UN-Artenschutzkonferenz:Die Bemessung der Welt

Lesezeit: 3 min

Wie viel kostet die Vernichtung der Arten, wie viel ihr Schutz? Um der Debatte neuen Schwung zu geben, errechnen Ökonomen den Wert der Natur.

Michael Bauchmüller

Bonn - Was der Masoala-Nationalpark auf Madagaskar mit der westlichen Welt zu tun haben soll, erschließt sich vielleicht nicht auf den ersten Blick.

Madagaskar-Lemuren. "Die Märkte sind unfähig, mit der Zerstörung der Wälder umzugehen", sagt Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogramms. (Foto: Foto: AP)

Da stehen, zum Beispiel, ziemlich viele Bäume. Die speichern Kohlenstoffe und mindern so den Treibhauseffekt - zum Nutzen aller Welt. Da wächst unter anderem die seltene Pflanze Madagaskar-Immergrün, aus der Pharmafirmen in Europa Krebsmedikamente herstellen.

Glaubt man Ökonomen, ist der Park für die Welt 116.497.800 Dollar wert, mal grob überschlagen. Genau lässt sich das ohnehin nicht beziffern, aber das ist der Bonner Artenschutzkonferenz an diesem Donnerstag egal, denn es geht ums Prinzip.

"Der Schutz der Natur muss Zinsen bringen", sagt Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). "Diese Zinsen fehlen heute."

Was aber ist die Natur wert? Wie viel kostet ihre Vernichtung, wie viel ihr Schutz? Und wer soll das bezahlen? Noch wenige Stunden bleiben der Bonner Artenschutzkonferenz nun für echte Fortschritte, und alle wichtigen Kompromisse scheitern bislang an eben diesen Fragen.

Denn abgesehen von den Milliarden-Initiativen aus Deutschland und Norwegen zeigen die Industriestaaten wenig Interesse, den Schutz der Natur ernsthaft zu verstärken.

Am Donnerstag fiel Pavan Sukhdev die Aufgabe zu, den Blick auf die Dinge zu ändern. Nach dem G-8-Gipfel in Heiligendamm hatten EU-Kommission und Bundesregierung den Banker beauftragt, den Wert der Natur zu bemessen.

Kurz vor dem Ende der Konferenz legte Sukhdev einen ersten Zwischenbericht vor. Mit konkreten Zahlen ist Sukhdev darin noch recht sparsam, die Botschaften aber sind klar: "Wir stellen fest, dass die Artenvielfalt gerade deshalb verlorengeht, weil es keine Bewertung der Natur gibt", sagt Sukhdev. "Aber wir kämpfen immer noch darum, diesen Wert der Natur herauszufinden."

Teure Entwaldung

Bislang lässt sich das nur erahnen - oder für Einzelbeispiele überschlagen. Ginge die Welt weiter so sorglos mit Wäldern um wie bisher, müsste sie bis 2050 auf sechs Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts verzichten, legt Sukhdev dar.

Zum einen, weil vernichtete Wälder keine Erträge mehr abwerfen, zum anderen, weil dies den Klimawandel ebenso beschleunigt wie die Zerstörung von Böden; weil ganze Landstriche weniger Schutz vor Fluten und Überschwemmungen finden.

Den Wert der Meere für die Menschheit bezifferte die Umweltstiftung WWF unlängst auf kaum fassbare 21 Billionen Dollar im Jahr. "Der wirtschaftliche Wert ist enorm, wenngleich letztlich unschätzbar", sagt Christian Neumann vom WWF-Meereszentrum in Hamburg. Das Dilemma ist sehr grundsätzlicher Natur.

"Die Märkte sind unfähig, mit dieser Zerstörung umzugehen", klagt Achim Steiner, Chef des UN-Umweltprogramms. "Der ökonomische Kompass, der uns bisher geleitet hat, ruft nach dramatischer Korrektur." Der nämlich zeigt meistens an, dass die Nutzung der Natur für den Menschen lohnend sein kann, selbst wenn dabei die Natur verlorengeht. Lohnend wohlgemerkt nur auf kurze Sicht.

Was hat der Masoala-Nationalpark auf Madagaskar mit der westlichen Welt zu tun? (Foto: Grafik: SZ)

Sukhdev, der als Investment-Banker für die Deutsche Bank arbeitet, soll deshalb in den nächsten Monaten und Jahren nach Wegen suchen, den "wahren", den langfristigen Wert der Natur auf die Marktpreise aufzuschlagen. Vorbild ist der Emissionshandel, der derzeit dem Klimaschutz einen Wert geben soll.

Innerhalb der EU müssen viele Unternehmen Emissionszertifikate besitzen, wollen sie weiter das klimaschädliche Kohlendioxid ausstoßen. Weil die Menge dieser Emissionsrechte begrenzt ist, bekommt die Belastung des Klimas einen künstlichen Preis. Wie ein ähnliches Instrument für den Schutz von Tieren, Pflanzen oder deren Lebensräume aussehen kann, ist freilich noch völlig offen.

Früher als Spinnerei abgetan

Umweltschützer sind geteilter Meinung. "Die Ökonomisierung der Natur ist kein Königsweg" mahnt Jörg Roos, Naturschutzexperte beim WWF. "Wenn am Ende nur geschützt wird, was Geld bringt, wäre das fatal." Andere sind begeistert, hoffen auf eine neue Debatte.

"Früher wurde der Einsatz für die Biodiversität oft als Spinnerei abgetan", sagt BUND-Chef Hubert Weiger. "Eine solche Studie war überfällig, um den gewaltigen Wert der Natur aufzuzeigen." Und auch der Umweltminister ist überzeugt, dass der ökonomische Ansatz richtig ist: "In ein paar Jahren ist diese Debatte vielleicht der wichtigste Beitrag zum Schutz der Artenvielfalt", schwärmt Gabriel.

Schätzungsweise 392 Kinder, so heißt es in Sukhdevs Zwischenbericht, sind im Großraum London an Leukämie erkrankt. Noch 1970 hätten im Schnitt nur 127 von ihnen überlebt. Heute sind es 312. Sie bekommen ein Medikament, das mit Hilfe von Immergrün hergestellt wird - aus Madagaskar.

© SZ vom 30.05.2008/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: