Urteil zu Patent auf embryonale Stammzellen:Zu viel Moral

Abtreibungspillen, Panzerkomponenten, tierquälerische Kosmetiktests - bislang geben die Patentämter Erfinderschutz für fast alles, was den Menschen einfällt. Ausgerechnet bei der Stammzellen-Forschung kommen Skrupel auf: Nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs dürfen Verfahren mit menschlichen embryonalen Stammzellen nicht patentiert werden. Dies ist schwer nachvollziehbar.

Christina Berndt

Bislang scherten sich Patentrichter weltweit wenig um die Moral. Zwar sind Erfindungen, die gegen die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung verstoßen, in Europa schon seit fast 40 Jahren vom Patentschutz ausgenommen.

A microscopic view shows smooth muscle cells derived from human embryonic stem cells

Mikroskopische Aufnahme embryonaler Stammzellen: Das oberste europäische Gericht hat entschieden, dass kein Patent auf ein Verfahren mit menschlichen Stammzellen angemeldet werden kann, wenn dies die Zerstörung eines Embryos erfordert.

(Foto: REUTERS)

Doch in der Praxis stießen Erfinder kaum einmal an diese Grenze. Ungerührt vergaben die Patentämter Erfinderschutz für fast alles, was den Menschen einfiel. Patente wurden für Abtreibungspillen genauso erteilt wie für Panzerkomponenten, Einschläferungsmittel oder für tierquälerische Kosmetiktests - obwohl sich über deren Anwendung ebenso trefflich streiten lässt wie über die Forschung mit embryonalen Stammzellen. Ausgerechnet bei diesem Thema aber kamen moralische Skrupel auf.

Dabei handelt es sich bei der Methode zur Herstellung von Nervenzellen aus Embryozellen, die nun Anlass für das ablehnende Urteil des Europäischen Gerichtshof war, zweifellos um eine Innovation, die allen Anforderungen des Patentrechts genügt. Sie ist neu, originell und würde sich unternehmerisch verwerten lassen. Ärzte träumen schließlich schon lange von neuen Therapien gegen Parkinson, Herzinfarkt und Querschnittslähmung mit Hilfe solcher und ähnlicher Zellen. Ein Milliardenmarkt täte sich auf.

Die Erfindung verstoße aber gegen die guten Sitten, meinten Patentrichter. Bei der Gewinnung der Stammzellen würden Embryonen zerstört - ein Angriff auf die Menschenwürde.Stammzellen nein, Föten ja Der Europäische Gerichtshof hat mit seinem Urteil nun diese Sicht der Dinge bestätigt. Aus menschlichen Embryonen gewonnene Stammzellen und daraus abgeleitete Innovationen dürfen in Europa nicht patentiert werden.

Die Arbeit mit embryonalen Stammzellen scheint in den Augen der Richter also moralisch verwerflicher zu sein als etwa die Entwicklung von Schnellfeuerwaffen oder die Herstellung gentechnisch veränderter Pflanzen, welche die Flora dieses Planeten womöglich für immer verändern.

Die neue Sonderstellung der embryonalen Stammzellen im Patentrecht ist absurd - auch deshalb, weil es Dutzende Patente auf Zellen menschlicher Föten gibt, die rund um die zwölfte Woche der Schwangerschaft abgetrieben wurden. Die Menschenwürde, welche die Richter zur Begründung anführen, ist ohne jeden Zweifel eines der höchsten Rechtsgüter.

Doch nicht jede Forschung mit Stammzellen bedeutet einen Angriff darauf, wie Parlamente und Gerichte nach keineswegs leichtfertigen Diskussionen längst entschieden haben. Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist in den meisten Ländern Europas legitimiert.

Viele erlauben auch die Gewinnung der Stammzellen aus Embryonen, die in Fruchtbarkeitskliniken zurückgeblieben sind.

Es ist moralisch durchaus fragwürdig, dass sich der Europäische Gerichtshof nun über diese mühsam gewonnenen Entscheidungen hinwegsetzt - und damit auch über die Rechte und die Menschenwürde jener Patienten, die auf neue Therapien hoffen.

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