UN-Umweltkonferenz in Durban:"Die Weltklimapolitik ist bankrott"

Es besteht kaum Hoffnung auf einen Durchbruch bei den Klimaverhandlungen in Durban. Das Kyoto-Protokoll ist am Ende - auch wenn China sich jetzt bewegt, sagt der Klimaökonom Lutz Wicke. Gemeinsam mit anderen Klimaexperten hat er eine alternative Strategie entwickelt, um die Erderwärmung zu stoppen. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt er, wie ein gerechteres System zum Schutz des Weltklimas aussehen könnte.

Markus C. Schulte von Drach

Lutz Wicke ist Direktor des Instituts für Umweltmanagement an der European School of Management (ESCP) in Berlin und ehemaliger Wissenschaftlicher Direktor am Umweltbundesamt. Seit Jahren kritisiert er die globale Klimapolitik. Gemeinsam mit Klimaexperten wie Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung und dem Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat er ein alternatives Konzept zum Kyoto-Protokoll entwickelt. Denn das gegenwärtige System ist seiner Meinung nach genauso zum Scheitern verurteilt wie die Klimakonferenz in Durban.

People walk through haze at an industrial area in Mumbai

Smog im indischen Mumbai (Bombay). Der Kohlendioxid-Ausstoß in Indien ist pro Kopf sehr viel niedriger als in den Industriestaaten. Gerechte Klimapolitik muss das berücksichtigen, fordert der Klimaökonom Lutz Wicke.

(Foto: REUTERS)

sueddeutsche.de: Vor einigen Jahren hatte man den Eindruck, die Welt wäre zu Klimaschutzmaßnahmen bereit. Seit der Konferenz 2007 in Bali ist davon nicht mehr viel mehr übrig. Auch Angela Merkel hat die Erwartungen an die Konferenz in Durban gedämpft. Wie konnte es so weit kommen?

Lutz Wicke: In der Zeit nach der Einigung auf das Kyoto-Protokoll 1997 und nachdem es 2005 in Kraft getreten war, gab es eine große Euphorie, weil endlich viele Länder sich auf ein verbindliches Klimaschutzabkommen geeinigt hatten. Aber in den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass das System zum Schutz des Weltklimas eine Fehlkonstruktion ist.

sueddeutsche.de: Woran machen Sie das fest?

Wicke: Die Jahre 2000 bis 2010 waren ein Horrorjahrzehnt. Die Treibhausgas-Emissionen wurden nicht nur nicht begrenzt. Es ist vielmehr zu einer deutlichen Verschärfung der Klimasituation gekommen: In dieser Zeit wurden 34 Prozent mehr CO2 ausgestoßen - trotz aller Anstrengungen. Und die weiteren Aussichten, die von der Internationalen Energieagentur (IEA) der OECD zu hören sind, sind niederschmetternd.

sueddeutsche.de: Viele Experten warnen vor einer weiteren Zunahme von Kohlendioxidemissionen, vor mehr Wetterextremen, einem Temperaturanstieg von bis zu fünf oder sogar sechs Grad bis zum Jahr 2100 ...

Wicke: Das Ziel, auf das man sich geeinigt hat, ist: nicht mehr als zwei Grad Temperaturerhöhung. Um das zu erreichen, ist man auf dem Klimabasar der UN-Konferenz 2010 im mexikanischen Cancún gewissermaßen mit dem Klingelbeutel herumgegangen und hat die Staaten aufgefordert zu erklären, um wie viel Prozent sie ihre Emissionen mindern werden, beziehungsweise wie stark sie ihre Steigerungen reduzieren wollen. Wenn man zusammennimmt, was dabei "gespendet" wurde, dann führt das allerdings zu einer 3,5-Grad-Celsius-Erhöhung. Schon das bedeutet: Diese Weltklimapolitik ist bankrott.

sueddeutsche.de: Umweltschützer dringen weiterhin darauf, dass die Staaten sich in Durban auf einen Nachfolger des Kyoto-Protokolls einigen.

Wicke: Das können wir - aller Wahrscheinlichkeit nach - vergessen. Japan, Kanada und Australien zum Beispiel haben das Kyoto-Protokoll ratifiziert, aber schon ihre bisherigen Zusagen nicht eingehalten. Kanada wird mindestens 50 Prozent mehr CO2 emittieren als zugesagt. Wenn man das Protokoll verlängern würde und diese Länder wären wieder dabei, dann müssten sie ihre Überschreitungen bis 2012 auf die nächste Periode anrechnen und darüber hinaus weiter absenken. Sie werden deshalb nicht mehr mitmachen. Die USA, aber auch China, Brasilien und andere, stehen mehr oder weniger weiterhin abseits.

sueddeutsche.de: Immerhin kommt nun aus China das Signal, man wäre möglicherweise bereit, das Kyoto-Protokoll nach dem Jahre 2020 fortzusetzen.

Wicke: Auch wenn jetzt die Chinesen und vielleicht viele andere Unterzeichnerstaaten für die Zeit nach 2020 zu einer "verbindlichen" Fortsetzung des Kyoto-Protkolls bereit wären - das vereinbarte Ziel von zwei Grad wird man so nicht schaffen. Es werden weitere zig Milliarden Tonnen CO2 zusätzlich ausgestoßen, wenn zuvor nicht eine globale Höchstemission von 35 Milliarden Tonnen pro Jahr erreicht wird. Solange der Trend zu jährlich weltweit mindestens zwei bis drei Prozent Emissionen zusätzlich nicht durch verlässliche wirksame Maßnahmen gebrochen werden kann, hilft auch keine Festlegung einer Phantasie-Jahreszahl.

Außerdem ist es fraglich, ob die Zusagen auch eingehalten werden. Und die Strukturprobleme und die weitgehende Wirkungslosigkeit des bestehenden Klimaschutzsystems blieben ja erhalten.

Und das beruht auch auf einem weiteren Problem, den Bodenschätzen. Kanada setzt inzwischen auf seine eigenen Ölvorkommen - etwa die Ölschiefer-Vorräte. Dort wird Öl mit einem extrem CO2-intensiven Verfahren gewonnen. Aber angesichts des Ölpreises lohnt sich das für die Kanadier.

sueddeutsche.de: Aber die Bodenschätze sind doch begrenzt. Der Internationalen Energieagentur zufolge haben wir das globale Ölfördermaximum bereits 2006 erreicht.

Wicke: Im Boden steht aber noch 50-mal mehr Kohlenstoff in Form von Kohle, Öl und Gas zur Verfügung, als die Menschheit bislang verbraucht hat. Es hat sich nur nicht gelohnt, sie zum Beispiel aus tiefer liegenden Gesteinsschichten oder aus Ölschiefer zu gewinnen. Das ändert sich jetzt. Sogar die Umwandlung von Kohle in Diesel und Benzin lohnt sich inzwischen. Und jeder einzelne Staat ist froh über seinen Reichtum an Bodenschätzen und hat Interesse daran, die fossilen Stoffe zu nutzen. Man muss die Menschen davon überzeugen, auf diese Ressourcen zu verzichten. Das ist das Hauptproblem, gegen das sich jedes vernünftige Weltklimaschutzsystem durchsetzen muss.

sueddeutsche.de: Viele Länder, wie etwa Japan, machen ihre Entscheidungen abhängig von dem, was die USA tun wollen. Wie viel Verantwortung tragen die Amerikaner für die Krise?

Wicke: Die USA sind allgemein der Buhmann. Die US-Klimapolitik muss auch heftig kritisiert werden. Aber sie sind nicht die Alleinschuldigen. Wenn man auf ein System setzt, wo jede Nation versucht, so wenig zu geben wie möglich, dann braucht man sich nicht zu wundern, dass die Verpflichtungen am Ende nicht ausreichen. Jedes einzelne Land hat seine eigenen Ziele und will keine wirtschaftlichen Nachteile in der Gegenwart in Kauf nehmen.

Was ist die Alternative?

sueddeutsche.de: Wenn Verpflichtungen wie im Kyoto-Protokoll nicht ausreichen, was ist die Alternative?

Lutz Wicke

Nicht einzelne Staaten, sondern alle zusammen müssen zu einer globalen Beschränkung der Kohlendioxidemissionen verpflichtet werden, fordert Lutz Wicke, Direktor des Instituts für Umweltmanagement an der European School of Management (ESCP) in Berlin.

(Foto: L.Wicke)

Wicke: Es gibt eine Strategie, die Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung und ich schon vor einigen Jahren entwickelt haben. Und die 2009 vom Wissenschaftlichen Beirat globale Umweltveränderungen der Bundesregierung ausgebaut wurde. Um wenigstens das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen, müsste die Weltgemeinschaft eine Begrenzung der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen festlegen. Dabei handelt es sich nicht um nationale Verpflichtungen, sondern um eine globale.

Um wirtschaftliche Engpässe in den kommenden Jahren zu vermeiden, würde zunächst ein Höchstwert von 35 Milliarden Tonnen Kohlendioxid zugelassen, möglichst ab 2015. Dieser "Peak" ist der entscheidende allererste Schritt, um die Temperaturerhöhung auf zwei Grad zu beschränken.

sueddeutsche.de: Aber wie soll eine globale Verpflichtung anders umgesetzt werden als über eine Verpflichtung der einzelnen Länder?

Wicke: Unsere "Zwei-Grad-max-Strategie" läuft darauf hinaus, dass eben kein einziger Staat individuell zu irgendwelchen Beschränkungen verpflichtet wird. Man baut stattdessen einen Mechanismus ein, mit dem das Ziel über den Markt erreicht wird: Für die 35 Milliarden Tonnen CO2 werden weltweit Klimazertifikate ausgegeben, und zwar nach dem ökodemokratischen Grundsatz "One Human, One Emission Right".

sueddeutsche.de: Jeder Mensch sollte demnach das gleiche Recht auf die Emission einer bestimmten Menge Kohlendioxid haben?

Wicke: Und die sollte anfangs bei etwa fünf Tonnen pro Kopf und Jahr liegen. Bei der Erstverteilung würden die Staaten die Zertifikate gemäß ihrer Bevölkerung kostenlos erhalten. Die würden dann verkauft an die Erstvertreiber von Kohle, Gas und Öl. Alle Staaten, die weniger CO2 pro Kopf der Bevölkerung produzieren, hätten damit einen Überschuss an Zertifikaten. Die könnten sie verkaufen an Staaten, die mehr Emissionen pro Kopf haben.

sueddeutsche.de: Indien hätte also aufgrund der großen Bevölkerung das Recht, deutlich mehr Kohlendioxid auszustoßen, als die gegenwärtig etwa eine Tonne pro Kopf und Jahr. Die USA dagegen blasen viel mehr CO2 in die Atmosphäre, als es ihnen zugestanden würde. Die Inder könnten den Amerikanern also Zertifikate verkaufen.

Wicke: Richtig. Die Inder könnten ihren eigenen Ausstoß natürlich auch erhöhen - und wir großen Klimasünder könnten und dürften das wahrhaftig auch nicht verbieten. Es wäre aber idiotisch, wenn sie nicht versuchen würden, mit den Zertifikaten ein Geschäft zu machen. Dann gäbe es auch in Indien und anderen Staaten mit geringer Emission ein Interesse, sich klimafreundlich zu entwickeln - finanziert auch über den Verkauf der Zertifikate.

Deutschland und die EU würden belohnt für die Maßnahmen, die sie bereits getroffen haben. Wir müssten weniger Zertifikate einkaufen als viele andere, auch wenn wir noch deutlich über fünf Tonnen pro Kopf liegen.

sueddeutsche.de: Aber wieso sollten die USA mitmachen? Die müssten große Mengen von Zertifikaten einkaufen. Schließlich liegen die Emissionen dort bei etwa 20 Tonnen pro Kopf jährlich.

Wicke: Die USA sind der schwerste Brocken, aber auch dort besteht gewisse Hoffnung, dass dieses marktwirtschaftliche System akzeptiert wird. Es entspricht eigentlich ihrem Klimapolitikstil und es gäbe wegen des weltweiten CO2-Preises auch nicht die von vielen Amerikanern befürchteten schwerwiegenden Schäden für die US-Wirtschaft. Und auch die USA bekommen große Klimaprobleme. Viele Amerikaner haben begriffen, dass man die Atmosphäre nicht mehr kostenlos als Mülldeponie missbrauchen darf.

sueddeutsche.de: Könnten Länder mit überschüssigen Zertifikaten die USA nicht erpressen?

Wicke: Deshalb müsste man einen festen Transferpreis für die Zertifikate aushandeln, vielleicht zehn bis dreißig Dollar pro Tonne CO2. Es sollte auch keinen direkten Handel zwischen den Ländern geben, sondern über eine Weltklimabank. Die Transfergelder sollten übrigens verwendet werden, um das Klima zu schützen und die Armut zu bekämpfen. Dazu müssten ökosoziale Marshallpläne vereinbart werden. Die Hauptzahler in den Industrieländern müssen sicher sein können, dass diese Gelder zielgerichtet eingesetzt werden.

sueddeutsche.de: Die Idee des Emissionshandels über Zertifikate gibt es schon länger, und sie wird auch schon umgesetzt. Wo ist der Unterschied zu Ihrem Konzept?

Wicke: Es gibt den Handel auf der europäischen Ebene. Ansätze gibt es auch in einigen US-Bundesstaaten und Australien will ab 2015 auch so etwas machen. Aber unser Konzept, das übrigens ursprünglich der Sachverständigenrat für Umweltfragen entwickelt hat, ist fundierter. Die Zertifikate müssen nicht bei jedem großen Industriebetrieb oder gar jedem Autofahrer nachgewiesen werden, sondern auf der ersten Verhandelsstufe: Jeder, der Kohle, Gas und Öl in Verkehr bringt, braucht für seine Verkäufe Zertifikate entsprechend der Menge der deshalb zu erwartenden CO2-Emissionen.

Damit hat man es sehr einfach. Man bekommt für jede CO2-Emission einen Preis. So ergeben sich Anreize, auf die Verbrennung zu verzichten, und zwar für jeden Menschen, jeden Industriebetrieb und jeden einzelnen Staat auf der Erde. Das ist Grundbedingung für eine klimafreundliche Entwicklung und für erfolgreichen Klimaschutz.

sueddeutsche.de: Das Recht auf die gleiche Emission von Kohlendioxid für alle Menschen klingt gerecht. Wieso wird das Konzept in Durban nicht diskutiert?

Wicke: Es besteht noch wenig Bereitschaft, über Änderungen an dem anfänglich ja mit großer Euphorie eingeführten Kyoto-Protokoll grundsätzlich nachzudenken. Das gilt zumindest für diejenigen, die seit Jahren zu jeder Klimakonferenz fahren, an den Stellschrauben des bestehenden Systems drehen und versuchen, es zu verbessern.

Manchen Politikern dämmert es langsam

sueddeutsche.de: Welche Chancen sehen Sie dann für die "Zwei-Grad-max-Strategie"?

Wicke: Zumindest in Deutschland und der EU bestehen gewisse Chancen, dass über unser Konzept nachgedacht wird. Den wirklich engagierten Politikern dort dämmert es langsam, dass das bestehende System aus Konstruktionsgründen tatsächlich in den "katastrophalen Klimaveränderungen" mündet, vor denen die Internationale Energiebehörde IEA warnt.

Die EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard hat im November erklärt, es sei schon fast nicht mehr wichtig, ob das Kyoto-Protokoll verlängert wird. Und Bundesumweltminister Norbert Röttgen weist in aktuellen Interviews auf eine Gleichverteilung der Rechte hin, was übrigens auch Bundeskanzlerin Angela Merkel bereits vor Jahren bei einer Japanreise getan hat. Und das ist eines der Kernpunkte unseres Konzepts.

sueddeutsche.de: In Deutschland und der EU setzt man neben weltweiten Vereinbarungen offenbar vor allem auf die Entwicklung und den Einsatz alternativer Energie.

Wicke: Aber wenn wir in Europa weniger Kohle, Gas und Öl verbrauchen, dann sinkt der Preis weltweit und die Nachfrage in anderen Staaten wächst. Die europäischen Anstrengungen werden dadurch kompensiert. Sie wirken sich zwar positiv aus auf die Technologieentwicklung, die Arbeitsplätze und verringern die Importabhängigkeit.

Aber der Einsatz der alternativen Energiequellen ist in den meisten Bereichen wesentlich teurer als die Verwendung fossiler Brennstoffe und muss bisher subventioniert werden. Wir haben unter anderem deshalb deutlich höhere Energiepreise als etwa Indien und China. Wenn die weitermachen mit der billigen Kohleverstromung ohne CO2-Abscheidung, haben sie längerfristig einen Wettbewerbsvorteil. Und selbst wenn Strom aus Wind und Sonne billiger wird, können die Kohle-Förderer ihre Preise auch noch senken. Diese Probleme gäbe es nicht mehr, wenn wir dem Kohlendioxid-Ausstoß weltweit einen Preis geben.

sueddeutsche.de: Die Entwicklungsländer müssten doch ein besonderes Interesse an dem Konzept haben.

Wicke: Natürlich. Ihnen entstünden große Vorteile und sie wären nicht mehr auf den mit "milden Klimaschutzgaben" der Industrieländer gefüllten Green Climate Funds angewiesen. (Der Klimafonds soll armen Ländern helfen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen; Anm. d. Red.) Sie würden für ihr individuelles klimafreundliches Verhalten belohnt. Und Schwellenländern wie China könnte man für die ersten Jahre Sonderkonditionen einräumen.

Auf jeden Fall darf die bisherige kollektive Verweigerung der Erkenntnis, dass mit dem bestehenden Weltklimaschutzsystem ein wirklicher Klimaschutz überhaupt nicht möglich ist, nicht so weitergehen.

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