Umweltzerstörung:Dicke Luft im alten Rom

Kolosseum in Rom

Kolosseum in Rom

(Foto: dpa)

Die Umweltsünden der Menschheit reichen erschreckend weit zurück.

Von natur-Autorin Karin Schlott

Mit einem ohrenbetäubenden Krachen stürzt der Berg in sich zusammen und fegt eine gewaltige Druckwelle über die Hügel. "Es übertrifft das Werk von Giganten", beschreibt der Römer Plinius, was sich vor seinen Augen abspielt. Der Legende nach hatten die Giganten einst ganze Berge ausgerissen und gegen Zeus und seine Götterhorde geschleudert. Im 1. Jahrhundert n. Chr. sind es aber weder revoltierende Mythenmonster noch Naturgewalten, die den Berg im Nordwesten der Iberischen Halbinsel zu Fall bringen - sondern Hundertschaften von Bergarbeitern auf der Suche nach Gold.

Sie durchlöcherten den felsigen Grund, bis er zusammenbrach. "Wie Sieger blicken sie auf den Sturz der Natur", kommentiert Plinius das Geschehen. Der Naturhistoriker, den der römische Kaiser als Minenverwalter in die hispanische Provinz schickte, meint das allerdings als Kritik.

Aus natur 02/2016

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Allein aus Luxussucht würden seine Mitmenschen die Natur ausbeuten. "Ständig wird die Erde gequält, ihrer Erze, ihres Holzes, der Gesteine, des Feuers und des Getreides wegen", klagt Plinius. "Was sie auf ihrer Oberfläche zu ertragen hat, mag man noch akzeptieren, aber wir durchwühlen ihre Eingeweide, graben uns durch ihre Adern aus Gold und Silber, durch Kupfererz und Blei."

100 000 Kilometer gepflasterte Straßenzüge durchzogen das Imperium Romanum

Auch aus dem zerschlagenen Berg im heutigen Las Médulas gewinnen die Arbeiter Gold: Oberhalb des Trümmerfelds stauen sie in großen Becken Wasser, das sie nun über Brücken und Kanäle hinabrauschen lassen. Die Geröllsuppe fließt talwärts, wo die Bergleute das Edelmetall schließlich aus Waschanlagen schöpfen.

Trotz der Kritik von Plinius sahen seine Zeitgenossen keinen Anlass, die Minenarbeiten einzuschränken. Im Gegenteil: Vor fast 2000 Jahren hatten die Römer weite Teile Europas, Nordafrikas und des Orients erobert. Der Bedarf an Metall für Waffen, Werkzeuge und Münzgeld, aber auch an Holz als Bau- und Brennstoff, an Gestein für Gebäude und Straßen war enorm hoch. Fast 100 000 Kilometer an gepflasterten Straßenzügen durchquerten das Imperium Romanum.

Eine Legion mit 5500 Soldaten benötigte geschätzte 38 Tonnen Eisen für ihre Ausrüstung - bei circa 35 Legionen ergibt das ein Metallgewicht von ungefähr 20 Leopard-2-Panzern. Und eine einzelne Großtöpferei mit 15 Brennöfen verfeuerte bis zu 360 Kubikmeter Holz im Jahr. Das entspricht heute dem jährlichen Heizölverbrauch von 20 Einfamilienhäusern.

Umweltzerstörungen sind Teil der Menschheitsgeschichte

Für die Expansion des Imperiums mussten eben Wälder gerodet, Erze geschürft, Städte gebaut, Felder bestellt und Aquädukte errichtet werden. Und technologische Entwicklungen - neue Maschinen, Metalle und Mörtelmischungen - machten es möglich. Die Römer waren aber nicht weniger und nicht mehr Umweltfrevler als die Menschen in den Epochen zuvor und danach. Umweltzerstörungen sind Teil der Menschheitsgeschichte.

Ebenso der Versuch, spürbare Folgen für Leben und Gesundheit zu revidieren. Und ebenso durchschauten die Menschen oft nicht, dass sie mit dem Raubbau an der Natur bisweilen eine ökologische Katastrophenkaskade auslösten.

Forscher vermuten, dass bereits Jäger und Sammler Flächen brandrodeten, um lichte Jagdgründe zu schaffen. "Einen gravierenden Wendepunkt brachte jedoch die sogenannte Neolithische Revolution", erklärt Archäologe Rainer Schreg vom Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) in Mainz. Als Neolithische Revolution bezeichnen Wissenschaftler eine weitreichende Änderung der Lebensweise: Wenn umherziehende Jäger und Sammler sesshaft werden, weil sie - statt Früchte zu sammeln - Felder bestellen und Rinder, Ziegen und Schweine züchten.

Homo sapiens begann mehr und mehr seine Umwelt zu gestalten

Dieser Prozess dauerte mehrere Jahrtausende und zählt zu den ureigenen Wesenszügen des Menschen. Denn die Steinzeitrevolution riefen Gruppen unabhängig voneinander in verschiedenen Regionen der Welt aus: vor etwa 12 000 Jahren im Nahen Osten, vor 9000 Jahren in China und vor 7000 Jahren in Mittelamerika. "Der Prozess hat das Verhältnis von Mensch und Umwelt entscheidend gewandelt", erklärt Rainer Schreg.

Vom Bergbau bis zur Waldrodung - der Homo sapiens begann mehr und mehr seine Umwelt zu gestalten. Wie im 5. Jahrtausend v. Chr. bei Blaubeuren auf der Schwäbischen Alb: "Dort wurde auf einem Höhenrücken Feuerstein abgebaut", so Schreg. "Heute steht dort Wald, aber wie mir der Förster sagte, kein besonders guter, weil der Boden so schlecht ist." Der Grund dafür ist fast 7000 Jahre alt: Die einstigen Siedler hatten auf der Suche nach Feuerstein die Erde umgegraben und eine Geröllhalde zurückgelassen, die bis heute die Bodenqualität beeinträchtigt.

Die Eingriffe damals, in der Antike und später im Mittelalter erreichten jedoch nie das Ausmaß der industrialisierten Neu- und Jetztzeit. "Das liegt schlicht daran, dass es nicht so viele Menschen gab wie heute", begründet Gian Franco Chiai den Unterschied. Ähnlichkeiten zu modernen Verhaltensweisen gäbe es allerdings schon, findet der Althistoriker von der Freien Universität Berlin. "Dass Menschen ihre Umwelt unbekümmert verschmutzen, dabei spielen Bequemlichkeit und schlechte Gewohnheiten eine Rolle." Das ist heute so und das galt schon damals.

Müll kippte man auf die Straße oder warf ihn aus dem Fenster

Beispiel Wasser bei den Römern: Was in Städten und Dörfern an Abfällen anfiel, entsorgten die Bewohner in die Flüsse. In Rom etwa durchspülte ein Kanalisationssystem - die Cloaca Maxima - Teile der Metropole, inklusive der Latrinenfüllungen. Endstation der faulen Brühe war der Tiber. Müll kippte man auf die Straße oder warf ihn aus dem Fenster. Nachts bangte der Satirendichter Juvenal gar um sein Leben, da es in Roms Straßen jederzeit kaputte Töpfe regnen konnte. "Hinter jedem offenen Fenster lauert der Tod", witzelte Juvenal.

Schriftsteller wie er beschreiben, dass in der ewigen Stadt auch immerwährendes Verkehrschaos herrschte, unablässig Lärm dröhnte und Schweine ihr Geschäftchen aufs Pflaster plumpsen ließen. Von den Straßen wusch schließlich der Regen Abfälle und Kot in den Tiber.

Nicht nur in Rom, vielerorts wuchsen sich verschmutzte Flüsse zu einem Gesundheitsproblem aus. Antike Autoren berichten von Massenvergiftungen mit zahlreichen Toten oder warnen davor, Fische aus den Gewässerkloaken zu essen. Plinius fasst zusammen: "Wir vergiften die Flüsse und die Elemente der Natur und selbst das, was uns Leben lässt, die Luft, verderben wir." Denn um die Luftqualität war es in den Städten ebenfalls schlecht bestellt. In den alten Schriften klagen die Römer über Smog.

Zur Luftverschmutzung trug die Schwerindustrie bei

Aus der Kanalisation stiegen faulige Dämpfe auf, Heizöfen in Häusern und öffentlichen Bädern produzierten Rauch, schwärzten Luft und Gebäude und vor den Stadttoren verbreiteten Leichenverbrennungen ein stechendes Odeur. Hinzu kamen die Abgase aus Töpfereien, Schmieden, Färbereien und Garküchen. Wer es sich leisten konnte, setzte sich im Sommer aus der Millionenmetropole ab und schnupperte Frischluft in seiner Landvilla am Golf von Neapel.

Zur Luftverschmutzung trug auch die Schwerindustrie bei, genauer die Verhüttung von Eisen-, Kupfer- oder Bleierzen. Wie stark die Luft während der Antike belastet war, konnten Forscher etwa an grönländischen Eisbohrkernen ablesen. Aus den 7700 Jahre alten Eisschichten ermittelten sie die atmosphärischen Bleikonzentrationen zu bestimmten Zeiten. Zwischen 400 v. Chr. und 300 n. Chr., also während der griechisch-römischen Antike, lag sie besonders hoch und überstieg das Vierfache der natürlichen Konzentration.

Die Römer produzierten 80 000 Tonnen Blei pro Jahr für Wasserrohre, Trinkgeschirr, Schminke, Verhütungsmittel und Dichtungsmaterial - obwohl dessen Giftigkeit bekannt war. Vor allem an Bergarbeitern beobachtete man Gesundheitsschäden.

Sichtbare Erkrankungen zeigten nur die Minenarbeiter

Freilich reagierten die Behörden auf derlei Missstände. Blei bereitete ihnen allerdings weniger Sorge. Sichtbare Erkrankungen zeigten nur die Minenarbeiter, die meist Sklaven waren und damit als rechtlose Menschen galten. Stinkende Flüsse hingegen stießen den Beamten gehörig auf.

Sie beeinträchtigten nicht nur die allgemeine Gesundheit, sie verschandelten auch die Städte. So in Amastris im Nordwesten der heutigen Türkei: Dort saß zu Beginn des 2. Jahrhunderts n. Chr. ein Neffe von Plinius, Plinius der Jüngere, als Statthalter und schrieb seinem Kaiser einen Brief. Darin schildert er die schöne Promenade entlang des Flusses, der aber nur dem Namen nach einer sei.

"In Wirklichkeit ist es eine äußerst eklige Kloake, ebenso hässlich durch ihren unappetitlichen Anblick wie gesundheitsschädlich durch ihren Gestank." Was lasse sich dagegen unternehmen: "Plinius schlug dem Kaiser vor, den Fluss einfach abzudecken", erklärt der Althistoriker Gian Franco Chiai. Der Kaiser bewilligte das Projekt und das Problem galt als behoben. "Aus den Augen, aus dem Sinn, auch wenn der Fluss damit nicht sauberer wurde", so Chiai.

Die Menschen von einst plagte verschmutztes Wasser

Vielerorts erließ die Stadtverwaltung Verbote. So war es untersagt, Kleider in Brunnen und Flüssen zu waschen oder Müll darin zu entsorgen. Auch in Rom war es eigentlich nicht erlaubt, Abfall auf die Straße zu werfen. "An Verboten mangelte es nicht, aber am Durchsetzungsvermögen der Behörden", betont Chiai.

Die Menschen von einst plagten verschmutztes Wasser, verpestete Luft - und verlorene Erde. Denn rund um bevölkerungsreiche Städte machte den Bewohnern der Bodenverlust zu schaffen. Der resultierte vor allem aus der Rodung von Waldflächen, um Holz, Äcker und Weideland zu gewinnen. Dass auf Entwaldung Bodenerosion folgt, blieb nicht unbemerkt.

Der griechische Intellektuelle und Philosoph Platon monierte im 4. Jahrhundert v. Chr., dass die Berge um Athen vor nicht allzu langer Zeit noch Bäume trugen. "Doch jetzt fließt der Regen vom kahlen Land direkt ins Meer ab." Zudem seien Quellen und Bäche versiegt, weil nicht mehr genügend Regenwasser im verbleibenden Boden gespeichert werde.

In Rom kam es häufiger zu heftigen Überschwemmungen

Der amerikanische Archäologe Curtis N. Runnels konnte diesen Prozess recht genau in der Region Argolis auf der griechischen Halbinsel Peloponnes nachvollziehen. Die Datierung archäologischer Funde sowie Pollen- und Bodenanalysen zeigten, dass zu Zeiten dichter Besiedlung vermehrt Wald gerodet wurde und in der Folge Ackerboden aus den Hanglagen in die Täler abrutschte.

So vor allem in der Antike und im Mittelalter. Dass Boden auch durch klimatische Veränderungen verloren ging, konnte der Forscher ebenfalls nachweisen, doch das geschah sehr viel früher: das letzte Mal vor 33 000 Jahren.

Die Erosion bescherte den einstigen Gesellschaften noch weitere Probleme. Weniger Boden speichert weniger Wasser mit der Folge, dass die Flüsse nach starken Regenfällen über die Ufer treten. Seit der Zeitenwende kam es deshalb in Rom häufiger zu heftigen Überschwemmungen. Auch weil die fortgeschwemmten Sedimente den Fluss verstopften. Die Kaiser ließen ab und an das Tiberbett freischaufeln, damit das Wasser wieder abfließen konnte - und die Kanalisation bei Hochwasser keine Fäkalien spuckte.

Der Mensch schadet der Natur solange, bis sie ihm schadet

Diese Maßnahmen verhinderten langfristig jedoch nicht, dass die Tibermündung verlandete - und mit ihr Roms Hafen, Ostia Antica. Schon im 1. Jahrhundert n. Chr. lag der Ort nicht mehr am Meer. Heute befindet sich die Ruinenstätte drei Kilometer landeinwärts. Auch weitere Hafenstädte im Mittelmeerraum erstickten in Sand und Schlamm und verloren deshalb den Zugang zu den Seehandelswegen - und ihre Einwohner damit die wichtigste Einkommensquelle.

Was lehrt die Geschichte: Der Mensch schadet der Natur solange, bis sie ihm schadet. "Immer wenn ein Umweltproblem zu einem Missstand führte, immer wenn Menschen mit einem gewissen Machtpotenzial unmittelbar betroffen waren, dann sahen sie Handlungsbedarf", sagt Archäologe Schreg vom RGZM. "Ein Bewusstsein dafür, dass Umweltschäden aber auch auf längere Zeiträume ihre Wirkung entfalten können, gab es nicht." Ein eindrückliches Beispiel dafür liefert das Mittelalter.

Seit dem 10. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung in Europa. Die Dreifelderwirtschaft - der Wechsel zwischen Brache, Sommer- und Wintergetreide - sowie technologische Fortschritte - die Wassermühle und eine neuartige Pflugschar - hatten den Schub ausgelöst. Als Folge strömten Siedler aus Mitteleuropa in bislang dünn besiedelte Gebiete im Osten, sie machten Feuchtgebiete urbar, erschlossen Lagen in den Mittelgebirgen, vor allem aber wurde der Ackerbau intensiviert.

In Frankfurt, Würzburg oder Mainz trugen die Wassermassen Brücken fort

Der wichtigste Rohstoff für die Siedlungsexpansion war Holz. Während Städte und Dörfer wuchsen, schrumpften über die Jahrhunderte europaweit die Wälder. "Geologische Untersuchungen und Pollenanalysen haben gezeigt, dass es bis ins 14. Jahrhundert kaum noch Wälder gab, sogar weniger als heute, und der Boden sehr stark erosionsgefährdet war", weiß Rainer Schreg. Die Umweltveränderungen hatte die europäische Bevölkerung allerdings auch verwundbar gemacht. Wie sehr, zeigte sich im Jahr 1342.

An Elbe, Weser, Main, Rhein und Donau trat das Wasser über die Ufer und ließ den Pegel auf ein Rekordhoch ansteigen - bis heute sind die Flüsse nicht mehr derart stark angeschwollen. "Erst durch die entwaldete Landschaft konnte das Jahrtausendhochwasser aber zur Katastrophe werden", so Schreg. "Denn es gab kaum Hecken und Bäume, die den Wasserabfluss bremsten." In Frankfurt, Würzburg oder Mainz trugen die Wassermassen Brücken fort, Häuser stürzten ein, Menschen und Vieh ertranken.

Mittelalterforscher bringen die dramatische Flutkatastrophe inzwischen mit einem weiteren Krisenereignis in Verbindung: der Pestepidemie von 1347 bis 1353. "Das Jahrtausendhochwasser kam im Juli, als die Bauern noch keine Ernte eingefahren hatten. Es wäre denkbar, dass das keimfähige Getreide wild wucherte und auf Jahre ein gefundenes Fressen für Nager war." Diese vermehrten sich und auf ihnen die Rattenflöhe, die das Pestbakterium auf den Menschen übertragen können. Damals tötete der Schwarze Tod 50 Millionen Menschen, ein Drittel von Europas Bevölkerung.

Die Not verblasst, die Ursachen treten immer wieder auf

Umso weiter dramatische Ereignisse in die Vergangenheit rücken, desto mehr verlieren sie ihren Schrecken. Die Not verblasst, die Ursachen treten dafür immer wieder auf. Bis dato gestaltet der Mensch seine natürliche Lebenswelt - aus Bequemlichkeit und Kurzsichtigkeit nicht immer zu seinem Vorteil.

In Las Médulas etwa haben die römischen Bergleute geschätzte 100 Millionen Kubikmeter Gestein fortgeräumt. Der Gewinn in knapp 200 Jahren: gerade mal fünf Tonnen Gold. In der Region hat der Bergbau seine Spuren hinterlassen. Genau deshalb ist Las Médulas heute Weltkulturerbe.

Weil sich die Landschaft seit der Antike kaum verändert habe, so die Begründung des UNESCO-Komitees, und als einzigartiges Zeugnis für die innovative Technologie der Römer gelten darf. Mindestens ein Römer, Plinius der Ältere, empfand es als wenig einzigartig. Für ihn war es der Sturz der Natur.

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