Süddeutsche Zeitung

Urvogel Archaeopteryx:Aus Versehen fliegen gelernt

Neues vom Archaeopteryx: Wo kamen eigentlich die Federn her? Und wozu nutzten die Urvögel diese überhaupt? Analysen legen jetzt nahe, dass die Federn zunächst gar nicht dem Flug dienten, sondern einen anderen Zweck erfüllten.

Von Patrick Illinger

Das Spezimen mit der Nummer 11 war eine der wissenschaftlichen Sensationen des Jahres 2011. Es war das elfte bekannt gewordene Fossil eines Archaeopteryx seit der Entdeckung des ersten gefiederten Raubsauriers vor 150 Jahren. Zwar fehlte bei Nummer 11 der Kopf, doch waren Experten sofort begeistert über die besonders gut erhaltenen Federn und Knochen. Der anonyme Besitzer überließ sein Fundstück Paläontologen, die unter der Leitung von Oliver Rauhut an der Universität München sowie der Bayerischen Staatssammlung für Paläontologie und Geologie arbeiten. Die Fachleute haben nun, nach eingehender Analyse des Exemplars Nummer 11, neue Erkenntnisse über die Evolution des Fliegens in der Zeitschrift Nature veröffentlicht (Bd. 511, S. 79, 2014).

Kurz gesagt, sind Federn demnach im Laufe der Evolution zunächst wohl nicht entstanden, um sich damit in die Luft zu erheben. Dass Federn beim Fliegen hilfreich sein können, hat sich erst später als nützlich erwiesen, sozusagen als Zusatznutzen. Der Vergleich des Federkleids des Archaeopteryx mit dem anderer gefiederter Raubdinosaurier zeige, so erklärt es Rauhuts Kollege Christian Foth, "dass Federn nicht zum Fliegen, sondern in anderen funktionellen Zusammenhängen entstanden sind." Ursprünglich diente das Federkleid wohl zur Wärmedämmung. Dafür spricht zum Beispiel, dass im Laufe der Evolution zunächst daunenartige kleine Federn entstanden sind, bevor stattliche sogenannte Konturfedern entstanden, wie sie an den Flügeln heutiger Raubvögel zu bestaunen sind. Die ersten Federn in der Entstehungsgeschichte der Vögel dienten wohl zudem für den Schutz der Brut und womöglich als Schmuck, um Partner zu beeindrucken, vermuten Rauhut und Foth.

Archaeopteryx gelang es, aus seinen Federn weiteres Kapital zu schlagen: Er hob damit ab.

In den vergangenen 15 Jahren ist eine ganze Reihe anderer, zuvor unbekannter Raubsaurier mit Federn entdeckt worden. "Die Vielfalt ist beachtlich", schreiben die Forscher, demnach gab es Dinosaurier mit stark unterschiedlich gefiederten Beinen. Die einen hatten nur Daunen, andere lange Federn bis zu den Zehen. An den Flügeln früher gefiederter Saurier sei die Variation geringer als an anderen Körperteilen, alles Indizien dafür, dass es anfangs nicht um das Fliegen ging.

Archaeopteryx war demnach eines der ersten Tiere, dem es gelang, aus einem Federkleid zusätzliches Kapital zu schlagen und es für die Fortbewegung zu nutzen. Oliver Rauhut ist sicher, dass der Archaeopteryx "in irgendeiner Form fliegen konnte", auch wenn seine Federn nicht ursprünglich dafür entstanden sind. Dafür spricht zum Beispiel, dass die seitlichen Schwanzfedern des Archaeopteryx aerodynamisch geformt waren. Wie gut der Urvogel flog, ist unklar, schließlich hatte er kein Brustbein wie heutige Vögel, an dem die Flugmuskulatur ansetzt. Dennoch gilt der Urvogel zurecht als Bindeglied zwischen Reptilien und heutigen Vögeln, den Nachfahren der Dinosaurier. Allerdings könnte es sein, dass Archaeopteryx nur eines von mehreren Bindegliedern ist. Die Forschung deutet darauf hin, dass die Flugfähigkeit im Laufe der Evolution mehrmals erfunden wurde. Für widerlegt halten Rauhut und Foth allerdings eine Theorie, wonach sich die Vorfahren der Vögel zunächst mit allen vier Gliedmaßen flatternd durch die Luft bewegten.

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SZ vom 03.07.2014/chrb
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