Süddeutsche Zeitung

Unterwasser-Überwachung:Die Nordsee fest im Blick

Ein umfassendes Netz von Sensoren und Radarstationen überwacht fortan die Deutsche Bucht: Es soll Monsterwellen, Ölteppiche und Umweltsünder erspähen.

Axel Bojanowski

In Büsum wurde am Mittwoch ein aufwändiges Überwachungssystem für die gesamte deutsche Nordseeküste in Betrieb genommen. Die 4,5 Millionen Euro teure Anlage soll vor Sturmfluten warnen, Ölteppiche, Havarien und Monsterwellen erspähen, dem Küstenschutz, Fischern und Touristen zugute kommen, und der Wissenschaft Daten liefern.

Das Überwachungssystem "Ocean Monitoring System" dient zudem als Vorzeigeprojekt. Die Konstrukteure - ein Konsortium aus schleswig-holsteinischen Firmen und Forschungsinstituten - wollen das Überwachungssystem exportieren.

Damit ist die deutsche Nordsee das wohl am besten kontrollierte Meeresgebiet der Welt. Auf Sylt, Helgoland und in Büsum stehen nun gewaltige Radaranlagen. Sie haben die See im Blick, sogar über den Horizont hinaus.

Zudem messen Bojen, Unterwassersensoren und Pegelstationen Strömungen, Wellen, Wetter und die Bewegung des Sandes. Im Büsumer Forschungszentrum Westküste der Universität Kiel laufen die Daten zusammen.

"Umweltverschmutzer müssen nun damit rechnen, gestellt zu werden", sagt der Kieler Meeresforscher Boris Culik. Verklapptes Öl beispielsweise wird von dem Überwachungssystem sofort entdeckt.

Den Monsterwellen auf der Spur

Die elektromagnetischen Radarwellen werden von den Spitzen der Meeresdünung reflektiert. Weil Öl jedoch das Wasser ebnet - erscheint es auf dem Radarbild als "blinder Fleck".

Anhand des Radars lässt sich auch ablesen, wohin ein Ölteppich treiben wird. Denn die Daten zeigen Strömungen in bis zu 200 Kilometer Entfernung.

Die wichtigste Aufgabe der Anlage betrifft allerdings die gewöhnliche Sturmdünung. Mit Hilfe der Radarbilder sollen Schiffe vor ungünstigen Routen gewarnt werden. Die Radarbilder könnten zudem lebensrettend sein, sagt Culik. Wenn ein Mensch über Bord gehe, lasse er sich besser wieder finden.

Die Wissenschaftler hoffen, auch den legendären Monsterwellen auf die Spur zu kommen. 30-Meter-Brecher galten bis vor wenigen Jahren als Seemannsgarn. Neue Forschungen zeigen jedoch, dass sich sogar in der Nordsee solche Riesenwogen erheben könnten.

Besonders die Küsten sollen von dem Überwachungssystem profitieren. Bislang beruhen Sturmflutprognosen auf Wetterkarten und der Erfahrung der Meteorologen. Künftig könne man aufs hohe Meer blicken und sehen, was die Küsten erwarte, sagt der Geologe Klaus Ricklefs von der Universität Kiel. Vom Datenzentrum in Büsum sollen im Ernstfall Warntelegramme eingeblendet werden - in Fernsehsendungen, Radiodisplays und Handys.

Auf die Erkennung von Tsunamis geeicht

Mit dem Norddeutschen Rundfunk sei eine Zusammenarbeit vereinbart worden, berichtet Culik. Noch erhalten im Notfall lediglich Rettungsdienste Nachricht. Damit Privatpersonen den Service abonnieren können, bedarf es noch der Zustimmung des Katastrophenschutzes. "Wir müssen erst beweisen, dass das System funktioniert", sagt Culik.

Die Investition, getragen von neun Firmen und dem Land Schleswig-Holstein soll sich lohnen. Ziel ist es, Komponenten des Überwachungssystems zu verkaufen. Mögliche Kunden seien von Tsunamis bedrohte Staaten, sagt Culik.

Bisherige Warnsysteme lösen häufig Fehlalarm aus, und die Anlagen verkennen mitunter Tsunamis auf dem offenem Meer, denn dort sind die Killerwellen nur wenige Zentimeter hoch. In der Nordsee sollen nun Sensoren für ein zuverlässigeres Warnsystem entwickelt werden.

Die Forscher erwarten zwar keine Tsunamis in der Nordsee. Doch die natürliche Tide - zweimal am Tag strömt das Wasser herein und wieder heraus - wollen die Forscher nutzen, um ihre Sensoren auf die Erkennung von Tsunamis zu eichen.

Auch die Fischerei könnte sich für das System interessieren, hoffen die Konstrukteure. Denn die Strömungsdaten lassen auf nährstoffreiches Wasser und mithin auf reiche Fischgründe schließen. Wassersportler gelten ebenfalls als potentielle Kunden. Sie könnten von genauen Angaben über Wind und Wetter profitieren.

Wahrzeichen des umfassenden Überwachungssystems ist ein klobiger gelber Wachturm, der in Büsum elf Meter über das Meer ragt. Der Messturm und eine Reihe von Bojen sollen anhand von Lichtblitzen und Schallwellen verfolgen, wie das Wasser die Sedimente verschiebt. So soll geklärt werden, ob Fahrrinnen versanden und Nordseeinseln abgetragen werden.

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Quelle:
SZ vom 14.6.2007
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