Unbeliebte Tiere:Die Monsterratte von London

"So groß wie ein Säugling": Handwerker Tony Smith findet beim Aufräumen eine angeblich riesige Ratte. Bevor er sie in den Müll wirft, macht er noch schnell ein Foto - das ihn am Ende entlarvt.

Von Felix Hütten

Im Gebüsch soll sie gelegen haben, die Riesenratte von Hackney. Tot, etwa 11 Kilo schwer, mehr als einen Meter lang - behauptet Tony Smith. Der Handwerker sieht das Tier beim Blick aus dem Fenster, als er in einem Wohnblock im Osten Londons arbeitet. In der Nähe ist ein Spielplatz, die Aufregung ist groß.

"Es ist die größte Ratte, die ich jemals gesehen habe", sagt Smith der Gratiszeitung Evening Standard. Bevor Smith das Tier in den Mülleimer schmeißt, macht er noch ein Beweisfoto. "Damit uns die Leute glauben, dass das echt ist."

Ein so großes Tier, mitten in Europa?

Damit ist das Kammerspiel inszeniert, die britischen Boulevardzeitungen melden die "Monsterratte von Hackney". Ähnlich wie in Deutschland haben Ratten in London keinen besonders großen Fanclub. Sie erinnern an Zeiten der industriellen Revolution, an eine stinkende Themse und Abfälle auf den Bürgersteigen.

Doch kann das sein? Ein so großes Tier, mitten in Europa? Tatsächlich gibt es Nagetiere in dieser Größe, zum Beispiel Rohrratten. Sie werden bis zu acht Kilo schwer und in Einzelfällen auch mal einen Meter lang. Nur leben diese Tiere vor allem in Mittel- und Südafrika, in der Londoner Kanalisation eher nicht. Genauso wenig wie Gambia-Riesenhamsterratten. Diese Tiere werden bis zu 1,5 Kilo schwer, ihre Nase ist deutlich spitzer als bei normalen Ratten. Sie leben meist in Tropenwäldern südlich der Sahara.

Der Nager auf Smiths Foto sieht vielmehr aus wie eine in Europa weitverbreitete Wanderratte, sagt Estella Böhmer, Tierärztin an der Universität München. "Sie werden mit Schwanz maximal 50 Zentimeter groß. Die Nase ist stumpf und die Ohren sind klein - das passt zum Bild."

Das Foto spielt mit einer optischen Täuschung

Auch auf Twitter werden schnell Zweifel laut. Es mag die größte Ratte gewesen sein, die Tony Smith jemals gesehen hat - und doch ist das Foto eine optische Täuschung. Denn Tony Smith hält das Tier mit einem Greifstab in Richtung Kamera. Dadurch verschieben sich die Größenverhältnisse: Das Tier ist etwa einen Meter näher an der Linse als Smith selbst.

Dadurch wirkt die Ratte im Vergleich zur Statur des Mannes tatsächlich enorm. Den Effekt der sogenannten erzwungenen Perspektive kennt jeder, der schon mal ein Foto vom Alpenpanorama geschossen hat. Während die Berge im Hintergrund winzig aussehen, erscheint ein nahestehender Baum riesig. Um die Größenverhältnisse auf einem Foto richtig beurteilen zu können, müsste Smith die Ratte neben sich halten. Hier ein Beispiel:

Ähnliche Fototricks mit Monstertieren tauchen immer wieder mal im Internet auf. Jüngstes Beispiel ist der "Monsteralligator" aus Florida. Das Tier soll mehr als vier Meter lang sein und über 350 Kilo wiegen. Ein genauer Blick auf das Foto zeigt, dass der Junge versetzt zu dem Tier auf Höhe des hinteren Reifens steht. Er berührt das Bein des Alligators nicht. Obwohl das Tier tatsächlich sehr groß ist, handelt es sich um den gleichen Fototrick wie bei der Ratte aus Hackney.

Im Internet kursieren mittlerweile lustige Versuchsfotos, die die Rattenszene nachstellen - und entlarven. Oliver O'Brien, Datenanalyst am University College London machte sich sogar die Mühe, die Größenverhältnisse auf dem Foto nachzurechnen.

Er verglich die Länge der Finger des Handwerkers mit anderen Achsen auf dem Bild. Sein Ergebnis: Würde die Ratte tatsächlich einen Meter messen, müsste Tony Smith dreieinhalb Meter groß sein. Das scheint, nach allem was man über den Mann weiß, eher unwahrscheinlich.

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