UN-Konferenz zur Artenvielfalt:Kampf um die letzten Schätze der Natur

Neben dem Schutz der bedrohten Flora und Fauna bedarf es einer grundsätzlichen Einigung der Staatengemeinschaft: Wer soll in welchem Umfang von der Nutzung der weltweit begrenzten Ressourcen profitieren?

Wolfgang Roth

Das Vermächtnis von Rio: Unter den Dachbegriffen "Umwelt" und "Entwicklung" stand 1992 das Gipfeltreffen der Vereinten Nationen in Brasilien. Das sollte ein Signal dafür sein, dass echter Fortschritt nur möglich ist, wenn der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit stattfindet. Dies im globalen Maßstab zu gewährleisten, davon ist die Völkergemeinschaft weit entfernt in einer Welt, die nach wie vor von Kriegen und einem starken Wohlstandsgefälle geprägt ist - einer Welt, die auch auf zunehmendem Raubbau endlicher Ressourcen basiert.

UN-Konferenz zur Artenvielfalt: Ökosysteme wie der Amazonaswald sollten besser geschützt werden.

Ökosysteme wie der Amazonaswald sollten besser geschützt werden.

(Foto: Foto: dpa)

Ein abstraktes Vermächtnis bedarf konkreter, vor allem verbindlicher Ziele. Dem sollten die in Rio vereinbarten Konventionen dienen, von denen das Klima-Rahmenabkommen im Licht der Öffentlichkeit steht, das zur Erhaltung der biologischen Vielfalt dagegen im Schatten.

Der Fußabdruck der Menschheit drängt die Natur in immer kleinere Reservate

Zumindest in Deutschland könnte sich das ändern, wenn die Bundesregierung von 19. bis 30. Mai erstmals als Gastgeberin fungiert. Etwa 5000 Teilnehmer aus 190 Staaten werden erwartet, überwiegend aus den Ländern, die das Übereinkommen ratifiziert haben, das unter dem Kürzel CBD firmiert (United Nations Convention on Biological Diversity). Das Sekretariat der Konvention ist im kanadischen Montreal angesiedelt und wird seit 2006 geleitet von dem algerischen Diplomaten Ahmed Djoghlaf.

Zu verbindlichen Zielen aber ist der Weg noch weit, wenn sich die Staaten nun zur neunten CBD-Konferenz treffen. Zehn Jahre nach Rio wurde auf dem "Erdgipfel" in Johannesburg zwar bekräftigt, dass bis zum Jahr 2010 der Artenschwund signifikant gebremst werden soll, die Europäische Union will den rapiden Verlust tierischer und pflanzlicher Vielfalt dann sogar gestoppt haben.

Beides ist aus heutiger Sicht unmöglich. Kein Vertragsstaat muss aber befürchten, deshalb zur Verantwortung gezogen zu werden. Anders als das Washingtoner Artenschutzabkommen, das den Handel mit bedrohter Flora und Fauna beschränkt, sieht die Konvention keine Sanktionen vor. Sie ist in weiten Strecken ein Appell an den guten Willen.

Das hat viele Gründe, nicht nur den, dass die alle zwei Jahre tagende Konferenz nach dem Prinzip der Einstimmigkeit funktioniert, sich also auf den allerkleinsten gemeinsamen Nenner einigen muss. Im Spiel sind mächtige, weltweit agierende oder national bedeutsame Interessengruppen, im Spiel ist auch sehr viel Geld. Der Profit, der im Handel mit Holz, Getreide, Fleisch und Arzneipflanzen erzielt wird, die Siedlungen und Straßen, die von einer wachsenden Bevölkerung beansprucht werden, das alles nagt unablässig und in zunehmendem Tempo am natürlichen Reichtum.

Dass Ernährungskrisen und der Bedarf an energieliefernden Pflanzen in scharfen Konflikt mit artenreichem Land geraten, macht die Sache nicht eben leichter. Der Fußabdruck der Menschheit auf diesem Globus ist mittlerweile so groß, dass die Natur in immer kleinere Reservate gedrängt wird wie einst die Indianer Nordamerikas.

Die Weiterentwicklung der Biodiversitäts-Konvention auf den reinen Schutzzweck zu beschränken, wäre allerdings grundfalsch. Dieses Ziel hat sie auch, wobei die Erhaltung der Artenvielfalt nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern grundsätzlich auch Mikroben und Pilze einschließt. Sie umfasst ferner Ökosysteme und eingrenzbare Lebensräume sowie das gesamte genetische Potential, das in der Erdgeschichte aufgebaut wurde, das teilweise schon verloren oder nur noch in Genbanken erhalten ist.

Die Zielrichtung des Abkommens ist aber viel breiter angelegt, und das erschwert den mühsamen Verhandlungsprozess zusätzlich. Langfristig soll es gelingen, allgemeinverbindliche Regeln für die nachhaltige Nutzung der Natur zu schaffen. Das bedeutet, nicht mehr zu entnehmen, als nachwachsen kann. Es bedeutet auch, den Vorteil, der sich aus diesem Nutzen ergibt, gerecht zu verteilen.

Im internationalen Jargon trägt dieses Kapitel den Namen ABS (Access and Benefit Sharing) und heißt so viel wie "Zugang zu Ressourcen und angemessene Beteiligung an den daraus entstehenden Produkten". Hintergrund ist, dass der Großteil der Schätze, die zur Heilung von Krankheiten beitragen, noch gar nicht gehoben ist; sie lagern aber überwiegend in ärmeren Ländern. Über die Forschungslabore und das Investitionsvermögen, die zur Entwicklung dieser Wirkstoffe nötig sind, verfügen dagegen Konzerne in den Industriestaaten.

Patentrecht steht einem gerechten Vorteilsausgleich entgegen

Bisher gilt nur, dass die Geberländer ihr Einverständnis erklären müssen. Wie und in welcher Höhe sie an den Erträgen in den Nehmerländern zu beteiligen sind, ist dagegen genausowenig geregelt wie der Fall, dass dieses Einverständnis gar nicht eingeholt wurde. Die Beteiligung erfolgt manchmal auf freiwilliger Basis. Häufig aber werden die Rohstoffe aus der Natur und das mit ihnen verbundene traditionelle Wissen ohne Gegenleistung genutzt; Umweltschutz- und Entwicklungshilfe-Organisationen prangern seit langem solche Fälle von "Biopiraterie" an.

Kampf um die letzten Schätze der Natur

Soeben hat eine südafrikanische Landgemeinschaft Rechtsmittel gegen die Patentrechte eingelegt, die die Vermarktung der Kapland-Pelargonie ermöglichen. Das Extrakt der Pflanze wird in Deutschland unter dem Namen "Umckaloabo" vertrieben und als Mittel mit antibiotischer Wirkung stark nachgefragt. Dabei zeigt sich exemplarisch ein elementarer Konflikt. Das internationale Patentrecht hat eine starke Verankerung in den Regularien der Welthandelsorganisation und steht einem wie auch immer gestalteten Vorteilsausgleich in der Konvention entgegen. Das erklärt den hinhaltenden Widerstand vieler Staaten, vor allem von Kanada, Japan, Australien und Neuseeland. Die USA haben das Abkommen bisher gar nicht ratifiziert, spielen aber im Verhandlungsprozess eine überaus aktive Rolle im Hintergrund.

Die afrikanische Teufelskralle wird schon länger als Mittel gegen Gelenkschmerzen genutzt, der ursprünglich aus dem indischen Raum stammende Neembaum als Pflanzenschutzmittel. Das Wissen um solche Wirkungen ist uralt, es wurzelt weltweit im Erfahrungsschatz indigener Volksgruppen. Ihnen sollen nach der Intention der Konvention direkte Vorteile aus der Nutzung dieses Wissens erwachsen. Abgesehen vom rein deklaratorischen Charakter führt diese Regel in ein Dilemma. Mit wem sollen Pharmakonzerne verhandeln, wenn sie Naturschätze der Dritten Welt ausbeuten? Sie werden sich im Zweifel nicht in nationale Verteilungskämpfe einmischen, sondern sich an die jeweiligen Regierungen halten. Dies sind aber oft just die Instanzen, die ihren indigenen Volksgruppen planmäßig Rechte vorenthalten.

Die deutsche Regierung, fachlich vertreten durch die Ministerien für Umwelt und wirtschaftliche Zusammenarbeit, wird als Gastgeberin auf Fortschritte drängen. Ein Schwerpunkt wird das Knüpfen eines globalen Netzes von Schutzgebieten sein, für das auch private Sponsoren geworben werden sollen. Nach einem Arbeitsauftrag der CBD müsste ein solches Netz an Land schon im Jahr 2010 bestehen, jedenfalls auf dem Papier. Für Schutzgebiete auf hoher See liegt die zeitliche Zielmarke im Jahr 2012.

Klar ist, dass ein Programm, wie es die Europäer mit ihrem Konzept "Natura 2000" anstreben, auf internationaler Ebene zu ehrgeizig und damit chancenlos ist. Klar ist aber auch: Um wenigstens die Brennpunkte des weltweiten Artenschwundes zu löschen, um die Naturzerstörung in den Wäldern des Tropengürtels zu stoppen, müssen die jeweiligen Länder eine angemessene Entschädigung erhalten. Der Umweltfonds der UN reicht dafür bei weitem nicht aus. Vielleicht gelingt es, Mittel aus den Einnahmen einzuspeisen, die die Versteigerung von Verschmutzungsrechten im Rahmen des Klima-Emissionshandels erbringt.

Der lange Weg zu einem Netz von Schutzgebieten an Land und auf hoher See

Ein Thema hat in den zwei Jahren seit der letzten Konferenz im brasilianischen Curitiba gehörig an Brisanz gewonnen: der Anbau von Energiepflanzen als Ersatz für das immer knappere und immer teurere Erdöl. Selten war die Artenvielfalt so vielfältig bedroht. Durch Monokulturen, durch endlose Zuckerrohr-, Mais- und Rapsfelder. Durch Palmölplantagen, wo vorher ursprünglicher Wald wuchs. Durch Sojakulturen für tierisches Futter, die im Verdrängungswettbewerb mit Energiepflanzen vorher ungenutztes Land überziehen. Und schlicht und einfach durch den Zwang, die Ernährung der weiter viel zu rasch wachsenden Weltbevölkerung auf immer begrenzterem Raum sicherzustellen.

Der CBD-Exekutivsekretär Ahmed Djoghlaf nennt die Bonner Konferenz ein "historisches Ereignis" und erhofft sich einen "Weckruf" im Verhandlungsprozess, einen Schub, wie ihn im letzten Jahr die Klimaverhandlungen bekamen. Der wurde von den immer lauteren Warnungen der Klimaforscher ausgelöst, maßgeblich aber auch vom Report des britischen Ökonomen Nicholas Stern erzeugt, der eine nüchterne Botschaft hatte: Unterlassener Klimaschutz kommt teurer als Klimaschutz.

Für diese Konferenz sind erste Teile einer vergleichbaren Analyse angekündigt: Wie teuer kommt es die Menschheit zu stehen, wenn die Artenvielfalt weiter so drastisch abnimmt? Die Rechnung könnte unbezahlbar werden. Ohne eine solche Bilanz, die auf Mark und Pfennig, auf Euro und Dollar aufbaut, ist im internationalen Umweltschutz nur schwer etwas zu bewegen.

Ohne Bewegung aber wird diese Konferenz so enden wie zahlreiche vor ihr: Es wird eine Weichenstellung geben, auf die wieder eine Weichenstellung folgt, ohne dass sich der Zug überhaupt in Bewegung setzt und dem Ziel nähert.

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