusbezwingers

Nirgends ist man den historischen und archäologischen Tatsachen ferner als hier, nirgends kann man aber auch besser nachvollziehen, wie über fünfhundert Jahre hin eine gewaltige Deutungs- und Bedeutungsblase entsteht, die zu jeweils ganz verschiedenen Zwecken weiter aufgeblasen wird.

Varusschlacht: Legendärer Cheruskerfürst: Der Kopf des Herrmannsdenkmals in Detmold.

Legendärer Cheruskerfürst: Der Kopf des Herrmannsdenkmals in Detmold.

(Foto: Foto: dpa)

Brauchte Luther den zu Hermann eingedeutschten Cherusker als unbeugsamen Vorkämpfer gegen Rom, so wird Hermann zum Nationalheros der Deutschen in den napoleonischen Kriegen. Der Geist des Varusbezwingers steckt natürlich auch in Bismarck und Kaiser Wilhelm, als sie mit der Gründung des Kaiserreichs gleichsam Hermanns Sieg vollenden.

Aberwitzige Vorstellungen

Dabei hatten Melanchthon und Spalatin durchaus Reserven gegenüber dem Cherusker. Spalatin sah ihn sogar als Verräter, der seine Obrigkeit ganz unchristlich hinterging.

Am Anfang dieser Blasenbildung steht die "Germania" des Tacitus, die im 15. Jahrhundert in der Abtei Hersfeld wieder entdeckt wurde. Erst mit diesem Fund, der rasch in deutschen Landen Furore machte, drang jene anderthalb Jahrtausende zurückliegende und vergessene Schlacht überhaupt ins europäische und deutsche Bewusstsein und machte Arminius zur sagenhaften Gründungsfigur. Dass der Hermannkult ins Brutalkantige der Nazis gerät, ist klar.

All diese aberwitzigen Ideen und Vorstellungen um den Cherusker sind historisch wirksam geworden und sind es in manchen Hirnen bis heute. "Mythos" heißt es zu Recht in Detmold denn nicht allzu weit erhebt sich auf einem Hügel des Teutoburger Waldes, der auch erst im Zuge der Tacitus-Rezeption diesen Namen erhielt, das Riesendenkmal des germanischen Siegers als Symbol für das neue deutsche Kaiserreich.

Der Bildhauer Ernst von Bandel schuf 1875 diesen großrahmigen Schlagetot mit Flügelhelm, Kettenpanzer und hochgerecktem Schwert. Es ist die dickste, sehr an Wagnersche Opernheldenkostüme erinnernde der Mystifikationen vom germanischen Heros, der mit seinem Sieg vermeintlich zum Vater der Deutschen wurde.

Übrigens macht der große Schinkel bei seinem Entwurf eines furiosen Reiterstandbildes aus Hermann den Heiligen Georg, der Varus wie einen sich windenden Drachen, der letztlich Napoleon symbolisiert, tötet.

Edle Wilde der Antike

Der Museumsparcour gerade zu diesem Thema führt in Detmold ironischerweise ins Untergeschoss, also in die Katakomben des Unbewussten der zahllosen Vorurteile und Ideologeme, für die Hermann der Cherusker herhalten mussten.

Aber schon Tacitus phantasierte sich die Germanen als rassisch reines Volk aus freien Radikalen, die auf der Bärenhaut liegen, gewaltig trinken und die Hausarbeit von den Alten, Schwachen und Frauen verrichten lassen. So malte Tischbein Arminiusbilder, auf denen Ende des 18. Jahrhunderts die Germanen ganz so aussehen, als seien sie Rousseausche Indianer, edle Wilde der Antike.

Da man wenig über den historischen Arminius weiß, konnte man getrost auch all jene Gedankengebäude rassistischer, chauvinistischer, nationalistischer Art auf ihn bauen, unter denen das reale Ereignis und seine Bedeutung nahezu verschwand.

Doch Klaus Kösters hat den Arminius-Mythos aus dem engen Korsett des Deutschtümelns herausgelöst: Auch die Franzosen konnten ihn gut gebrauchen. Da steht auf einem Gemälde des späten 19. Jahrhunderts bis in die Gestik hinein vergleichbar ein Vercingetorix, oder der Gallierhauptling tritt in Bronze Hand in Hand mit Jeanne d'Arc auf!

Es waren übrigens französische Barockdichter, die die tragische Geschichte von Arminius und seiner Thusnelda als Roman- und Theaterstoff entdeckten. Darauf folgten über 50 Opern von Händel bis Alessandro Scarlatti.

Grausamkeit, Brutalität, Mordlust

Varusschlacht: Der Verlierer der Varusschlacht: Porträt des römischen Kaisers Augustus in Haltern am See.

Der Verlierer der Varusschlacht: Porträt des römischen Kaisers Augustus in Haltern am See.

(Foto: Foto: dpa)

Wer im Vorhinein fürchten mochte, dieses auf drei nicht nah beieinander gelegenen Orte in der ostwestfälisch-niedersächsischen Provinz verteilte Vorhaben sei doch allzu aufgedonnert, von Lokalstolz und gegenseitigem touristischen Futterneid getrieben und diene womöglich doch den falschen Geistern, locke Rechte in Massen an und wiederhole sonst, was andere Ausstellungen zu römischer Kultur in den transalpinen Provinzen schon geleistet haben, der wird überrascht und eines Besseren belehrt.

Wie in Haltern auf relativ kurzer Strecke eine plastische Vorstellung von Roms Weg von der Stadtgründungsfabel bis ins "Goldene Zeitalter" des Augustus geschaffen wird, ist erstaunlich.

Und wie es Kurator Rudolf Aßkamp und seinem Team gelungen ist, darin die politische und militärische Karriere des Varus einzubetten, der in verschiedenen Ämtern rund ums Mittelmeer geschickt wurde, aber auch bei den Feldzügen von Tiberius und Drusus in Südwest-Germanien dabei war mit der 19. Legion, ist geradezu elegant.

2000 Rebellen gekreuzigt

Varus, von dem es Münzprofile gibt, konnte man mit kriminalistsicher Technik zu einem erkennungsdienstlich tauglichen Porträt verhelfen. Er erweist sich als ein versierter, diplomatischer Politiker, der weder leichtsinnig noch als lethargischer Faulpelz Arminius ins Messer lief, sondern sich unglückselig täuschen ließ und in eine raffiniert gestellte Falle tappte.

Ob in Haltern oder in Kalkriese, unmissverständlich wird gezeigt, dass sich Krieg im Altertum nicht besser ausnahm als zu unserer Zeit, was Grausamkeit, Brutalität und Mordlust angeht.

So ließ Varus in Syrien zur Abschreckung 2000 Rebellen kreuzigen, während die Germanen besiegte Römer an die Bäume nagelten oder bei einer überfallenen Familie die Frauen skalpierten, allen die Stirn einschlugen, die Gliedmaßen zerteilten und alles mit Ackergeräten und Haustieren in einem Brunnen opferten.

In Kalkriese wirkt dazu die Aura des Schlachtortes unmittelbar, es ist spannend, sich das Geschehen im Gelände zu rekonstruieren. Zur Faszination tragen auch die minimalistisch kargen Ausstellungsbauten aus Stahl und Backstein bei, die jeder falschen

Und es lässt sich in der etwas überinszenierten Präsentation sehr eindringlich nachvollziehen, wie die germanischen Krieger in den Prozess der römischen Zivilisation geraten sind, bald als Legionäre dienten, schließlich aufsteigen konnten bis in höchste Ämter.

Nüchterne archäologische Fakten

Aus anfangs mörderischen Räubern, die sich den einzigartigen Coup, drei Legionen schlagen und plündern zu können, nicht entgehen ließen, werden im Laufe der folgenden 500 Jahre die Erben des weströmischen Reiches.

Die nüchternen archäologischen Fakten in Kalkriese belegen abgesehen von der schon berühmten eisernen Visiermaske, die der dortigen Schlacht ihr auratisches Gesicht gibt, dass vom blutigen Ereignis nur der Restschrott nach dem Beutemachen übrig bleibt.

Die Ausstellung macht auch unmissverständlich klar, dass es kein Volk der Germanen gab, sondern nur Häuptlinge, Clanchefs und deren Gefolgschaften. Die Namen von Alamannen bis zu Teutonen zeugen nur von Vielstimmigkeit und Unübersichtlichkeit. Die Völkerschaften nördlich des Limes bleiben letztlich rätselhaft.

Die Gefolgschaften, deren jeweilige Zahl etwas über die Gewichtigkeit ihres Oberen aussagte, waren nur zu halten, wenn der Obere seine Leute alimentieren konnte. Doch das Leben in Wäldern und Mooren war hart, die Vorräte reichten kaum über den Winter, also blieben nur Raubzüge, und bei den Römern war am meisten zu holen.

Aber man überfiel auch andere Sippen. Kein Wunder, dass Arminius für den Geniestreich gegen Varus eine Menge Leute zusammen bekam, bei der Aussicht auf diesen Riesenlohn wollten alle mitmachen. Aber danach wandte sich jeder wieder seinem eigenen Schweinekoben zu.

So bleibt von Arminius nichts außer den Zeilen, die ihm die römischen Historiographen gewidmet haben, dann verschwindet er im Orkus der Geschichte, von seinen eigenen Leuten umgebracht. In den Assoziationen und Ideologisierungen der letzten 500 Jahre überlagern sich dann in ihm die Gestalten des mediterranen Herkules ebenso wie die des nordischen Siegfried, mit dem er spätestens 1933 identisch ist.

Am Ende dieser dreiteiligen Ausreise in die Engpässe und gedanklichen Schluchten dieses Ereignisses, weiß man, wie viel Vergewaltigung und schwarze Magie in der Mythisierung der Hermannsschlacht steckt. Und auch, dass es, salopp gesagt, 2000 Jahre gedauert hat, bis die Vorzüge römischer Fußbodenheizung in Ostwestfalen erkannt wurden.

2000 Jahre Varusschlacht - Imperium Konflikt Mythos. 16. Mai bis 11. /25. Oktober 2009: Seestadthalle in Haltern am See; Museum und Park Kalkriese; Lippisches Landesmuseum Detmold. Info unter www.imperium-konflikt-mythos.de. Katalog in drei Bänden, Theiss Verlag, im Museum 59.90 Euro

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