USA:Missouri-Hochwasser bedroht Kernkraftwerke

In Nebraska umschließt das ungewöhnlich hohe und lange Hochwasser des Missouri bereits das Atomkraftwerk von Fort Calhoun. Ein weiterer Meiler ist in Gefahr, teilweise überflutet zu werden.

Christopher Schrader

Wenn in den USA ein Ort den Begriff "Fort" im Namen trägt, dann hat das etwas mit Belagerungen zu tun. Soldaten und Siedler konnten sich einst hinter die Palisaden zurückziehen, wenn sich Indianerstämme die Übergriffe der Weißen nicht länger gefallen lassen wollten.

USA: Der Metallzaun war für den Fluss keine Barriere: Das Missouri-Hochwasser hat Teile des Kernkraftwerks Fort Calhoun überflutet.

Der Metallzaun war für den Fluss keine Barriere: Das Missouri-Hochwasser hat Teile des Kernkraftwerks Fort Calhoun überflutet.

(Foto: AP)

In Nebraska, ganz in der Nähe des ersten der befestigten Lager auf der Westseite des Missouri, ist zurzeit wieder ein Fort belagert. Das ungewöhnlich hohe und lange Hochwasser des Stroms umschließt das Atomkraftwerk von Fort Calhoun. Die äußere Verteidigungslinie ist überwunden, Teile des Geländes stehen 60 Zentimeter tief unter Wasser.

160 Kilometer flussabwärts muss der Missouri zudem nur 75 Zentimeter steigen, um Teile eines weiteren Meilers zu überfluten: das Cooper-Kraftwerk in der Nähe von Brownville, Nebraska.

Dieser Reaktor, dessen Design den Meilern in Fukushima-1 gleicht, ist noch in Betrieb, während das Kraftwerk in Fort Calhoun im April zum Brennelementewechsel vom Netz genommen und wegen der erwarteten Fluten noch nicht wieder hochgefahren wurde. Das entschärft dort die Situation, macht sie aber keinesfalls ungefährlich. Mitarbeiter des Kraftwerks schlafen auf Pritschen am Arbeitsplatz, in Extratanks wurden große Mengen Diesel für Notstromaggregate eingelagert.

Der Behelfsdeich, eine 600 Meter lange Gummiwurst, ist geplatzt

Die Situation ist aber nicht vollständig unter Kontrolle. In der Nacht zum Sonntag ist am Fort-Calhoun-Reaktor eine Behelfsbarriere geborsten. Es handelte sich um eine 600 Meter lange Gummiwurst, die mit Wasser gefüllt war, um die Fluten von Teilen des Kraftwerkareals fernzuhalten.

Offenbar hat jemand beim Hantieren mit schwerem Gerät die Plastikhaut zum Platzen gebracht. Ein Hilfsgebäude ist seither umspült. Das Kraftwerk wurde zudem kurzzeitig vom äußeren Stromnetz getrennt, zwei Dieselgeneratoren lieferten die Elektrizität für die weiterhin notwendige Kühlung. Sollte das Kraftwerk vom Rest der Welt getrennt werden, müssten die Notstromaggregate wochenlang die Versorgung übernehmen.

Der Betreiber, der Omaha Public Power District (OPPD), beruhigte mit einer gewundenen Presseerklärung: Der wassergefüllte Damm sei nur eine zusätzliche Barriere gewesen. Die Anlage sei nun genauso sicher, wie sie es gewesen wäre, wenn die Gummiwurst nicht installiert worden wäre. Der Missouri stehe noch gut zwei Meter unter der Hochwassermarke, für die der Reaktor an sich ausgelegt sei.

OPPD verschweigt dabei aber, dass der Behelfsdeich laut der nationalen Atomaufsicht NRC "zentrale Anlagenteile" schützen sollte, darunter eben jenes Hilfsgebäude und zusätzliche Ausrüstungsgegenstände, die auf das Gelände gebracht worden waren - weitere Notdieselgeneratoren, Wasserpumpen, Feuerwehrgeräte. Tatsächlich sind laut einer offiziellen Meldung des Betreibers an die Aufseher etliche Fässer mit Treibstoff für Wasserpumpen von den Fluten mitgerissen worden.

Zudem verschweigt der Betreiber auf seiner Webseite, dass er bereits im vergangenen Herbst von der NRC wegen mangelnder Vorbereitung auf ein gravierendes Hochwasser gerügt worden war.

Laut Aufsichtsbehörde wurden die Mängel inzwischen beseitigt. "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Anlage jemals ein solches Hochwasser erlebt", sagte noch im vergangenen Oktober der zuständige Regionalchef der Behörde, Elmo Collins, "aber (die Betreiber) mussten sich auf den schlimmsten Fall einstellen."

In dieser Situation haben Nachrichten über Flammen im Kontrollraum die Nachbarn des Kraftwerks in Fort Calhoun aufgeschreckt. Das Feuer war am 7. Juni ausgebrochen, als das Hochwasser schon begonnen hatte. Als Konsequenz war für 90 Minuten die Kühlung des Beckens für verbrauchte Brennelemente ausgefallen; das Wasser darin habe sich aber nur wenig über seinen Normwert erwärmt, erklärte der Betreiber.

An diesem Montag wurde der Leiter der NRC, Gregory Jaczko, in Fort Calhoun erwartet. Er hatte bereits am Sonntag den Cooper-Atommeiler besucht und dort amerikanischen Medien zufolge bestätigt, dass die Betreiber die richtigen Schritte eingeleitet hätten, um dem Hochwasser zu begegnen. In dem Reaktor bei Brownville haben die Betreiber 1,20 Meter hohe Flutbarrieren um wichtige Anlagenteile errichtet.

Jaczko musste laut der New York Times darüberklettern, um zum Beispiel die Halle mit den Notstromaggregaten zu inspizieren. Auch in diesem Meiler hatte die NRC kürzlich Anlass zu Kritik gefunden: Der Feuerschutz war in Details mangelhaft und im April waren drei Arbeiter beim vorschriftswidrigen Hantieren mit einem Metallzylinder starker Strahlung ausgesetzt.

Wie lange das Hochwasser anhält, wissen die zuständigen Meteorologen nicht; sie sprechen von Wochen. Im Einzugsgebiet des oberen Missouri sei in kurzer Zeit so viel Regen gefallen wie sonst im gesamten Jahr, außerdem sei die Schneeschmelze besonders stark. Die Kernkraftwerke sind nicht die einzigen Anlagen am Fluss, die Schutz brauchen.

240 Kilometer flussaufwärts von Fort Calhoun staut der Gavins-Point-Damm den angeschwollenen Strom. Seit Ende Mai hat das zuständige Army Corps of Engineers die Ventile zum Ablassen von Wasser immer weiter aufgedreht, zuletzt am vergangenen Donnerstag. Auf diesem Niveau soll es bis August bleiben - wenn nicht noch mehr Unvorgesehenes passiert.

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