Naturschutz:Die Welt berät ihren Fahrplan aus der Umweltkrise

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Ein junger Nazcatölpel auf der Insel Malpelo im Ostpazifik. (Foto: LUIS ACOSTA/AFP)

Ab Montag zieht die COP-16-Konferenz in Kolumbien Bilanz, wie es um den globalen Naturschutz steht. Die wichtigsten Themen und Streitpunkte im Überblick.

Von Thomas Krumenacker

Zwei Jahre nach der Verabschiedung des Weltnaturschutzabkommens zieht ein UN-Gipfel von Montag an in Cali, Kolumbien, erstmals Zwischenbilanz. Wo stehen die Staaten der Erde beim Versuch, Naturzerstörung und Artensterben bis 2030 zu stoppen? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur UN-Vertragsstaatenkonferenz COP 16 im Überblick.

Was sind die Ziele des Weltnaturabkommens?

Angetrieben von der Einsicht, dass der kritische Zustand der Natur auch zu einer Gefahr für das Überleben der Menschheit wird, brachten fast alle Staaten der Erde Ende 2022 in Montreal gemeinsam das erste weltweit verbindliche Abkommen zum Schutz der Natur auf den Weg. Das „Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework“ hat zum Ziel, bis 2030 das Artensterben und die Zerstörung von Ökosystemen zu stoppen und die Natur auf den Pfad der Erholung zu bringen.

Konkret verpflichteten sich die Staaten auf die Umsetzung von 23 Zielen. So müssen in den kommenden gut fünf Jahren mindestens 30 Prozent der Land- und der Meeresfläche des Planeten unter wirksamen Naturschutz gestellt werden, ein Drittel der bereits geschädigten Ökosysteme soll renaturiert werden. Land- und Forstwirtschaft sollen ökologischer ausgerichtet und die Verschmutzung mit Plastik und anderen Schadstoffen drastisch verringert werden. In Cali beraten mehr als 20 000 Teilnehmer der COP über weitere Schritte zur Umsetzung des Vertrags.

Warum wird die Biodiversitätskrise als so gefährlich eingeschätzt wie der Klimawandel?

Der Verlust von Lebensräumen und Artenvielfalt vollzieht sich nach Analyse des Weltbiodiversitätsrates so schnell wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Die Experten sehen eine Million Arten vom Aussterben bedroht. Dieser Riss im Netz des Lebens bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Ökosysteme, in denen jede Tier- und Pflanzenart eine Funktion hat. Geschwächte Wälder speichern weniger Kohlenstoff, ausgelaugte Böden mit weniger Mikroorganismen liefern weniger Lebensmittel. Das Weltwirtschaftsforum in Davos sieht Umweltzerstörung und Übernutzung des Planeten als langfristig größte Bedrohung für die Menschheit an. Auch die Nato kommt in einer strategischen Gefahrenanalyse zu dem Ergebnis, dass der Verlust der biologischen Vielfalt zu einer Gefahr für die weltweite Nahrungsmittelproduktion und die Wasserversorgung geworden ist.

Was ist das wichtigste Thema in Cali?

Um den knappen Zeitrahmen zur Umsetzung des Montreal-Abkommens bis 2030 einhalten zu können, sollten alle Länder bis Cali konkrete Fahrpläne vorlegen, wie sie ihre eigene Umweltpolitik mit den Montreal-Zielen in Einklang bringen wollen. Doch von den 196 Vertragsstaaten legten bis kurz vor Konferenzbeginn nur gut zwei Dutzend Staaten solche Pläne vor. „Wir müssen die Umsetzung beschleunigen, wir brauchen mehr Tempo“, sagt die Präsidentin der COP, Astrid Schomaker. Deshalb wird eine der wichtigsten Aufgaben während des Treffens sein, die Staaten auf eine möglichst rasche Nachlieferung ihrer Strategien zu verpflichten.

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Halten die reichen Staaten ihre Versprechen?

Traditionell ist die Frage nach der Finanzierung des Naturschutzes eines der bestimmenden Themen der Verhandlungen. 200 Milliarden Dollar sollen bis 2030 jedes Jahr fließen, vor allem zugunsten der armen Länder. Wie in der Klimapolitik fordern die noch sehr artenreichen Entwicklungsländer einen Ausgleich dafür, dass sie zur Bewahrung der biologischen Vielfalt auf Wertschöpfung durch die Zerstörung ihrer Naturschätze verzichten. Die Industriestaaten haben sich in Montreal verpflichtet, ihnen als ersten Schritt ab 2025 mit jährlich 20 Milliarden Dollar beim Schutz der Natur unter die Arme zu greifen. In Cali müssen dazu Fortschritte erreicht werden, denn noch klafft eine Lücke von mehr als vier Milliarden. „Wir brauchen mehr Geldzusagen, wenn wir das Abkommen umsetzen wollen“, warnt Schomaker.

Alte Fehler vermeiden

Die Weltgemeinschaft hat sich schon einmal ambitionierte Ziele zum Schutz ihrer natürlichen Lebensgrundlagen gesetzt – und sie allesamt verfehlt. Als Lehre aus dem Scheitern der sogenannten Aichi-Ziele soll dem Montreal-Abkommen ein verbindliches Regelwerk zur Überprüfung der Fortschritte an die Seite gestellt werden. Die Verhandlungen dazu müssen in Cali abgeschlossen werden. Es geht darum, einheitliche und aussagekräftige Indikatoren zu finden, die Fortschritte oder deren Ausbleiben deutlich machen. So soll etwa der Prozentsatz zertifizierter Flächen als Indikator für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung dienen.

„Rio Trio“ – Klima- und Naturschutz besser verbinden

In diesem Herbst finden kurz nacheinander die Vertragsstaatenkonferenzen aller drei beim UN-Erdgipfel in Rio beschlossenen Umweltkonventionen statt. Neben der Naturkonferenz die Weltklimakonferenz und die COP gegen Wüstenbildung und für gesunde Böden. Nun soll auch der Kampf gegen sie stärker aufeinander abgestimmt werden. So hilft der Schutz alter Wälder, von Ozeanen und Mooren sowohl dem Klimaschutz als auch dem Erhalt der Artenvielfalt. Diese Ökosysteme sind gleichzeitig riesige Kohlenstoffspeicher und Hotspots der Artenvielfalt. Auf Initiative der gastgebenden kolumbianischen Umweltministerin Susana Muhamad sollen in Cali die Ziele der globalen Gipfel für Klima und Natur enger aufeinander abgestimmt werden. Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke will die Verzahnung der UN-Naturkonventionen in Cali und beim anschließenden Klimagipfel voranbringen.

Wie steht Deutschland da?

Deutschland ist Musterschüler und Sitzenbleiber zugleich. Mit zuletzt knapp 1,4 Milliarden Euro für Naturschutz in Entwicklungsländern steht Deutschland an der Spitze aller Staaten. Nur Norwegen und Schweden würden gemessen an ihrer Bevölkerungszahl, der Wirtschaftskraft und dem ökologischen Fußabdruck einen ähnlich fairen Beitrag zur Finanzierung des weltweiten Naturschutzes leisten, ermittelte der US-Thinktank ODI in seinem „Fair Share Index“. Mit Blick auf den Zustand der Natur in Deutschland sieht das Bild weniger strahlend aus. Der Wald in Deutschland ist in den vergangenen Jahren erstmals vom Kohlenstoffspeicher zur Treibhausgasquelle geworden, 60 Prozent der Lebensraumtypen sind in einem schlechten Zustand, und die Vogelbestände im Agrarland sind in wenigen Jahrzehnten um die Hälfte eingebrochen. „Den Ökosystemen geht die Puste aus“, sagt Klimaforscher Hans-Otto Pörtner.

In Cali kann die deutsche Delegation nicht als Primus glänzen. Weil die schon vor Wochen von Bundesumweltministerin Steffi Lemke vorgelegte neue Biodiversitätsstrategie bis zuletzt von anderen Ministerien blockiert wird, reist die deutsche Delegation ohne den geforderten Masterplan für den Weg aus der Naturkrise nach Kolumbien.

Wie hat sich die Natur seit Verabschiedung des Weltnaturabkommens entwickelt?

Die Zahl der als bedroht eingestuften Tier- und Pflanzenarten nahm nach einer Analyse der zwischenstaatlichen Internationalen Naturschutzunion IUCN in den vergangenen beiden Jahren um vier Prozent zu. Ungeachtet internationaler Zusagen hält auch der Raubbau an den Wäldern der Erde an. Allein im vergangenen Jahr wurden fast 64 000 Quadratkilometer Wald gerodet oder gingen durch Brände verloren, davon einige der artenreichsten Waldgebiete der Erde. Dem Ziel, in gut fünf Jahren 30 Prozent der Erde und der Meere unter wirksamen Schutz zu stellen, nähert sich die Weltgemeinschaft nur im Schneckentempo an.

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