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Unnützes Google-Doodle-Wissen:Hermann Rorschach und das Problem mit Wikipedia

Chamäleon oder Katze? Tierfell oder Musikinstrument? Sag mir, was du siehst, dann sag' ich dir, wie du tickst: Der Rorschach-Test ist weltberühmt und umstritten. Das liegt nicht nur an einer Aktion eines kanadischen Arztes.

Von Tobias Dorfer

Immer wieder zeigt Google auf der Startseite bunte Bilder oder Animationen - und erinnert damit an besondere Menschen oder Ereignisse. Wir sagen Ihnen, was Sie zum Google-Doodle unbedingt wissen müssen. Heute: 129. Geburtstag des 1922 gestorbenen Psychiaters Hermann Rorschach.

Das ist zu sehen:

Zunächst ein Blatt Papier. Darauf ein Tintenklecks. Google widmet sein Doodle dem Psychiater und Psychoanalytiker Hermann Rorschach. Bei dem nach dem Schweizer benannten Psychotest werden den Probanden Klecksbilder gezeigt. Sie sollen dann erklären, was sie sehen. Aus diesen Aussagen schließt der Psychiater auf die Persönlichkeit. Der Test ist zwar umstritten (Kritikpunkte hier...), doch weltberühmt. Trotzdem macht Google die User zu Versuchskaninchen. Sie können ihre Interpretationen der im Doodle gezeigten Klecksbilder auf Google Plus, Facebook und Twitter teilen.

Dinge, die Sie wissen müssen

  • Dem VW-Konzern bescherte der Rorschachtest im Jahr 1996 sogar einen Oscar. Zwar nicht den, der jedes Jahr in Hollywood vergeben wird - dafür gab es für den Clip, mit dem der VW Golf in Frankreich beworben wurde, eine Bronzemedaille beim Lions-Festival in Cannes, der bekanntesten Veranstaltung der Werbebranche. Aber sehen Sie selbst hier (oder hier):
  • Hat Wikipedia ein wichtiges Standbein der Psychoanalyse zerstört? Vor einigen Jahren lud der kanadische Arzt James Heilman die zehn Rorschach-Klecksbilder in das Online-Lexikon Wikipedia (wo sie bis heute zu finden sind), einschließlich der häufigsten Antworten. Zwar konnten die Tafeln schon zuvor in den Suchmaschinen gefunden werden, dennoch tobten viele Psychologen: Wenn jeder die Bilder sehen könne, würde niemand mehr unvoreingenommen in den Test gehen. Juristische Probleme hat Heilman wegen seiner Aktion allerdings nicht bekommen: Das Urheberrecht der zehn Tafeln ist längst abgelaufen.
  • Der Rorschachtest wurde auch beim Nürnberger Kriegsverbrecherprozess angewendet. Der Psychologe Gustave Mark Gilbert zeigte die Tafeln unter anderem Ernst Kaltenbrunner, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes, und Wilhelm Keitel, bis 1945 Chef des Oberkommandos der Wehrmacht. Eine einheitliche Interpretation der Ergebnisse gab es jedoch nicht. Während die Psychologin Florence R. Miale und der Historiker Michael Selzer dem Rorschachtest entnahmen, dass "Nazis keine psychisch normalen und gesunden Menschen" waren, sah eine andere Kommission von Rorschach-Experten keine Unterschiede zu Nicht-Nazis. Ausführlich berichtet im Dezember 1975 derSpiegelüber die Psychotests beim Nürnberger Prozess.
  • 2009 wurde Rorschach posthum zum Kinostar. In der Comic-Verfilmung "Watchmen - Die Wächter" kämpft ein Superheld mit Namen Rorschach mit großer Leidenschaft gegen das Verbrechen. Merkmal ist seine Maske, deren Muster einem Rorschachtest -Bild gleicht und sich ständig verändert.

Interessant für:

Hobby-Psychologen, Freud-Anhänger, Freidenker und alle, denen schon einmal ein Tintenfass umgefallen ist.

Mit diesem Satz können Sie beim Mittagessen punkten:

"In deiner Bratensoße sehe ich: Wochenende."

Sehen Sie alle Folgen unseres Google-Doodle-Wissens hier.

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