US Air Force: Neuer Raumgleiter:Geheimprojekt X-37B

Waffe oder Spionagefahrzeug? In aller Stille entwickelt die US-Luftwaffe ein neues unbemanntes Raumschiff. Experten zufolge gibt es gute Gründe, darüber besorgt zu sein.

Gerhard Hertenberger

Von der Öffentlichkeit wenig beachtet, wird derzeit in den USA ein geheimnisvolles, unbemanntes Raumschiff auf den Start zu einer militärischen Weltraummission vorbereitet. Der geflügelte Mini-Raumgleiter trägt wie viele experimentelle Flugobjekte eine "X-Bezeichnung", nämlich X-37B.

Er wurde von Phantom Works gebaut, der Forschungs- und Entwicklungsabteilung des Flugzeug- und Rüstungskonzerns Boeing. Das Schiff erinnert an den Spaceshuttle und soll wie dieser segelnd, aber vollkommen autonom, auf der Erde landen.

Vor kurzem ist das Raumschiff unter Geheimhaltung nach Cape Canaveral in Florida gebracht worden. Voraussichtlich Ende April soll das nur etwa acht Meter lange und fünf Tonnen schwere Objekt mit einer gewaltigen Atlas-V-Rakete zu einem wohl nur eintägigen Flug starten.

Angeblich dient dieser der Erprobung neuer Technologien, etwa eines verbesserten Treibstoffes und eines neuartigen Hitzeschutzsystems beim rasanten Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Später könnten Entwickler die kleine Raumfähre nutzen, um in der offenen Ladebucht drei Wochen lang Komponenten von Satelliten zu testen.

"Wir kennen keine Details"

Bemerkenswert ist allerdings die rigide Geheimhaltung, die das Projekt seit dem Jahr 2004 umgibt. Damals trat die Nasa die Projektleitung an die Darpa ab, die Forschungsagentur des Pentagons.

"Es handelt sich zweifellos um ein Testraumschiff unter anderem zur Erprobung der Aerothermodynamik, also der Flug- und Aufheizungseigenschaften beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre", sagt Holger Burkhardt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. "Aber wir kennen auch keine Details."

So bleiben nur Fragen: Welche Ziele könnte die US Air Force mit unbemannten, wiederverwendbaren Raumgleitern verfolgen, zumal viele Aufgaben auch billigere, jahrelang arbeitende Satelliten erfüllen können?

Bill Sweetman, Militärexperte der angesehenen Fachzeitschrift Aviation Week & Space Technology, sieht in einem Objekt wie der X-37B durchaus Vorteile: "Während ein Satellit mit seinen Treibstoffvorräten sparsam umgehen muss, kann ein Raumgleiter aufwendige Bahnmanöver durchführen, danach landen, auftanken und erneut starten."

Dies sei zum Beispiel bei Aufklärungsflügen wertvoll: Herkömmliche Spionagesatelliten haben das Problem, dass die gegnerische Seite meist genau weiß, wann das himmlische Auge militärische Ziele überfliegt. Tests von geheimen Waffen können zeitlich so abgestimmt werden, dass sie dazwischen stattfinden. Ein kleiner Raumgleiter mit viel Treibstoff kann hingegen seinen Kurs ändern, um die Gegner zu überraschen.

Vorteile bieten sich auch, wenn ein Raumfahrzeug Menschen oder Material aus dem Weltraum zur Erde zurückbringen soll. Ein Raumgleiter kann schließlich seinen Landepunkt durch gezielte Flugmanöver seitlich und entlang der Bahn beträchtlich verschieben und den Zeitpunkt der Landung viel freier bestimmen. Kapseln hingegen erreichen einen Landeplatz nur nach einem festen Flugplan.

Im Dunkeln der Geheimhaltung

Von derartigen Überlegungen und von möglichen Anwendungen solcher Raumgleiter ist in offiziellen Stellungnahmen kaum etwas zu erfahren. Im November 2006 teilte die Air Force in einer Erklärung mit, dass es bei dem Projekt primär um "Operationskonzepte im All" und um die "Risikominderung bei der Entwicklung von wiederverwendbaren Raumfahrzeugtechnologien" gehe.

Derart allgemein gehaltene Statements erinnern in ihrer Aussagekraft an Presseaussendungen der früheren sowjetischen Nachrichtenagentur TASS. Ein unbemanntes, rasch einsetzbares Spionagevehikel oder eine Weltraumplattform zur Erprobung diverser, austauschbarer Nutzlasten wären naheliegende Anwendungen eines unbemannten Raumgleiters, sagt der Fachjournalist Sweetman.

Hochleistungs-Raketentriebwerk

Denkbar sind allerdings auch andere Aufgaben: In den 1990er-Jahren sah Sweetman einmal eine Computeranimation des US-Militärs, bei der ein Raumschiff kleine, konventionelle Sprengsätze vom All aus auf irdische Ziele abwarf. Ob auch heute noch solche Einsätze in Erwägung gezogen werden, weiß der Reporter nicht.

Auch die Möglichkeit, gegnerische Satelliten zu untersuchen oder sogar zu zerstören, hat das Militär wohl untersucht. Zwar wird über solche Konzepte kaum gesprochen, dass diese Ideen aber durchaus im Pentagon kursieren, zeigte beispielsweise der kleine Air Force-Testsatellit XSS-11, der 2005 startete und wahrscheinlich das Heranpirschen an andere Satelliten erprobte.

Von 2006 an taten zwei Mitex-Mikrosatelliten anscheinend das Gleiche im hochgelegenen geostationären Orbit. Erst Anfang 2009 wurde aufgedeckt, dass ein defekter amerikanischer Frühwarnsatellit von den Mikrospähern inspiziert wurde. Ob sie auch ausländische Raumobjekte unter die Lupe genommen haben, ist nicht bekannt.

Parallel zu dem Testraumgleiter arbeitet die Air Force auch an einem luftatmenden Raketentriebwerk, einem sogenannten Scramjet, das in den kommenden Wochen erstmals in hohen Schichten der Atmosphäre getestet werden soll.

Das rund acht Meter lange Flugobjekt X-51A soll vier- bis sechsfache Schallgeschwindigkeit erreichen. Sein Raketentreibstoff wird mit Luftsauerstoff verbrannt anstatt mit einem eigens mitgeführten Oxidationsmittel.

Beunruhigende Perspektiven

Ein künftiger Raumgleiter, von einem Scramjet-Triebwerk ins All geschossen, würde auch für zivile Zwecke neue Möglichkeiten eröffnen - sofern er nicht an technischen Pannen und einer Kostenexplosion scheitert. Manche Experten sehen das Programm aber kritisch.

Theresa Hitchens, Direktorin des UN-Instituts für Abrüstungsforschung in Genf, sagte der Webseite space.com, sofern man derartige Raumgleiter als Waffenplattform ansähe, entsprächen sie dem Konzept einer "Global Strike Platform", also einem global einsetzbaren Waffensystem in der Erdumlaufbahn. Es gebe viele Gründe, darüber besorgt zu sein.

Einstweilen liegen die langfristigen Ziele des Miniraumgleiter-Programms aber im Dunkel der Geheimhaltung, verborgen hinter dem Ausdruck "Technologie-Erprobung". Eine solche Tarnung wäre nichts Neues: Als 1959 die ersten Corona-Spionagesatelliten starteten, verlautbarte das US-Militär, es handle sich um "Forschungskapseln" zur Untersuchung von Gewebeproben, Schimmelsporen und Algen in der Schwerelosigkeit.

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