Süddeutsche Zeitung

Unkontaktierte Amazonas-Stämme:Erfolg durch Fotos

Holzfäller bedrohen den Lebensraum von Indiostämmen, die bislang noch nicht in Kontakt mit der Zivilisation gekommen sind. Nun will Peru offenbar etwas dagegen unternehmen.

Ein Flugzeug braust im Tiefflug über den brasilianischen Regenwald. Plötzlich tauchen auf einer kleinen Lichtung Hütten mit Blätterdächern auf, daneben eine Gruppe von Ureinwohnern. Der Fotograf drückt auf den Auslöser, hält die Reaktionen der Menschen fest, die nicht wissen, wie ihnen geschieht. Erst erstaunt, dann erschreckt und schließlich kämpferisch starren sie in den Himmel, auf das Flugzeug, das ihnen vielleicht wie eine unbekannte, brüllende Bestie vorkommt.

"Wir wissen nicht, zu welchem Volk die Menschen gehören", sagt Alice Bayer von der deutschen Sektion der Menschenrechtsorganisation Survival International mit Sitz in London. "Dazu müsste man wissen, welche Sprache sie sprechen." Auf jeden Fall aber gehören sie zu den etwa 50 bis 60 Gruppen von Ureinwohnern Südamerikas, denen es gelungen ist, sich seit dem Eintreffen der ersten Europäer in dem riesigen Amazonas-Regenwald vor mehr als 400 Jahren von der westlichen Zivilisation fernzuhalten.

Survival hat die Fotos von der brasilianischen Indianer-Behörde Funai bekommen und kürzlich veröffentlicht. Zwar setzen sich Organisationen wie Survival schon lange für den Schutz der letzten Ureinwohner Südamerikas ein, aber nur mit solchen Fotos bekommen die Bedrohten ein Gesicht.

Nach der Veröffentlichung der Bilder habe das Außenministerium in Peru angekündigt, künftig gemeinsam mit der brasilianischen Funai zusammenarbeiten, um das Problem der illegalen Holzfäller und Ölsucher in den Griff zu bekommen, berichtete Survival nun. "Das ist wirklich ein ermutigender erster Schritt", kommentierte der britische Anthropologe und Survival-Direktor Stephen Corry. "Hoffen wir, dass die erklärte Absicht schnell zu echten Handlungen führt."

Gefilmt an einem geheimen Ort

Auf den Fotos waren Ureinwohner zu sehen, die im brasilianischen Regenwald nahe der Grenze zu Peru leben. Die Bilder waren von der brasilianischen Behörde für indigene Angelegenheiten (Funai) an einem geheim gehaltenen Ort von einem tieffliegenden Flugzeug aus aufgenommen worden. Sie wurden Survival im Rahmen der Kampagne zur Verfügung gestellt.

Auf den Bildern sind Kinder und Erwachsene mit Lendenschurz zu erkennen. Sie scheinen bei guter Gesundheit zu sein - ganz anders als viele der Indios, die am Rande südamerikanischer Großstädte in Armut leben. Die Menschen im Urwald haben Körbe mit frischem Maniok und Papayas dabei, ihre Körper sind rot oder schwarz bemalt. Aber auch ein industriell hergestellter Kochtopf und eine Machete sind zu sehen.

"Wir vermuten, dass sie die entweder bei anderen Indianern eingetauscht oder sie gefunden haben", sagt Bayer. Es gebe viele Gruppen, die ganz sporadischen Kontakt mit der Außenwelt hätten. Aus schlechten Erfahrungen mit Fremden hätten sie aber gelernt, solche Kontakte so weit wie möglich zu meiden.

Die Ureinwohner des heutigen Lateinamerikas wurden von den europäischen Einwanderern versklavt und teilweise ausgerottet. Auch die Bewohner des Amazonas-Regenwaldes in Brasilien, Peru, Kolumbien, Bolivien und Ecuador sind grausam niedergemetzelt worden oder an eingeschleppten Krankheiten gestorben. Besonders schlimm war die Zeit des Kautschukbooms im 19. Jahrhundert, dem schätzungsweise 90 Prozent der zuvor dort lebenden Ureinwohner zum Opfer fielen.

Solche Erfahrungen werden über Generationen weitergegeben. Die Indios werden heute vor allem von illegalen Holzfällern im peruanischen Amazonasgebiet massiv bedroht. Die brasilianischen Behörden befürchten, dass Ureinwohner aus Peru über die Grenze nach Brasilien vertrieben werden, wo die Gruppen dann in Konflikte geraten könnten. "Die illegalen Holzfäller werden dieses Volk vernichten. Es ist dringend notwendig, dass die peruanische Regierung den Holzfällern Einhalt gebietet", sagt Corry.

Der peruanische Umweltminister Antonio Brack räumte ein, dass illegale Holzfäller und auch Ölsucher in Peru eine Gefahr für die Ureinwohner darstellten. Zugleich aber nahm er auch das Ausland in die Pflicht: "Der illegale Holzeinschlag lebt davon, dass dieses Holz auf den internationalen Märkten Käufer findet."

So stammten zum Beispiel 26 Prozent des in die Niederlande importierten Holzes nicht aus Wäldern, die kontrolliert bewirtschaftet würden. Als großen Fortschritt bezeichnete er es deshalb, dass in die Europäische Union nun nur noch Holz eingeführt werden dürfe, das aus nachhaltig genutzten Wäldern stamme.

Der peruanische Kulturminister Juan Ossio macht die Wildwest-Mentalität im Urwald für die Gefährdung der Ureinwohner verantwortlich. "So lange wir keine Ordnung im Urwald schaffen, wird die Gefahr fortbestehen", sagte er der Zeitung El Comercio.

Wichtig sei vor allem, Schutzgebiete für die in freiwilliger Isolierung lebenden Menschen auszuweisen und diese dann auch rigoros zu schützen.

Ein Film vom Flug zu dem unkontaktierten Stamm ist hier zu sehen.

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