Weltnaturkonferenz:Im Schneckentempo

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Große Erschöpfung: Auf der UN-Weltnaturkonferenz  COP16 in Cali konnten die Teilnehmer nur  mühsame Kompromisse erzielen. (Photo by JOAQUIN SARMIENTO / AFP) (Foto: JOAQUIN SARMIENTO/AFP)

Hoffnung und Fortschritt am Anfang, Frustration und Chaos zum Schluss: Die UN-Weltnaturkonferenz COP16 in Cali hinterlässt ein zwiespältiges Bild. Das Wichtigste im Überblick.

Von Thomas Krumenacker

Die UN-Weltnaturkonferenz COP16 in Cali hinterlässt ein zwiespältiges Bild. Das Treffen von Delegationen aus fast 200 Ländern wollte „Frieden mit der Natur“ schließen und überprüfen, welche Fortschritte die Staaten der Erde bei der Umsetzung des historischen Weltnaturabkommens von Montreal gemacht haben. Darin hatten sie sich vor zwei Jahren auf die Fahnen geschrieben, das Artensterben und die Zerstörung der Natur auf dem Planeten bis 2030 zu stoppen. Am Ende überschattete der Streit ums Geld das Treffen. Doch in Cali wurden auch Fortschritte erzielt. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick.

Finanzierung des globalen Naturschutzes

Ob der Schutz und die Renaturierung eines Drittels der Erde, der Kampf gegen Überfischung der Meere oder der nachhaltige Umbau der Wirtschaftssysteme: Die Verwirklichung aller 23 Ziele des Weltnaturabkommens hängt am Geld. Den Gipfelteilnehmern gelang es nicht, hier wesentliche Fortschritte zu erzielen. Die Industriestaaten haben sich verpflichtet, die armen Länder von 2025  an mit jährlich mindestens 20 Milliarden Dollar zu unterstützen. Das Geld soll helfen, Schutzgebiete einzurichten und einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die artenreichen Länder verzichten, ihre Naturschätze zugunsten wirtschaftlicher Entwicklung auszubeuten. Zwar gab es in Cali neue Zusagen, darunter eine weitere 50-Millionen-Finanzspritze Deutschlands, das damit an der Spitze der Geberländer steht. Doch Wochen vor Beginn des Zieljahres klafft immer noch eine Lücke von mehr als vier Milliarden Dollar. „Um die zugesagten 20 Milliarden bis Ende 2025 zu erreichen, müssten ab jetzt jeden Monat zusätzliche 300 Millionen zugesagt werden“, sagt Georg Schwede, Finanzexperte der Naturschutzorganisation Campaign for Nature.

Insgesamt ist der Finanzbedarf für den globalen Naturschutz noch deutlich größer. Bis 2030 sollen dafür jährlich 200 Milliarden Dollar von Staaten, privaten Spendern, der Industrie und Finanzwirtschaft aufgebracht werden. Wie diese Summe mobilisiert werden soll, bleibt offen. Die geplante Verabschiedung einer Finanzstrategie kam dazu nicht zustande, weil die Konferenz im Finanzstreit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern den Zeitrahmen so sehr überzog, dass viele Delegationen abreisen mussten und die Konferenz beschlussunfähig war.

Pharmaindustrie soll für digitale Informationen zahlen

Ob Hautcreme, Impfstoff oder Krebsmedikament: Viele kosmetische und pharmazeutische Produkte basieren auf Erbgutinformationen, die aus Pflanzen oder anderen Organismen aus dem artenreichen globalen Süden stammen. Über digitale Sequenzierung (DSI) analysiert, sind die zur Produktentwicklung nötigen Informationen weltweit in Datenbanken abrufbar. Während Unternehmen damit Milliardenumsätze erwirtschaften, gingen die Herkunftsländer bei der kommerziellen Nutzung ihrer natürlichen Schätze bisher leer aus. Das ändert sich mit einem in Cali beschlossenen Fonds. Unternehmen, die von DSI profitieren, sollen künftig ein Prozent der Gewinne oder 0,1 Prozent des Umsatzes der Produkte in den Fonds einzahlen. Das Geld soll in den Naturschutz investiert werden. Nach Schätzungen könnte der Fonds jährlich einen einstelligen Milliardenbetrag erbringen. Allerdings ist die Beteiligung freiwillig, sodass einige Experten mit geringeren Einnahmen rechnen. Ausgenommen von Zahlungen bleiben Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen.

Mehr Rechte für indigene Völker

Naturschutz über die Köpfe indigener Gruppen hinweg oder sogar auf ihre Kosten soll der Vergangenheit angehören. Deshalb sollen die Rechte lokaler Gemeinschaften deutlich gestärkt werden. Sie erhalten künftig formelle Mitspracherechte innerhalb der UN-Biodiversitätskonvention. Der Beschluss bedeutet auch eine politische Aufwertung des traditionellen Wissens über Umgang und Nutzung der Natur durch indigene Gemeinschaften. Auch für die Natur selbst ist die Stärkung der Rechte der 300 bis 500 Millionen Indigenen eine gute Nachricht. Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass die Biodiversität in den von ihnen bewirtschafteten Gebieten in einem deutlich besseren Zustand ist als selbst in staatlich kontrollierten Schutzgebieten.

Klima- und Naturschutz sollen enger verzahnt werden

Klimawandel und Ökokrise verschärfen sich gegenseitig und haben dieselbe Ursache in einer Übernutzung der Erde. Als Konsequenz aus dieser Erkenntnis soll der Kampf gegen die beiden ökologischen Menschheitsprobleme besser miteinander verzahnt werden, etwa, indem die Ziele der Gipfel zu Klima und Biodiversität besser abgestimmt werden. Maßnahmen, die Klima und Natur gemeinsam schützen, sollen verstärkt werden. Dazu gehört die Renaturierung von Ökosystemen, die Treibhausgase speichern und gleichzeitig Brennpunkte der Artenvielfalt sind. Der Beschluss wertet den bisher in der Praxis oft dem Klimaschutz untergeordneten Naturschutz deutlich auf.

„30 x 30“: Wo steht die Welt beim wichtigsten Montreal-Ziel?

Um die Artenvielfalt zu bewahren, sollen 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Diesem wohl wichtigsten Ziel des Montreal-Abkommens nähert sich die Welt im Schneckentempo, wie in Cali vorgelegte Zahlen des UN-Umweltprogramms zeigen. Die Fläche der seit Montreal neu ausgewiesenen Schutzgebiete an Land wuchs nur um ein halbes und auf See sogar nur um 0,2 Prozent. Damit sind bisher weniger als 18 Prozent der Land- und gut acht Prozent der Meeresfläche geschützt. Rechnerisch müssten an Land täglich 10000 Quadratkilometer neuer Schutzgebiete hinzukommen, in den Ozeanen müssten an jedem Tag 85 neue Meeresschutzgebiete ausgewiesen werden, um das Ziel zu erreichen.

Die Umsetzung des Flaggschiff-Ziels von Montreal musste in Cali zwei weitere Rückschläge hinnehmen: Ein fertig ausgehandeltes Rahmenabkommen, das Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele überwachen und die ökologische Qualität durch verbindliche Kriterien sicherstellen sollte, konnte wegen der Beschlussunfähigkeit am Ende der COP nicht mehr verabschiedet werden. Außerdem legten nur gut 40 der 196 Vertragsstaaten wie gefordert detaillierte Pläne vor, wie sie die Montreal-Ziele in ihren Ländern konkret umsetzen wollen. Auf der Haben-Seite verständigten sich die Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Auswahl artenreicher Meeresregionen – ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Meeresschutzabkommens, mit dem das 30-Prozent-Ziel erreicht werden soll.

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Ein Kommentar von Tina Baier

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