Süddeutsche Zeitung

Illegale Fischerei:Nachruf auf einen Wal

  • Der kleinste Wal der Welt stirbt langsam aber sicher aus: Vom Kalifornischen Schweinswal, genannt Vaquita, gibt es laut einer aktuellen Zählung nur noch zwischen zehn und 22 Exemplare.
  • Als Ursache für den Schwund sehen Experten sogenannte Kiemennetze, in denen die Wale sich verfangen und ersticken.
  • Die illegale Fischerei im Golf von Kalifornien hat in den vergangenen Jahren nach Angaben von Umweltschützern zugenommen.

Von Tina Baier

Wenn eine Tierart ausstirbt, sind normalerweise keine Menschen dabei. Die meisten Spezies verschwinden, ohne dass dies überhaupt jemand bemerkt. Beim Kalifornischen Schweinswal, genannt Vaquita - kleine Kuh - ist es anders. Der kleinste Wal der Welt stirbt und alle schauen zu. Jedes Jahr werden aktuelle Zahlen veröffentlicht, wie viele Vaquitas im nördlichen Golf von Kalifornien noch am Leben sind. Gerade wurde der makabre Countdown wieder aktualisiert. Zwischen zehn und 22 Individuen seien in dem etwa 2200 Quadratkilometer großen Rückzugsgebiet der kleinen Wale an der Westküste Mexikos noch zu finden, meldet das Comité Internacional para la Recuperación de la Vaquita (CIRVA), ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die den Vaquita retten wollen.

Im Jahr 2017 gab es in der Region noch 30 Tiere, vor 20 Jahren waren es 600. Der Vaquita (Phocoena sinus) ist damit der am stärksten gefährdete Meeressäuger der Welt. Dass der nur anderthalb Meter große Wal mit der charakteristischen dunklen Zeichnung um die Augen und um das Maul aussterben wird, halten viele Experten für so gut wie sicher. "Ich bin eigentlich Optimistin, aber für den Vaquita sieht es wirklich schlecht aus", sagt Sandra Altherr von der Tierschutzorganisation Pro Wildlife. Die CIRVA-Forscher sind etwas hoffnungsvoller: Bei ihren letzten Exkursionen hätten sie Kälber gesehen, was bedeute, dass sich die wenigen übrig gebliebenen Tiere immerhin noch fortpflanzen, schreiben sie in ihrem aktuellen Bericht. Allerdings bekommen Vaquitas nur alle zwei Jahre Nachwuchs.

"Das Problem ist, dass die Ursache für den starken Rückgang fortbesteht", sagt Heike Vesper, Leiterin Meeresschutz beim WWF Deutschland. Die Ursache, darin sind sich eigentlich alle Experten einig, sind sogenannte Kiemennetze, die Fischer in der Region illegal auf dem Meeresgrund auslegen. Die kleinen Wale verfangen sich darin und ertrinken, weil sie nicht mehr zum Luftholen auftauchen können. "Die Kollegen vor Ort berichten, dass die Zahl der illegalen Fischer in der Region sogar massiv angestiegen ist", sagt Vesper.

Tierschützer versuchen, die illegalen Netze zu beseitigen. Doch oft kommen sie zu spät

Es macht die Sache nicht besser, dass die Fischer es eigentlich gar nicht auf den Vaquita abgesehen haben. Die kleinen Wale haben keinerlei kommerziellen Wert. Dass sie kurz vor dem Aussterben stehen, ist vielmehr ein Kollateralschaden der Jagd auf ein ganz anderes Tier: den Totoaba aus der Familie der Umberfische. Von März bis Dezember versammeln sich die Totoabas im Lebensraum der Vaquitas, um sich dort fortzupflanzen. Sie sind ungefähr genauso groß wie die Schweinswale und genau wie die Vaquitas fühlen sie sich im trüben, nährstoffreichen Wasser der Region wohl. Anders als der Vaquita ist der Totoaba, genauer gesagt seine Schwimmblase, ein wertvoller Fang. Bis zu 100 000 Dollar wird auf chinesischen Schwarzmärkten für ein Kilogramm Totoaba-Schwimmblase bezahlt. Das Organ gilt als eine Art Wundermittel: Schwangere nehmen es zu sich, um einer Fehlgeburt vorzubeugen; außerdem soll es die Haut schöner machen und gegen Blutungen helfen.

Der hohe Preis führt dazu, dass jedes Jahr im Frühling Hunderte illegaler Fischer das Fangverbot ignorieren, das nicht nur für den Vaquita sondern auch für den Totoaba gilt. Eine Karte im Bericht der CIRVA-Wissenschaftler zeigt, dass viele der Netze sogar mitten im Vaquita-Schutzgebiet ausgelegt werden, das eigentlich als Rückzugsmöglichkeit für die Kalifornischen Schweinswale eingerichtet wurde. Zwar versuchen Artenschützer regelmäßig, die illegalen Netze zu bergen, bevor sich Tiere darin verfangen. Doch das ist schwierig, weil sie vom Schiff aus nicht zu sehen sind. Um die Netze zu finden, müssen die Umweltaktivisten unter anderem mit Sonargeräten arbeiten. Oft kommen sie zu spät. Erst vergangene Woche fand die Besatzung eines Patrouillenschiffs der Organisation Sea Shepherd mitten im Schutzgebiet wieder einen verendeten Vaquita in einem illegalen Netz.

Erfolglos war auch ein groß angelegter Rettungsversuch im Jahr 2017. Tierschützer und Wissenschaftler arbeiteten damals in einem Projekt zusammen, dessen Ziel es war, einige Vaquitas zu fangen, aus der Gefahrenzone zu bringen und in einem Meeresgehege zu züchten. Der Nachwuchs sollte dann ausgewildert werden und die Population in der Cortés-See, wie der Golf von Kalifornien auch genannt wird, verstärken.

Die letzte Rettungsaktion für die Vaquitas endete in einem Desaster

Es gibt Beispiele, in denen es auf diese Weise gelungen ist, eine Tierart in letzter Sekunde doch noch zu retten. Die letzten 22 Exemplare des Kalifornischen Kondors, einem riesigen Greifvogel mit einer Flügelspannweite von drei Metern, wurden in den Achtzigerjahren eingefangen und in Volieren gesperrt. Dort lebten sie zwar in Gefangenschaft, aber in Sicherheit. Tatsächlich vermehrten sich die riesigen Vögel und konnten nach und nach ausgewildert werden. Mittlerweile gibt es wieder etwa 300 wilde Kalifornische Kondore.

Bei den Vaquitas endete der Rettungsversuch in einem Desaster. "Es war von Anfang an heikel, da man nicht wusste, wie die Tiere reagieren würden", sagt Vesper. Die kleinen Wale sind extrem scheu und meiden, anders als etwa die neugierigen Delfine, jede Begegnung mit Menschen. Von anderen Schweinswal-Arten war außerdem bekannt, dass sie aufhören zu atmen, wenn man sie aus dem Wasser hebt - wahrscheinlich als Reaktion auf den Stress. Tatsächlich ging dann beim Versuch, die Vaquitas zu retten, so ziemlich alles schief, was schiefgehen konnte. Zuerst fingen die Artenschützer ein Jungtier, das sich aber derart aufregte, dass sie befürchteten, es könnte sterben und es sofort wieder freiließen. Als nächstes versuchten sie es mit einem erwachsenen Weibchen. Das Tier starb, kurz nachdem es in seiner neuen Heimat, einem Meeresgehege, angekommen war. Nach diesem Ereignis wurde das Projekt abgebrochen. Seitdem ist die Population weiter geschrumpft, wie der aktuelle Bericht zeigt. Und mit jedem Vaquita, der stirbt, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Art doch noch gerettet werden kann.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4375634
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.03.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.