Ur-Menschen:Zwischenstopp Arabien

Unsere Vorfahren kamen aus Afrika, darin sind sich die meisten Experten einig. Doch möglicherweise nahmen sie eine andere Route nach Europa als bislang gedacht - und starteten viel früher.

Christian Weber

Ein paar Steinwerkzeuge nur, vergraben zwischen Sand und Schotter - ein primitives Beil, Schaber und Locher -, was man halt so benutzte als technisch aufgeschlossener Hominide der letzten Zwischeneiszeit. Nichts, was Paläoanthropologen normalerweise sonderlich aufgeregt hätte, wäre da nicht der Fundort: ein Felsvorsprung in der Grabung Jebel Faya im Osten der Vereinigten Arabischen Emirate, nur 55 Kilometer entfernt vom Persischen Golf.

Steinwerkzeugen Arabien

Die Ausgrabungsstelle Jebel Faya liegt in der Nähe der Straße von Hormus.

(Foto: Science/AAAS)

Mit dem sogenannten Luminiszenzverfahren ermittelte Simon Armitage vom Royal Holloway College der Universität London das Alter der Funde und bestätigte den Verdacht: Die Artefakte erwiesen sich tatsächlich als 100.000 bis 125.000 Jahre alt. Und das könnte eine kleine Sensation sein. "Unsere Funde werden wahrscheinlich die Frage neu entfachen, auf welche Weise der moderne Mensch zu einer globalen Spezies wurde", sagt Armitage.

In der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Science (Bd.331, S.453, 2011) skizzieren die Forscher um den Archäozoologen Hans-Peter Uerpmann von der Universität Tübingen, wie der vorgeschichtliche Werkzeugsatz die Sicht der menschlichen Migration verändern könnte.

Nach der derzeit gängigsten Theorie entwickelte sich der anatomisch moderne Mensch, so wie man ihn bis heute auch aus deutschen Fußgängerzonen und Büros kennt, vor ungefähr 200.000 Jahren in Ostafrika. Erst vor 60.000 Jahren sei er dann nach Norden gewandert und entlang des Mittelmeeres sowie der arabischen Küste in die restliche Welt aufgebrochen.

Der neue Fund ist nun nach Ansicht der Studienautoren ein deutlicher Beleg dafür, dass Homo sapiens die Arabische Halbinsel bereits vor 125.000 Jahren besiedelte und dabei auch nicht den weiten Umweg über das Nil-Tal und den NahenOsten, sondern die Abkürzung über die Meeresenge am Südende des Roten Meeres genommen hat.

Diese Argumentation funktioniert allerdings nur dann, wenn die gefundenen Werkzeuge tatsächlich von modernen Menschen gefertigt wurden und nicht etwa von Neandertalern. "Ich bin überhaupt nicht überzeugt", kommentiert daher skeptisch der Archäologe Paul Mellars von der Universität Cambridge die Studie. "Es gibt nicht die Spur eines Beweises, dass sie von modernen Menschen gemacht wurden."

Zwar gesteht auch Studienautor Uerpmann, dass man eigentlich fossile Knochen der frühen Auswanderer bräuchte, "bevor wir absolut sicher sein können", dass in Jebel Faya Angehörige der Gattung Homo sapiens gelagert haben.

Andererseits haben die Wissenschaftler eine Reihe von Indizien gesammelt, die ihre Hypothese zumindest plausibel erscheinen lässt: So gleichen die zweiseitigen Klingen und kleinen Handäxte jenen, die man in der gleichen Zeit in Ostafrika benutzt hat, als dort nur Homo sapiens lebte.

Zudem fanden Paläoanthropologen bis heute keinerlei Hinweise dafür, dass Neandertaler damals ihren bekannten Lebensraum in Europa und Nordasien in Richtung Arabien verlassen hatten. Und die aus dem Nahen Osten bekannten Werkzeuge des frühen modernen Menschen sind kunstvoller gefertigt als die jetzt entdeckten Funde.

Darüber hinaus hat das Team um Uerpmann aus vorliegenden Daten das Klima der Region und die Höhe des Meeresspiegels zur fraglichen Zeit rekonstruiert. Dabei kamen die Forscher zu dem Schluss, dass die Meerenge Bab al-Mandab zwischen der Arabischen Halbinsel und dem Horn von Afrika vor 130.000 Jahren wegen des eiszeitlich bedingten, niedrigeren Meeresspiegels enger und leichter zu überqueren war als heute.

"Wir nehmen an, dass es nur vier oder fünf Kilometer waren", sagt Uerpmann. "Die Menschen könnten Flöße oder Boote benutzt haben, die sie zu der Zeit sicherlich schon bauen konnten." So scheint es wahrscheinlich, dass irgendwann ein Mensch am Wasser stand und zum ersten Mal den Gedanken fasste, zu einem Ufer vorzustoßen, an dem zuvor noch niemand gewesen war.

Eine grüne Arabische Halbinsel

Es muss ein attraktives Ziel gewesen sein, denn die Arabische Halbinsel war der Rekonstruktion zufolge damals grün und fruchtbar, durchzogen von Seen und Flüssen, bewohnt von jagdbarem Wild wie Gazellen, wilden Eseln und Steinböcken. Somit konnten die frühen Auswanderer trotz ihrer primitiven Gerätschaften wahrscheinlich recht gut in einer Landschaft bestehen, die heute in weiten Teilen lebensfeindliche Wüste ist.

Die Studie könnte den Autoren zufolge auch Licht in ein weiteres prähistorisches Rätsel bringen, die Frage nämlich, wo die Erde bereits besiedelt war, als vor 74.000 Jahren in der vielleicht größten Naturkatastrophen der letzten zwei Millionen Jahre der Vulkan Toba auf der indonesischen Insel Sumatra ausbrach.

In der durch den Staub bedingten, jahrelangen Eiszeit starb womöglich ein Großteil der damals lebenden Menschen. Unklar ist dabei, wie Werkzeuge aus dieser Zeit zu deuten sind, die im südindischen Jwalapuram gefunden wurden.

Manche Forscher schreiben sie dem Homo erectus zu; andere glauben, dass sie von modernen Menschen gefertigt wurden, die sich getrennt in Asien entwickelt hatten und erst durch die Toba-Katastrophe ums Leben gekommen sind.

Die neuen Ergebnisse stützen eine weitere Theorie: Vielleicht sind manche Menschen von der Arabischen Halbinsel noch weiter gewandert, über die wegen des niedrigen Meeresspiegels ebenfalls leicht zu passierende Straße von Hormus weiter nach Iran und Indien.

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