Verstoß gegen die Menschenwürde:Gericht verbietet Patent auf embryonale Stammzellen

Das oberste europäische Gericht hat entschieden, dass kein Patent auf ein Verfahren mit menschlichen Stammzellen angemeldet werden kann, wenn dies die Zerstörung eines Embryos erfordere. Dies wäre ein Verstoß gegen den Schutz der Menschenwürde.

Das oberste europäische Gericht hat der Forschung an embryonalen Stammzellen Schranken gesetzt: Es könne kein Patent auf ein Verfahren mit menschlichen Stammzellen angemeldet werden, wenn dies die Zerstörung eines Embryos erfordere, urteilte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg. Dies wäre ein Verstoß gegen den Schutz der Menschenwürde.

Die Entscheidung gilt für Patente auf embryonale Stammzellen sowie auch für die Verfahren zu ihrer Herstellung.

Gemäß EU-Recht müsste jede befruchtete menschliche Eizelle als menschlicher Embryo angesehen werden. Schließlich sei die Befruchtung geeignet, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen. Darüber hinaus entschied der EuGH, dass die Verwendung menschlicher Embryonen zur wissenschaftlichen Forschung "nicht von einer industriellen und kommerziellen Verwertung getrennt werden und dadurch dem Ausschluss von der Patentierung entgehen" könne.

Der Schutz einer Erfindung schließe immer auch deren industrielle oder kommerzielle Verwertung ein. Die Patentierbarkeit der Verwendung menschlicher Embryonen zu derartigen Zwecken sei nur dann zulässig, wenn sie einen therapeutischen oder diagnostischen Nutzen für den Embryo biete - zum Beispiel, um eine Missbildung zu beheben und die Überlebenschancen des Embryos zu verbessern.

Der Bundesgerichtshof muss jetzt ein abschließendes Urteil fällen, das den Vorgaben aus Luxemburg entspricht. In Deutschland dürfen Embryonen zu Forschungszwecken nicht gezielt erzeugt, geklont oder dafür zerstört werden. Der Import embryonaler Stammzellen ist unter bestimmten Auflagen aber möglich.

Das Grundsatzurteil beschränkt die Verwendung dieser Zellen für die Forschung. Stammzellforscher hatten den Richterspruch deshalb mit großer Spannung erwartet.

Die Luxemburger Richter folgten weitgehend EuGH-Generalanwalt Yves Bot, der bereits im März 2011 vorgeschlagen hatte, dass Stammzellen nicht patentierbar sein sollten, wenn dem Patent eine Zerstörung menschlicher Embryonen vorausgehe. Dies verstoße gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten.

Die Richter urteilten nun, es sei "jede menschliche Eizelle vom Stadium ihrer Befruchtung an als 'menschlicher Embryo' anzusehen, da die Befruchtung geeignet ist, den Prozess der Entwicklung eines Menschen in Gang zu setzen". Das Gleiche gelte für unbefruchtete Eizellen, die durch Zellkern-Transplantation oder anderer technische Eingriffe von außen zur Weiterentwicklung angeregt worden seien.

Christoph Then von Greenpeace begrüßte das Urteil. Der Mensch müsse in allen Phasen seiner Entwicklung vor kommerzieller Verwertung geschützt werden, erklärte er. "Dies gilt auch für Embryonen in der Petrischale. So hat der Gerichtshof den Schutz menschlichen Lebens gegenüber wirtschaftlichen Interessen deutlich gestärkt."

Einer der ersten, die auf die Entscheidung reagierten, war der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Nikolaus Schneider. "Menschliches Leben darf nicht patentiert werden", kommentierte er das Urteil. "Schon gar nicht, um damit wirtschaftliche Interessen zu verfolgen." Es gebe nur einen, der ein Patent auf menschliches Leben hat. "Das ist Gott", fügte Schneider hinzu. Menschliches Leben dürfe nicht "verdinglicht" werden.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger (FDP) lobte die Entscheidung: Der EuGH habe "eine wichtige Grundsatzentscheidung getroffen, die mehr Klarheit und Rechtssicherheit schafft", sagte sie in Berlin.

Hintergrund des Urteils ist ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Neurobiologen Oliver Brüstle (Rechtssache: C-34/10). Brüstle ist Inhaber eines 1997 angemeldeten Patents für nervliche Vorläuferzellen, welches das Deutsche Patentamt 1999 erteilt hatte. Sie werden zur Behandlung neurologischer Krankheiten erprobt. Die Vorläuferzellen, aus denen sich dann Nervenzellen bilden, stellt Brüstle aus menschlichen embryonalen Stammzellen her.

Greenpeace hatte wegen ethischer Bedenken gegen die Patente des bekannten Bonner Stammzellforschers geklagt. Das Bundespatentamt hatte das Patent 2006 in Teilen für nichtig erklärt und auf den Schutz der Menschenwürde und des menschlichen Lebens verwiesen.

Brüstle hatte gegen diese Entscheidung Beschwerde eingelegt, da das Patent die Zerstörung menschlicher Embryonen nicht unmittelbar mit einschließt, sondern nur voraussetzt. In nächster Instanz war der Bundesgerichtshof mit der Sache befasst, der die Frage 2009 nach Luxemburg verwies. Die Karlsruher Richter sahen es als notwendig an, zu klären, wie eine bestehende EU-Patentrichtlinie den Begriff Embryo interpretiert.

"Schlechtes Signal für die Wissenschaftler"

"Das Urteil ist ein ganz schlechtes Signal für die Wissenschaftler in Europa", erklärte Oliver Brüstle nun. "Zugleich bedeutet es auch eine Stigmatisierung dieses ganzen Forschungszweigs. Im Grunde geht es nicht um das konkrete Patent, sondern um ein weitreichendes Signal: Was ihr macht, das ist nicht moralisch."

Zwar bedeute das Urteil keine Einschränkung der universitären Grundlagenforschung, stellte Brüstle fest. Es werde nun jedoch keine Umsetzung geben. "Aber uns geht ja gerade um die Brücke zu Verfahren, Produkten und Unternehmen. Patente sind dafür wichtig, dass sich auch Investoren und Unternehmen engagieren. Sie wollen durch Patente abgesichert und geschützt sein. Dann stellt sich auch die Frage nach der Forschung, wenn die Ergebnisse nicht patentierbar sind."

Bereits im April hatten etliche europäische Stammzellforscher Yves Bots Erklärungen heftig kritisiert. "Es wäre furchtbar, wenn das Gericht dieser Empfehlung folgen würde", hatte etwa Austin Smith vom Wellcome Trust in Cambridge der SZ zufolge gewarnt. Smith hatte zusammen mit zwölf weiteren Wissenschaftlern im Fachmagazin Nature einen Protestbrief veröffentlicht. Das Urteil, so die Einschätzung der Forscher, würde die Zukunft der europäischen Stammzellforschung gefährden.

Nun erklärte Smith, alle Patente über embryonale Stammzellen in Europa seien damit Makulatur. Ohne Patente bestehe für die Pharmaindustrie kein Anreiz, in die Erforschung von Mitteln gegen Krankheiten oder Behinderungen zu investieren.

Greenpeace widersprach dem. Das Urteil werde der Forschung nicht schaden, weil inzwischen Stammzellen gewonnen werden könnten, ohne menschliche Embryonen zu zerstören.

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