Nach zähem Packen saß die Familie im Auto. Vater, Mutter, Bruder, Schwester und ein Kofferraum voller Zeug. Aggressives Schweigen füllte den Wagen aus. Sogar die Kinder hatten an diesem Punkt des Aufbruchs kapiert, dass sie den Mund halten sollten, weil diese erwachsenen Nervenbündel sonst wieder die Hektik kriegen. Abfahrt? Statt den Zündschlüssel zu drehen, öffnete Vater in diesen Momenten stets die Autotür und lief zurück ins Haus, wo er quälend lang verschwunden blieb. Kaum war er außer Hörweite, explodierte Mutter: "Immer das Gleiche! Jetzt macht er wieder an der Heizung rum oder dreht das Gas aus! Wir w-o-l-l-e-n los!" Betretenes Schweigen im Auto.
Kinder zu bekommen und mit einer eigenen Familie zu leben, bedeutet auch, die erprobten Szenen der eigenen Vergangenheit zur Aufführung zu bringen. Die Rollen sind über Generationen eingeübt und wie so oft gilt auch hier: Unter Stress übernimmt der Autopilot, das befreit von der unangenehmen Aufgabe, wirklich nachzudenken. Es geht also in den Urlaub, wir wollten nach Süden, das haben wir davon.
Rollen anzunehmen, befreit das Individuum von Unsicherheiten, wie es sich denn verhalten soll
Nach dem Stress im Vorfeld wartet am Tag der Abreise der Endgegner: Finale am Kofferraum. Die Kinder hüpfen aufgekratzt herum, befüllen große Säcke mit Spielzeug, ignorieren den elterlichen Hinweis, dass dies kein Umzug sei, fangen an zu streiten, stehen im Weg herum und sind verschwunden, wenn sie gebraucht werden. Die Mutter packt genervt die Kinderklamotten ("Natürlich bist DU schon fertig, wenn DU nicht für die Kinder packst!"), bittet um Einschätzung zu Detailfragen der Kleiderwahl, fängt an aufzuräumen und macht unklare Dinge, nach denen besser niemand fragt, weil die Kindergepäckfrage einen in die Defensive gezwungen hat. Vater war schon beim Tanken, fängt zu früh an, Gepäckstücke zum Auto zu tragen ("Da muss noch was rein!"), sucht irgendeinen Mist im Keller, beginnt Reisetaschentetris am Kofferraum zu spielen und fragt sich, ob im Haus gerade noch aufgeräumt oder schon renoviert wird.
Psychologie:Die Monotonie des Guten
Glückliche Menschen ähneln einander stärker als unglückliche. Generell gleichen sich positive Phänomene mehr als negative.
Rollen anzunehmen bedeutet auch Freiheit, heißt es immer wieder, denn das befreie das Individuum von Unsicherheiten, wie es sich denn verhalten solle. Na gut, trotzdem drängt sich während der Urlaubsvorbereitungen stets der Gedanke auf, ob die Ferien nicht im Ganzen ein Schmarrn sind und es entspannender wäre, zu Hause zu bleiben. Irgendwann sitzen dann alle im Auto. Vater, Mutter, zwei Kinder. Es kann los gehen. Sind die Dachfenster eigentlich zu? Bin gleich wieder da.